Die Völker in der Antike haben einander nicht gesegnet.
Die Stämme in der Antike eroberten, plünderten und versklavten einander. Seien wir ehrlich: Moderne Nationen segnen einander auch nicht. Wir spionieren, verhandeln und verhängen Sanktionen. Noch einmal: Wir können uns nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie lächerlich das für Abraham klang.
Weiter geht’s!
Abraham hatte irgendwann einmal ein paar Leute, die eines Tages nach Ägypten emigrierten, wo sie sich im Laufe der Zeit zu einem großen Volk vermehrten, was ihrer Gastgebernation schrecklich unangenehm war. Anstatt sie rauszuschmeißen, ließ der Pharao sie für seine Pläne arbeiten.
Als Sklaven.
So viel zu diesen ganzen Versprechen. Es ist schwierig, alle Nationen der Erde zu segnen, wenn man Ziegel für einen König herstellt, der sich als Herr des Universums betrachtet. Aber im Gegensatz zu den Göttern Ägyptens war Abrahams Gott mobil. Als Abrahams Gott der Meinung war, jetzt sei es an der Zeit, ließ er sich blicken. Er machte Mose zu seinem Bevollmächtigten und sandte ihn mit diesem unvergesslichen Spruch zu Pharao.
„Lass mein Volk ziehen!“
Nach ein klein wenig Armdrücken tat der Pharao genau das.
Der Grund, warum ich die Freiheit habe, mehr als vierhundert Jahre der Geschichte Israels in kaum mehr als vier Sätzen zusammenzufassen, ist unsere Vertrautheit mit dieser Geschichte. Doch weil viele moderne Leser (und Kinogänger) die Geschichte kennen, müsste es eigentlich fast unmöglich sein, ihre Bedeutung zu übersehen. In der außergewöhnlichsten, langwierigsten, spektakulärsten Art und Weise, die es wert ist, in Hollywood beachtet zu werden, demonstrierte Israels Gott seine Mobilität und Autorität. Ganz offensichtlich war seine Autorität nicht geografisch begrenzt. Die ganze Erde unterstand seiner Zuständigkeit. Seine Botschaft an den Pharao war eindeutig:
„Du hast etwas, das mir gehört, und ohne das gehe ich hier nicht weg!“
Israels unsichtbarer Gottkönig demütigte sämtliche Götter Ägyptens, einen nach dem anderen. Zuletzt ermöglichte er es seinem Volk, die wohl reichste Nation der damaligen Welt zu plündern. All das geschah, ohne jemanden mit einem Schwert zu bedrohen. Als Israel Ägypten gerade noch in der Ferne sehen konnte, war Ägyptens Wirtschaft bereits stark geschwächt. Ganz offensichtlich war Israels einziger Gott mächtiger als alle Götter Ägyptens zusammen. Und das alles ohne Heimvorteil. Israels Gott war die Gastmannschaft. Er war mobil. Mobile Götter waren im Altertum etwas Besonderes.
Schneller Vorlauf um vier Monate, und wir finden das Volk Israel, wie es am Fuß des Berges Sinai lagert und dabei zuschaut, wie Mose mit Gottes Anweisungen für die Nation von dort herabsteigt. Wir nennen sie die Zehn Gebote. Leider bekamen sie in den nachfolgenden Jahrhunderten an die 600 „Kinder“. Die berühmten ersten zehn funktionierten ein wenig wie ein Inhaltsverzeichnis – sozusagen die Kurzfassung. Wenn Sie in einer Gemeinde groß geworden sind, erinnern Sie sich vielleicht daran, wie diese älteste der antiken Verfassungen begann:
„Ich bin der Herr, dein Gott; ich habe dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit.“3
Übersetzt: Ich war’s!
Er fuhr fort:
„Du sollst außer mir keine anderen Götter verehren!“4
Dabei dachten sie: Richtig! Das sollen wir nicht. Wir haben gesehen, wozu du fähig bist.5 Und dann die Aussage, die Israel von allen anderen in der Nachbarschaft unterschied:
„Fertige dir keine Götzenstatue an, auch kein Abbild von irgendetwas am Himmel, auf der Erde oder im Meer. Werfe dich nicht vor solchen Götterfiguren nieder, bring ihnen keine Opfer dar!“6
Als Mose damit fertig war, die Zusammenfassung von allem vorzulesen, was Gott von der Nation verlangte, antworteten sie zünftig:
„Wir wollen alles tun, was der Herr befohlen hat!“7
Aber das haben sie natürlich nicht getan.
Und das sollte uns nicht überraschen.
Sie waren im Zeltlager.
Hält auch nur irgendjemand seine Zeltlagerversprechen ein?
