Verschwunden sind die Blumen des libyschen Küstenlandes; vor mit liegt die Wüste, von der ich immer geträumt habe, seitdem ich als Junge Karl May gelesen habe, und die ich noch heute zugleich liebe und fürchte.
Signali-Sued ist unsere erste Station. Das ist beileibe kein Dorf, wie ich vermutet habe, sondern nichts als eine Kreuzung von Karawanenstraßen. Auf leere Benzinfässer sind taktische Zeichen gemalt mit einem Pfeil, der anzeigt, in welcher Richtung irgendwo in der Wüste eine Einheit liegen mag.
Flach wie ein Teller ist das Land. Die Sonne glast, und die Luft flimmert. Hier taucht der erste Brite auf. Eine Hurricane. Im Tiefflug saust sie heran, zieht über den Hügel hinweg, legt sich in die Kurve und kommt zurück. Der Sand spritzt auf. Ein VW-Kübel steht lichterloh in Flammen, und dort, wo einige italienische Zelte stehen, ertönt Geschrei.
Rübezahl, der lange Kerl, schießt den ganzen Gurt des MGs leer. Getroffen hat er den Briten nicht. Wir haben nie einen abgeschossen. Aus diesem Grund haben wir’s auch späterhin unterlassen. Das sollte lieber die Flak machen, aber auch durch deren Sprengwölkchen schaukelte der Tommy unbeschadet davon.
Wir sind schon wieder unterwegs. Kein Mensch kennt das Marschziel; wir streifen durch die Wüste. Wochenlang. Unsere Bärte wachsen, die Sandflöhe piesacken uns, und der Dreck wird mit dem Taschenmesser vom Hemdkragen geschabt. Wasser ist Mangelware. Wasser ist das Kostbarste.
»’n Kasten Dortmunder, schön eisgekühlt, was hältst du davon, Willi?«
»Halt die Schnauze!«
»Es fühlt sich ganz kalt und nass an, das Glas, Willi. Du hebst es an und säufst es auf einen Zug aus … Aaaah!«
»Wenn du nicht still bist, hau ich dir den Spaten auf den Schädel!«
Der Chef sieht alle Augenblicke auf den Kompass. Eine Kompasszahl wird genannt, und nach der wird gefahren, denn Straßen mit Kilometersteinen und Wegweisern gibt es hier nicht. Kompasszahl und dazu so und so viele Kilometer. Dann muss man an der befohlenen Stelle sein. Sonst hat man sich eben verrannt und Pech gehabt.
Da kracht es plötzlich. Vor uns, kaum 200 Meter entfernt, steigt eine Rauchwolke auf. Und jetzt der erste Einschlag! Wumm … rreng!
Wir gehen in Feuerstellung. Auf der Höhe steht eine Pak und schießt; wir sehen nur das dünne Rohr, aus dem es in rascher Folge blitzt und kracht.
Irgendwo da vorn haben die Tommys ihre Batterien aufgebaut. Sie kleckern in unregelmäßigen Zeitabständen durch die Gegend, mal da, mal dorthin.
Wir graben Löcher in den Sand und springen flugs hinein, wenn etwas angerauscht kommt. Meistens zu spät, denn die Granaten sind schnell, und der Dreck spritzt herum, ehe wir im Loch liegen.
Unsere Granaten orgeln hinüber, bis es finster wird. Dann tritt auf beiden Seiten Ruhe ein.
»Du«, sagt Schorsch zu mir, »der Max ist weg. Hat’s ihn am Ende erwischt?«
Wir suchen Maxi Reiner und finden ihn im Sandloch. Hat der Mensch Töne! Geschlafen hat er, während wir wie die Wilden zum Tommy hinüberballerten.
»Du hast vielleicht einen gesegneten Schlaf, Max.«
»Wer hat, der hat«, grunzt er und fragt dann, ob’s schon Kaffee gäbe.
Gleich nach Sonnenaufgang beginnt der Zauber wieder. Die Engländer schießen herüber, wir antworten. So geht es den ganzen Tag.
Am nächsten Morgen taucht ein englischer Jäger auf, eine Hurricane. Er fliegt unsere Stellung ab und beharkt uns. Kurz danach geht das Artillerieduell wieder an. Am nächsten Tag ist in aller Früh die Hurricane abermals da, und diesen Morgenbesuch macht sie sich zu stets gleichbleibender Stunde zu einer lieben Angewohnheit. Das ärgert uns natürlich. Der freche Bursche muss doch zu fassen sein! Der Chef setzt sich mit einer Flakbatterie in Verbindung, und als wir heute Morgen aufstanden, sahen wir eine Zwei-Zentimeter-Flak bei uns in Stellung gehen.
»Ist er schon vorbei?«, fragt der Geschützführer.
