F. John-Ferrer - Die Todgeweihten

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Als im Kriegsjahr 1944 die Hauptkampflinie quer durch Italien lief, tobten um Monte Casino und bei Forma-Francavilla erbitterte Kämpfe. Zu dieser Zeit fasste die deutsche Abwehr den Plan, den alliierten Streitkräften, die im süditalienischen Nachschubhafen Bari lagen, einen schweren Schlag zu versetzen. Das Ziel war, die Schiffseinheiten zu schwächen und gleichzeitig auf dem dortigen Flugplatz die Treibstofflager und die Hangars zu vernichten. Von diesem gemeinsamen Einsatz deutscher und italienischer Kampfschwimmer und Sabotage-Spezialisten berichtet der vorliegende Roman basierend auf authentischen Unterlagen eines überlebenden Teilnehmers.

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Der Ablauf des militärischen Geschehens entspricht der geschichtlichen - фото 1

Der Ablauf des militärischen Geschehens entspricht der geschichtlichen Wahrheit. Die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig.

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2012

©2014 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Lektorat und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

Titelfoto: © Bayerische Staatsbibliothek München / Fotoarchiv Hoffmann

eISBN 978-3-475-54178-0 (epub)

Es ist noch früh am Morgen. Die Sonne steht schräg über der Adria und wärmt die von Bombensplittern und Bordwaffenbeschuss zerhackten Mauern des Wachgebäudes. Ein Fenster, in dem die Scheiben fehlen, steht offen. Drinnen im verräucherten Wachlokal läuft ein kleiner Radioapparat und schmettert Marschmusik in den Morgen. U. v. D. Müller pfeift fröhlich mit und unterzieht sich einer Reinigung seiner trauerberänderten Fingernägel, wobei er sich des Taschenmessers bedient.

Die Marschmusik endet. Ein Gongschlag ertönt.

»Die Zeit: sieben Uhr. Wir bringen Nachrichten. Das Oberkommando der Wehrmacht meldet …«

U.v.D. Müller lümmelt sich auf die Tischkante und hört aufmerksam zu.

»Die Alliierten sind zwischen Gaeta und Monte Cassino zu einem Generalangriff angetreten. Im Raum von Minturno und am Monte Petrella gelangt es den Angreifern, kleine Erfolge zu erzielen. Unsere tapferen Fallschirmjäger leisten erbitterten Widerstand und fügten dem massiert angreifenden Gegner schwerste Verluste zu. Der Kampf um Monte Cassino geht in unverminderter Härte weiter …«

In die schnarrende Stimme des Rundfunksprechers rasselt das Telefon. Unteroffizier Müller stellt das Radiogerät leiser und nimmt den Hörer ans Ohr.

»U. v. D. Müller, Hafenwache«, meldet er sich.

»Hier Boltz. Ist Brandt in der Nähe?«

Müller ist unwillkürlich aufgesprungen und hat Haltung angenommen. Oberstleutnant Boltz, der Chef des Amtes Ha, Abteilung Sabotage, eine Zweigstelle des Hauptamtes Canaris, ist am Apparat.

»Im Augenblick ist Leutnant Brandt nicht da«, meldet Müller. »Soll ich ihn suchen lassen?«

»Nein. Wenn er kommt, soll er mich sofort anrufen.« »Jawohl.« Müller klappt die Hacken zusammen. Der Teilnehmer hat aufgelegt. Unteroffizier Müller legt den Hörer zurück und stellt das Radio lauter.

»Terrorflieger haben in der vergangenen Nacht Städte in Westdeutschland angegriffen …« schnarrt die Stimme des Rundfunksprechers.

Indessen steht Leutnant Jochen Brandt an Bord eines zerbombten Frachters und beobachtet durch das Dienstglas die Vorgänge im Hafen. Brandt trägt eine Art Räuberzivil: zerknautschte Hosen, Segeltuchschuhe, eine abgewetzte, knapp sitzende Lederweste, die sich unter der linken Achsel verdächtig ausbeult, dazu eine schmierige Schlägermütze auf dem Kopf. Nur wenige hier wissen, dass es sich bei diesem Mann, der in unberechenbaren Zeitabständen mal da, mal dort auftaucht, um einen der verwegensten Offiziere des Amtes Ha, Abteilung Sabotage, handelt. Er ist schweigsam, versieht pflichtbewusst seinen Dienst, nachdem man ihn vor etwa acht Wochen nach einer schweren Verwundung aus dem Lazarett entlassen hat. Seine Aufgabe ist es, den Hafen zu kontrollieren und ein wachsames Auge auf alles zu halten, was hier kreucht und fleucht. Sobald dieser Leutnant seine Uniform anlegt, kann man eine erkleckliche Anzahl Tapferkeitsauszeichnungen am Tuch sehen, unter anderem auch das »Blaue Kreuz«, eine der höchsten Auszeichnungen, die Italien vor seinem Bruch mit dem Achsenpartner an deutsche Soldaten zu verleihen hatte.

