Aber selbst mit der Gegenwart Gottes in seiner Mitte war Israel noch nicht in der Lage, alle Völker der Erde zu „segnen“.
Fragen Sie nur mal den Pharao.
Niemand in Ägypten fühlte sich in diesem Moment „gesegnet“.
NUR EINES NOCH
Neben Moses mehrfachen Touren auf den Sinai und wieder runter gibt es noch etwas anderes, das wir modernen Bibelleser vermissen. Der Inhalt, der Wortlaut und die Anordnung der Anweisungen Gottes an Israel haben die Form eines juristischen Vertrags. Gelehrte bezeichnen diese Textart als einen Vertrag zwischen einem Feudalherren und einem abhängigen Untergebenen. Diese Form der Vereinbarung wurde von ungleichen Parteien benutzt, um die Bedingungen ihrer Beziehung festzulegen. In solch einem Vertrag diktiert ausnahmslos derjenige, der am längeren Hebel sitzt, dem Abhängigen seine Bedingungen.
Der Punkt ist, dass die Zehn oder mehr Gebote viel mehr waren als nur Gebote. Sie waren Teil eines umfassenden rechtlichen Vertrages oder Bundes zwischen Gott (dem Gebietenden) und seinem Volk. Die Schrift hat es so ausgedrückt:
„Und der HERR sprach zu Mose: ‚Schreibe dir diese Worte auf! Denn nach diesen Worten schließe ich mit dir und mit Israel einen Bund.‘“11
Die Ereignisse am Berg Sinai signalisierten den feierlichen Beginn einer Bundesbeziehung zwischen Gott und dem Volk Israel. Wie wir feststellen werden, sollte dieser Bund die Beziehung Gottes zu seinem Volk für die nächsten mehr als tausend Jahre definieren und regeln. Die wichtigsten Bedingungen finden sich in 2. Mose 19-24. Sie werden im dritten, vierten und fünften Buch Mose, die man auch Levitikus, Numeri und Deuteronomium nennt, wiederholt, erweitert und in einigen Fällen geklärt. Aber die folgenden drei Verse fassen die Hauptpunkte des Vertrages ziemlich genau zusammen:
„Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan und wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr willig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, dann sollt ihr aus allen Völkern mein Eigentum sein; denn mir gehört die ganze Erde. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“12
Das war ein klassischer Ich-werde-solange-ihr-tut-Vertrag. Haltet meine Gebote, und ich werde euch beschützen. Das Abkommen verpflichtete beide Seiten (wenn sie sich an die Bedingungen hielten) – die einen zum Gehorsam, den anderen zum Schutz. Wenn folgerichtig Israel seinen Teil des Abkommens nicht einhielt, war Gott auch nicht verpflichtet, seinen Teil einzuhalten.
Machen wir weiter.
Schneller Vorlauf.
Israel kam schließlich sicher im verheißenen Land an. Doch sie taten nicht gerade viel, um die dort wohnenden Nationen zu segnen. Stattdessen eroberten und plünderten sie alles, was sich ihnen in den Weg stellte.13 Nach mehreren Generationen, während derer Israel in einer Theokratie lebte, locker organisiert und von Richtern und Richterinnen geführt, entschieden die Ältesten des Volkes, dass es Zeit für etwas Neues wäre. Israel sollte und wollte nun erwachsen werden und damit beginnen, sich „wie alle Völker“ in der Nachbarschaft zu verhalten.14 Dazu war ein König nötig. Ein sichtbarer König.15
KÖNIGE UND ANDERE WÜNSCHE
Es war nie Gottes Absicht, dass Israel einen anderen König als ihn selbst haben sollte. Aber all die coolen Völker ringsum hatten Könige. Deshalb bedrängten die Ältesten und die Führer der Nation den Propheten Samuel damit, dass er einen König ernennen solle. Samuel fragte bei Gott nach und erhielt eine deutliche Antwort:
„Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir sagen! Denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll.“
Autsch!