Ich schaue auf die Uhr. »Nee. Muss aber bald kommen.«
Er kommt pünktlich, klärt auf, fliegt eine Schleife und greift an. Der Sand spritzt, irgendwo klirrt es. Da hämmert die Flak mit raschen, gleichmäßigen Schlägen. Und siehe da, Freund Tommy steilt erschrocken hoch und fliegt davon. Auf Nimmerwiedersehen.
In den nächsten Tagen kommt er nicht mehr – vielleicht, weil er »den Hof mit Müh und Not« erreichte. Sonst geschieht nichts Aufregendes. Artillerie- und Stoßtrupptätigkeit nur.
Und eines Tages verfärbt sich der Himmel seltsam schwefelfarben. Die Sonne hängt als matte Silberscheibe im Dunst. Eine beklemmende Hitze legt sich über die Wüste und treibt uns den Schweiß aus den Poren. Jede Bewegung ist eine Qual. Die Lungen keuchen, die Glieder ermatten.
»Der Ghibli kommt«, sagt einer.
Das Leben verlöscht, nichts rührt sich. Die Feldflaschen sind leer, weil wir sie schon am Morgen ausgetrunken haben. Hält das ein Mensch überhaupt noch aus? Sollen wir hier verdursten, elend verrecken?
»Schafft ’was zu saufen her!«, schreit einer heiser.
Niemand antwortet. Was sollte man auch schon sagen? Wer hätte wohl auch nur noch einen einzigen Schluck in seiner Feldflasche? Und die Hitze lähmt einen zudem so, dass man zu faul ist zu reden.
Ein sturmartiger heißer Wind peitscht den Sand haushoch über uns hinweg. Man kann sich nur hinkauern und versuchen, unter einer Zeltbahn Schutz zu finden. Aber es ist vergeblich. Überallhin dringt der feine Sand, in die Augen, in die Nase, in die Ohren, und selbst zwischen den Zähnen knirscht er, man mag die rissigen Lippen noch so fest zusammenpressen. Der Körper ist klitschnass vom Schweiß, man könnte Hemd und Hose auswringen.
Als die Nacht einfällt, legt der Sturm sich schlagartig, und dann kommt auch endlich der Küchenwagen und gibt Sirupwasser aus. Es ist lauwarm und schmeckt abscheulich. Aber es ist etwas zu trinken!
»Langsam trinken«, sage ich mir, als ich die Feldflasche an den Mund setze. »Beherrsch dich … trink langsam … Heb dir für den Tag etwas auf!«
Aber kaum ist der erste Schluck getan, da gieße ich die ganze Flasche hinunter. Alles. Bis auf den letzten Tropfen. Erst morgen Nacht gibt es wieder etwas zu trinken!
Der Körper schwitzt das Wasser aus. Der Durst ist wieder da.
Nach einer fast schlaflos verbrachten Nacht geht die Sonne auf wie ein totes gelbliches Licht, das über der Wüste glost. Jetzt ist der Ghibli wieder da und fegt den mehlfeinen Sand noch ärger. Die Fahrzeuge, die Geschütze versinken in ihm.
Ich krabbele auf allen Vieren zum Geschütz.
»Habt ihr was zu trinken, Kameraden?«
Staubige, unkenntlich gewordene Gesichter grinsen mich an.
»Daheim hab ich ’n Kasten Bier im Keller … Hol ihn dir.«
»Idiot!«
Noch einen langen Tag lang quält uns der heiße Wüstenwind und dörrt unseren Lebenswillen aus. Erst die dritte Nacht bringt die Erlösung. Es wird kühl. Die Lebensgeister erwachen wieder. Schier unersättlich saugen wir die herrliche Kühle ein.
Es ist Pfingsten. Daheim steht jetzt alles in voller Blüte. Ich sehe die Menschen in hellen Kleidern spazierengehen. Ein buntes Kleid leuchtet aus dem Grün der Wiese … Lo!
Lo, spürst du, dass ich an dich denke? Wie gern wäre ich bei dir! Vielleicht hast du meinen Brief mit der Blume aus Libyen schon bekommen, liebe Lo!
Lo, ich kann dir jetzt leider nicht mehr schreiben. Rommel will angreifen. Es geht bald rund! Vergiss mich nicht, geliebte Lo!
Wir sehen deutlich, dass sich etwas vorbereitet. Die Wüste ist in Aufruhr. Immer mehr Einheiten rollen heran, gehen in Stellung und tarnen sich.
Ich muss zum Chef kommen: »Obergefreiter Trump, Sie übernehmen das 1. Geschütz!«
Fünf prächtige Kerle gehören zu mir: Schorsch Koppel, Franz Hufnagel, Sepp Schaizach, der so herrlich fluchen kann, der kleine Hans Böttcher und Marxen.
Читать дальше