Der Mann an Bord des rostenden Schiffes setzt das Glas ab und wischt sich über die lederbraune Stirn.

Nichts los hier! Alles in Ordnung. Langweiliger Betrieb! Und so geht es schon seit Wochen. Er, der ehemalige Verbindungsoffizier zu den italienischen Froschmännern der X. Flottiglia M. A. S. S. und zum italienischen Geheimdienst –, er mopst sich hier herum. Und wie er sich mopst! Pfui Deibel!

Ins trübe Hafenwasser spuckend, verlässt Brandt über eine Laufplanke seinen Beobachtungsplatz und geht mit katzenhaft geschmeidigem Gang die Kaimauer entlang.

Er hat graue, hart blickende Augen, wenn er sich einer gefährlichen Situation gegenübersieht; aber jetzt sind diese Augen nachdenklich, blicken über die Trümmer des Hafens, schweifen darüber hinweg zur Stadt, hinter der bewaldete Berge aufsteigen.

Wie schön dieser Morgen ist! Wie warm die Sonne scheint! Nichts verrät, dass in der Nacht diese verdammten Jabos da waren und ihre Bomben auf Stadt und Hafen warfen. Man riecht noch die Brandstellen, die irgendwo in der Stadt schwelen. Es hat wieder Tote gegeben. Mehr Zivilisten als Soldaten.

Diese Berge dort hinten! Lieblich und grün sind sie. Aber über sie hinweg sausen in unberechenbaren Zeitabständen die Jabos, um sich auf die wehrlose Stadt zu stürzen, die paar Flakgeschütze missachtend, die irgendwo im Hafengelände zu feuern beginnen.

Im Hafenbecken zwei wird ein Frachter entladen. Er ist in der vergangenen Nacht aus Triest gekommen und löscht seine Ladung, bestehend aus Ballen und Kisten. Ein Trupp Hafenarbeiter ist eingesetzt, bewacht von einem grauhaarigen Obergefreiten.

»Morjen«, grüßt er den Mann in der Lederweste.

Brandt nickt grüßend zurück, begibt sich an Bord des Frachters, schlendert am Oberdeck entlang, lässt seine grauen, wachsamen Augen umherschweifen und findet alles in Ordnung.

In Ordnung scheint auch alles drüben in der Werft zu sein. Die Niethämmer poltern, die Sauerstoffgebläse zischen. Brandt stolpert über ein paar herumliegende Eisenteile. Die Arbeiter sind fleißig, wissen sie doch, dass die Arbeit für die Deutsche Wehrmacht derzeit ihre einzige Verdienstmöglichkeit ist. Der Lohn wird ihnen pünktlich ausgezahlt, und ein paar zusätzliche Lebensmittel gibt es außerdem.

Im Trockendock liegt ein deutsches Patrouillenboot. Die Aufbauten sind zerschossen. Das Heck weist ein Loch auf. Vor drei Tagen hat sich das Boot in den Hafen geschleppt, an Bord fünf Tote und den schwerverwundeten Kommandanten.

»Lohnt es sich denn noch, den Kahn zu flicken?«, fragt Brandt den italienischen Ingenieur.

»Befehl ist Befehl«, sagt der andere und zuckt die Schultern.

Fünf Minuten später sieht man die breitschultrige Gestalt des kontrollierenden Abwehrmannes die Hafenstraße entlangschlendern und vor einem Trupp Straßenarbeiter haltmachen. Man bessert die Asphaltdecke der Straße aus, die von drei Bomben aufgerissen wurde. Der Wachposten nimmt lasch die Hacken zusammen und zieht den Karabiner an.

Brandt winkt mit den Augen ab. Keine Meldung. Die Kerle hier brauchen nicht zu wissen, wer gekommen ist.

»Alles in Ordnung?« Brandt fragt es leise, während er den Blick über die Arbeiterschar wandern lässt und jeden einzelnen kurz mustert.

»Alles in Ordnung«, brummt der Gefreite. »Man darf bloß den Buckel nicht wenden, sonst sind sie alle Standbilder der Arbeit.« Der Gefreite Schulz grinst.

»Sind Neue dabei?«, fragt Brandt.

»Nee. Noch die alte Garnitur.«

Brandt studiert nachdenklich den Haufen schuftender Männer. Es kann einer darunter sein, der nicht hierher gehört, der aus den Augenwinkeln heraus alles sieht, was den Gegner interessieren könnte. Jeder hier kann ein V-Mann sein, ein Agent, ein bezahltes Individuum, dem ein Bündel Banknoten mehr wert ist als ganz Italia, aber auch ein überzeugter Antifaschist, der für seine Ideale seine Haut riskiert.

»Was sagt der Nachrichtenonkel in Berlin?«, fragt der Gefreite. »Ist es bald soweit, dass wir wieder wetzen müssen?«

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