„Erfülle ihnen nur ihren Wunsch! Nicht dich lehnen sie ab, sondern mich. Ich soll nicht ihr König sein! Seit ich sie aus Ägypten herausgeführt habe, sind sie mir immer wieder untreu geworden und haben sich anderen Göttern zugewandt. Das ist bis heute so geblieben. Jetzt ergeht es dir ebenso. Tu ihnen den Willen! Aber sage ihnen zuvor in aller Deutlichkeit, was ein König für Rechte hat und was er mit ihnen tun kann.“16
Samuel kehrte zu den Ältesten zurück und tat, was Gott ihm aufgetragen hatte. Er tat sein Bestes, um ihnen den Wunsch nach einem König auszutreiben, aber ohne Erfolg.
„Aber das Volk weigerte sich, auf die Stimme Samuels zu hören. Und sie sagten: Nein, sondern ein König soll über uns sein …“17
Was sie als Nächstes sagten, bildete die Grundlage für das, was als Nächstes geschah.
„… damit auch wir sind wie alle Nationen, und dass unser König uns richtet und vor uns herauszieht und unsere Kriege führt.“18
Das Problem war natürlich, dass Gott nicht vorhatte, dass Israel wie alle anderen Nationen sein sollte. Gott wollte, dass Israel sich von allen anderen Nationen abhebt, weil er plante, durch Israel etwas für alle anderen Nationen zu tun.
Israel war ein Mittel zu einem globalen göttlichen Zweck.
Am Ende gab Samuel dem Erwartungsdruck nach und die Israeliten bekamen, was sie wollten. Einen König. Mehrere, genau genommen. Jahrzehntelang hatten sie sogar mehr als einen gleichzeitig. Wie vorhergesagt, waren die meisten Könige Israels katastrophal. Das Volk bezahlte diese Entscheidung mit dem, was sie besaßen und mit ihrem Blut. In dieser Hinsicht wurden sie wie alle anderen Nationen. Trotzdem hielt Gott sein Versprechen, das er Abraham gegeben hatte. Er gab seine globalen Ziele für Israel nicht auf. Alle Völker auf der Erde sollten tatsächlich durch ein Volk gesegnet werden. Leider bestand es darauf, wie alle anderen Völker der Erde zu sein.
KAPITEL 3:
TEMPELTROUBLE
Stellen Sie sich nur einen Moment lang vor, was nicht passiert wäre und wen wir nie kennengelernt hätten, wenn Israel auf Samuel gehört und die Idee einer Königsfamilie verworfen hätte.
Es hätte keinen König Saul gegeben. Keinen König David oder König Salomo. Salomos Eltern hätten sich nie getroffen. Nicht nur, dass es keine Psalmen Davids gegeben hätte, es gäbe auch die Sprüche, das Predigerbuch oder das Hohelied nicht. Es gäbe keine Aufzeichnungen über die Aktivitäten der Könige und auch keine, die dokumentieren, was die zahlreichen Propheten als Reaktion auf die Entscheidungen der Könige prophezeit haben. Warum? Weil es überhaupt keine Könige gegeben hätte.
Die Geschichte wäre anders verlaufen. Ganz anders.
Aber jetzt kommt der eigentliche Clou:
Was hat die Entscheidung für einen König mit einem Tempel zu tun, der erst viele Jahrzehnte später in Jerusalem errichtet wurde?
Ganz einfach: Alles begann damit, dass Samuel überstimmt wurde und das Volk sich selbst antat, was Gott ihm ersparen wollte. Möglicherweise war das die entscheidende Weichenstellung. Zuerst einmal wollten sie unbedingt wie alle anderen umliegenden Minireiche einen König haben. Und wenn der dann erst einmal da ist, dann gehört zu seinem Reich auch ein Tempel, klar.
All die coolen Völker mit Königen hatten nämlich Tempel. Deshalb besorgte sich Israel schließlich auch so einen. So wie die Könige Israels alle Probleme mit sich brachten, vor denen Gott das Volk durch Samuel gewarnt hatte, würde auch der Tempel seinen Tribut verlangen. Überspitzt gesagt: Israel brauchte keinen König. Und Israel brauchte auch keinen Tempel. Beides waren Versuche, wie alle anderen Nationen zu sein.
Lassen Sie mich das erklären.
BESTANDSAUFNAHME
Nachdem König David die Macht von König Saul übernommen hatte, verbrachte er Jahre damit, das Territorium Israels zu erweitern, zu sichern und zu stärken.
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