Ich habe das nicht getan. Das haben Sie wahrscheinlich auch nicht. Wenn Sie nicht damit aufgewachsen sind, ins Sommerlager der Gemeinde zu gehen … na, vielleicht ist es besser so.
Die Kinofilme und die abendlichen Vorleseversionen dieser Erzählung am Bett der Kleinen spiegeln nicht genau wider, dass Mose mehrere Ausflüge auf den Sinai unternahm, rauf und runter. Jedes Mal kehrte Mose mit noch detaillierteren Anweisungen für die Nation zurück. Eine dieser Klettertouren dauerte vierzig Tage. Während er unterwegs war, wurde das Volk unruhig. Vielleicht erinnern Sie sich noch aus Kindergottesdiensten an diesen Teil:
„Als Mose so lange Zeit nicht vom Berg herabkam, versammelten sich die Israeliten bei Aaron und forderten ihn auf: ‚Los, mach uns Götterfiguren! Sie sollen uns voranziehen und den Weg zeigen. Wer weiß, was diesem Mose zugestoßen ist, der uns aus Ägypten herausgeführt hat!‘“8
Ernsthaft?
Gott diktiert noch immer das Kleingedruckte, und sein Volk gibt bereits das erste und wichtigste Gebot auf. Wie konnte das geschehen? Aaron schlug vor:
„Eure Frauen und Kinder sollen ihre goldenen Ohrringe abziehen und zu mir bringen!“
Da nahmen alle Israeliten ihre Ohrringe ab und brachten sie Aaron. Er nahm den Schmuck entgegen, schmolz ihn ein und goss daraus ein goldenes Kalb. Anschließend gab er ihm mit dem Meißel die endgültige Form. Als es fertig war, schrien die Israeliten:
„Das ist unser Gott, der uns aus Ägypten befreit hat!“9
Was? Dieses Kalb, das du aus dem von uns geplünderten ägyptischen Gold gemacht hast, wie wir gerade gesehen haben, dieses Kalb war es, das uns aus Ägypten befreit hat?
An dieser Stelle werden die meisten von uns verwirrt. Warum sollten erst vor kurzem befreite Sklaven den Gott verlassen, der sie erst vor kurzem befreit hatte? Wie konnten sie etwas als Objekt der Anbetung annehmen, das direkt vor ihren Augen geschaffen worden war? Das ist für uns verwirrend, weil wir mit dem Glauben an einen unsichtbaren, überall-zur-selben-Zeit-da-seienden Gott aufgewachsen sind. Aber für das Volk Israel war das Neuland. Kein Objekt zur Anbetung zu haben, war für sie ebenso verwirrend, wie es auch uns, ehrlich eingestanden, in bestimmten Zeiten gehörig abgeht. Sie brauchten etwas Greifbares. Etwas Sichtbares. Etwas Feststehendes. Diese Episode ging nicht gut aus. Am Ende bedeutete es nicht nur, dass Mose eine weitere Tour auf den Berg Sinai unternehmen musste, um noch ein weiteres Paar Tafeln zu besorgen. Zum Glück kam es dabei zu einem für das untreue Volk lebensrettenden Deal, den Mose mit Gott aushandelte.
So begann Israels offizielle Beziehung zum unsichtbaren, mobilen Gott Abrahams. Von ihren ägyptischen Sklaventreibern befreit und mit Regeln fürs Leben ausgestattet, bereiteten sie sich darauf vor, das Lager abzubrechen und ihre Reise nach Norden ins gelobte Land anzutreten. Aber noch bevor sie den Sinai im Rückspiegel sehen konnten, gab Mose den Bau eines tragbaren Zeltes – das als Stiftshütte bezeichnet wird – in Auftrag, um die Tafeln mit dem heiligen Gesetz zu beherbergen. Als der Bau dieses Zeltes abgeschlossen war und die Steintafeln sicher in der dafür gebauten Holzkiste lagen, geschah etwas Außergewöhnliches. Mose beschrieb das so:
„Da kam die Wolke auf das heilige Zelt herab, und der Herr in seiner Herrlichkeit erfüllte das Heiligtum, sodass Mose nicht hineingehen konnte.“10
Gott ließ sich häuslich nieder.
Niemand trug eine tragbare Götzenstatue in die Stiftshütte und stellte sie auf einen Sockel, wie es bei den um sie herum lebenden heidnischen Völkern üblich war. Als Israels Gott davon überzeugt war, dass alles so war, wie es sein sollte, entschied er sich dazu, in der Stiftshütte zu wohnen. Er erfüllte sie mit seiner Herrlichkeit. Seiner Gegenwart. Zu seinen Bedingungen.
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