»Himmelhund, elendiger«, flucht Sepp, »wo hockt denn der Bazi, der dreckerte?«
Wir sehen ihn nicht. Die Garben winseln und prasseln in den Wagen. Vor uns braust Lübke davon. Wir müssen ihm nach!
»Fahr los, Toni!«, brülle ich. »Haltet euch fest!« Da schreit der kleine Böttcher auf und wälzt sich im Sand.
»Mich hat’s erwischt, Willi!«
Beinschuss. Blut rinnt in den Stiefel.
Tak-tak-tak-tack … puiii … puiiii …
Hört denn der Schweinehund nicht auf! Wo hab ich nur die Verbandspäckchen! Hier sind sie!
»Tut’s weh, Hans?«
»Alles taub, ich spür nichts.« Das schmutzverkrustete Gesicht Böttchers schaut mich grinsend an. »Jetzt komm ich in die Heimat, Willi … Genesungsurlaub! Ganz hübsch, wie?«
Ich habe Böttcher notdürftig verbunden. Wir heben ihn in das Führerhaus, aus dem Tonis Pranken kräftig zupacken.
»Fahr zu, Toni!«, schreie ich ihm zu, »Lübke nach! Irgendwo werden wir die Batterie schon finden!«
Der Brite rackert noch immer und jagt uns Garben nach, bis uns die Staubwolke verschluckt. Wie die Affen klammern wir uns an der schützenden LKW-Seite fest. Wenn Toni nicht bald anhält, fallen wir runter.
Er hält. Wir steigen auf und fahren sofort weiter, denn wir wollen ja die Unseren finden, die irgendwo auf uns warten.
Es ist dunkel geworden, als der verlassene englische Verbandsplatz vor uns auftaucht. Ein paar Zelte stehen herum. Dazwischen hat die Batterie angehalten. Aus dem Chefwagen wird Preißel gehoben, der einen Halsdurchschuss bekommen hat. Preißel ist viel schlimmer dran als Hans.
»Ich fahre los und suche den Anschluss«, sagt der Chef. »Wartet hier, bis ich zurückkomme.«
Der Wagen holpert in Richtung Norden davon und verschwindet in der Dunkelheit.
Wir durchstöbern die Zelte, in denen staubige Feldbetten stehen. Leere Kisten, weggeworfene Konserven und Kanister liegen herum.
Da heult es plötzlich heran und haut zwischen die Zelte. Jetzt noch einmal! Mittelschwere Einschläge! Die Engländer sind uns auf den Fersen geblieben.
Böttcher ist aus dem LKW gekrochen. Wir glotzen uns an und wissen nicht, was wir machen sollen. Und wieder hauen die Einschläge in den Sand, reißen Dreckfontänen hoch und decken uns zu.
Wumm … macht es weiterab. Summm … kommt es heran und kracht nieder. Diesmal liegt der Einschlag, Gott sei Dank, wieder weiterab.
»Sollen wir in Stellung gehen, Herr Leutnant?«, frage ich
»Nein. Der Chef muss gleich zurückkommen!«
Da kommt er auch schon herangejagt und winkt uns: »Aufsitzen! Mir nach!«
Wir verlassen den Ort und preschen nach Norden. Dann erreichen wir endlich die Division und sind beim großen Haufen.
»Mach’s gut, Hans, grüß die Heimat!«
Ich habe Hans Böttcher nie wiedergesehen.
Die Sterne funkeln am südlichen Himmel. Ich liege auf dem Rücken, schaue hinauf zur schimmernden Pracht und suche den Nordstern. Vor meinen Augen taucht die stille, verträumte Poststraße auf. Ich stehe hinter meiner Drehbank und sehe eine Gestalt am Fenster: Lo. Sie hält einen Zettel hoch und legt ihn an die Fensterscheiben.
»Umdrehen, Lo!«, bedeute ich ihr. »Umdrehen, die Schrift steht ja kopf!«
Lo dreht den Zettel um, und ich lese: Acht Uhr, Bahnsteig! Ich komme!
Sie kommt, und ich nehme sie in die Arme. Wie biegsam ihre Gestalt ist, wie das Haar duftet. Lo, es ist schön, wenn man mit einer zärtlichen Erinnerung fortgeht! Ich liebe dich, Lo! Immer!
Ich muss eingeschlafen sein. Plötzlich erwache ich durch einen Krach. Jemand ist an das Geschütz gefahren. Dunkle, mächtige Schatten bewegen sich in der Nacht. Es brummt und rumort zwischen unseren Geschützen.
»Verfluchte Sauerei, könnt ihr denn nicht aufpassen? Stellt doch eure Spritzen woanders hin, ihr Pflaumen!«, tönt es unfreundlich aus dem Turm eines Panzers.
Die schweren Kettenfahrzeuge kurven zwischen uns herum. Eine lange Gestalt stolpert heran und wirft sich zitternd neben mich.
»Willi, stell dir vor, hätt’ mich doch gleich so ein Ding im Sandloch überrollt. Konnte gerade noch rausspringen! Diese Idioten! Was wollen die denn da? Sollen doch machen, dass sie weiterkommen!«
Ja, beinahe hätte man Franz Hufnagel beim Schlafen platt gewalzt!
Am nächsten Morgen vermisst er seine Brieftasche und findet sie in dem zugefallenen Sandloch.
Scheußlicher Gedanke, wenn man sich vorstellt, dass … Aber Franz hat ja Glück gehabt!
Ein vorbeifahrender Panzer hat den Schutzschild unseres Geschützes verbogen. Wir müssen mit dem Vorschlaghammer rangehen und ihn wieder geradeklopfen.
Ich bin mit der Zeitrechnung ein wenig durcheinandergekommen, aber ich glaube, dass wir Ende Mai haben. Wir sind nachts auf der Höhe 206 angelangt. Das ist ein Stützpunkt auf der Anhöhe, die nach Tobruk hin in eine Ebene übergeht und dann steil abfällt. Unten läuft die Via Balbia entlang, auf der die Tommys zwischen Gazalla und Tobruk hin- und herpendeln.
Wir gehen mit unseren italienischen 10,5-Haubitzen in Stellung, auch zwei 8,8 sind da und ein Zug Pak. Die Engländer haben Ausrüstungsgegenstände zurückgelassen, in denen wir neugierig herumkramen.
Auch eine verlorene 8,8 finden wir wieder! Über so etwas freut man sich natürlich! Die Artilleriebeobachterstelle unserer Batterie liegt 500 Meter vor uns. Wir können sie nicht sehen, weil wir hinter einer Bodenmulde in Stellung gegangen sind, aber nach rechts weg haben wir einen freien Blick über die Ebene, bis hinüber zum Steilhang.
Uns fällt die Totenstille auf. Kein Windhauch weht. Die Sonne glost und zaubert Hitzewellen über das Land, in denen alles vibriert. Fahrzeuge muten an, als hüpften sie, und sie erscheinen grotesk verzerrt.
»Zwei Geschütze weiter vor!«, heißt es dann.
Lübke und Köhler ziehen mit ihren Geschützen durch die Talsenke zum Steilhang hinüber und gehen in Stellung. Stohl und ich bleiben zurück und beobachten, wie die Kameraden ihre Spritzen feuerbereit machen. Es dauert auch nicht lange, da blitzt es drüben auf, ein paar Sekunden später erst krachen die Abschüsse.
In einer Feuerpause hören wir plötzlich über unseren Köpfen ein hohles Dröhnen.
»Eigene«, sage ich zu Stohl, als ich zum Himmel hinaufschaue, »Ju 88.«
»Ist doch eigentlich beruhigend so was«, meint Stohl und nickt mir grinsend zu. »Wo die abladen, möchte ich nicht sein.«
»Nee«, bestätige ich kopfschüttelnd und beobachte die heranziehenden Bomber. Am liebsten möchte ich ihnen zuwinken und rufen: Servus, Kameraden!
Da durchzuckt mich ein heißer Schreck. Ich sehe, dass sich silberne Punkte aus den Maschinen lösen. Winzig klein! In der Sonne blinkend. Wahnsinnig schnell wachsen sie.
»Achtung!«, brüllt jemand. »Bomben!«
»Rauchzeichen abschießen! Schnell!«, gellt eine andere Stimme.
Das Brüllen geht im Bersten und Krachen unter. Staubwolken wirbeln auf und verdunkeln die Sonne. Blitze zucken. Die Trommelfelle drohen zu platzen.
»Verflucht! Die beschmeißen uns mit Bomben! Sind die wahnsinnig?«
Ich hebe den Kopf und schaue in die abziehenden Rauch- und Staubwolken. In der Senke brennt ein Muniwagen aus. Nur noch das glühende Gerippe ist zu sehen. Die Flak schießt erst blaue, dann rote Rauchzeichen und gibt den Idioten dort oben zu verstehen, dass sie zu früh die Bombenschächte aufgemacht haben und uns den Segen auf die Köpfe warfen.
Stohl und ich sind mit Dreck zugedeckt worden, aber sonst ist zum Glück nichts passiert. Benommen rappeln wir uns auf, klopfen den Staub von den Klamotten und schauen ängstlich zum Himmel hinauf. Der Verband dreht jetzt ab.
Ich kann mir vorstellen, dass der Häuptling dort oben einen ganz schönen Anpfiff entgegennehmen wird! Aber na ja, auch so etwas kann vorkommen. Irren ist menschlich!
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