1 ...8 9 10 12 13 14 ...29 Er war als rücksichtsloser Mann bekannt, für den es nur ein heiliges Ziel gab: zu gewinnen.
»Das weiß ich, Mr. President. Ich kenne Sie schon seit Ihren Anfängen in Wisconsin. Deshalb kenne ich auch wie kein anderer Ihre Schwachstellen.«
»Schwachstellen?«, fragte Hancock sarkastisch und studierte sein Spiegelbild. »Auch noch mehrere?«
»Jawohl, Mr. President«, lautete Cahills bissige Antwort, die jeglichen Humor vermissen ließ. »Sie können es nicht lassen, mit allem ins Bett zu springen, was einen Rock trägt, und manchmal nicht einmal das. Sie sind ein raffinierter, hinterlistiger, kleiner Gauner, der Ehrlichkeit für ein Schimpfwort hält. Und Sie bringen es nicht fertig, jede noch so kleine Ehrverletzung zu vergessen, und das in einer Stadt, in der die Loyalitäten schneller wechseln als die Hotellaken.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Präsidenten. »Sind Sie fertig, Ian? Wie lief es mit Ellison?«
»Trevor arbeitet mit uns zusammen«, erwiderte Cahill. Trevor Ellison war der Chefredakteur der Washington Post . »Er wird uns zwei Wochen für die Iran-Story einräumen.«
»Darf ich fragen, was er dafür von uns erwartet?«
»Von jetzt an Exklusivberichte über alle Wahlkampf-Ankündigungen. Er bringt sie als Erster.«
Das war besser als die Alternative. Offenbar arbeitete die Nichte von einem der amerikanischen Archäologen bei der Post und stellte bereits Recherchen an. Bevor Hancock etwas entgegnen konnte, betrat ein Agent des Secret Service den Raum. »David Lay ist in der Leitung für Sie, Sir.«
Wurde auch Zeit. »Hancock hier.«
»Mr. President, wir sind bereit. TALON startet in sieben Stunden.«
»Sie haben grünes Licht, Direktor«, antwortete Hancock und warf Cahill quer durch den Raum einen Blick zu. »Kümmern Sie sich um die Sache.«
Der Stabschef sah den Präsidenten fragend an, als dieser auflegte. »Worum ging es?«
Der Präsident lächelte. »Ian, Sie können beruhigt sein. Ich denke, ich habe soeben die Wiederwahl gewonnen.«
Flughafen Q-West, Nord-Irak, 23:03 Uhr Ortszeit
Harry schlüpfte in seine Jacke, als er die Schlafquartiere verließ. Die kalte Nachtluft der Wüste ließ ihn frösteln. Der Rest seines Teams schlief tief und fest, und genau das sollten sie auch tun. Er aber konnte nicht schlafen, konnte er nie vor einer Mission. Nichts weiter als eine nervöse Angewohnheit, die er über die Jahre ausgebildet hatte. Eine schlechte Angewohnheit.
Es gab für ihn einfach zu viele Dinge, die man berücksichtigen musste, zu viele Eventualitäten, auf die man sich vorzubereiten hatte. Und das Gewicht der gesamten Mission lastete auf seinen Schultern. Er war verantwortlich.
Er lief die Landebahn entlang, die Hände in die Taschen gestopft, und sah zu dem September-Nachthimmel hinauf. Der Mond war zu großen Teilen mit Wolken bedeckt, und das war genau nach seinem Geschmack. Ihr geplanter Tiefflug würde dafür sorgen, dass sie nicht auf den iranischen Radarnetzwerken auftauchten, aber das bewahrte sie noch nicht vor dem ältesten Frühwarnsystem der Welt: dem menschlichen Auge. Die Dunkelheit würde ihnen dabei helfen.
Ein junger Wachsoldat in der Uniform der U.S. Army tauchte vor ihm aus der Nacht auf. Seine Hände hielten eine M-4 gepackt. »Wer ist da?«, fragte er mit nervöser Stimme, eine Aufforderung so alt wie die Zeit selbst.
»Colonel Henderson«, antwortete Harry. Der Soldat trat näher auf ihn zu und leuchtete ihm mit seiner Taschenlampe direkt ins Gesicht.
»Ausweis?« Harry reichte ihn ihm. Der Soldat war beinahe noch ein Kind, höchstens achtzehn oder neunzehn Jahre alt. Vor einem Jahr hatte er bestimmt noch die Highschool besucht, wo seine einzige Sorge der Frage galt, welches Mädchen er zum Abschlussball ausführen sollte. Nun trug er eine Waffe in den Händen.
»Sehr gut, Sir. Bitte entschuldigen Sie die Störung«, antwortete der Junge und gab ihm den Ausweis zurück.
»Kein Problem, Soldat. Sie tun nur Ihren Job. Weitermachen.«
Harry lächelte in sich hinein, während er ihn passierte und auf die Hangars am hinteren Ende der Landebahn zulief. Der Soldat war unvorsichtig gewesen. Wäre er ein Eindringling gewesen, hätte er die Wache problemlos ausschalten können. Dafür hatten sich mehr als genug Gelegenheiten geboten.
Ein unerwartetes Geräusch ließ Harry abrupt stehenbleiben. Etwas, dass sich wie ein Quietschen anhörte. Aus einem der Hangars. Als würde Metall auf Metall schaben. Dann wehte das gleiche Geräusch in einer nächtlichen Brise erneut heran.
Jemand befand sich in einem der Hangars.
Harrys Hand schnellte an seine Hüfte, öffnete sein Holster. Vorsichtig, und mit der Colt in seinen ausgestreckten Händen, näherte er sich dem Eingang zum Hangar. Wieder ein Geräusch.
Das riesige Hangartor stand offen, wie alle anderen auch. Offenbar war der Kommandant des Q-West der Ansicht, dass das Gelände dafür ausreichend abgesichert war. Nun, vielleicht auch nicht.
Noch ein paar Schritte bis zum Tor. Wieder ein Geräusch. Ein Lichtschein, möglicherweise von einer Stiftlampe. Harry umrundete den Eingang und starrte angestrengt in die Dunkelheit vor ihm.
Vor einem Helikopter hockte ein Umriss. Der Bug eines Huey, wie Harry alarmiert feststellte. Der Mann trug eine Stiftlampe bei sich und arbeitete vornübergebeugt an irgendetwas.
Harry lief einen weiteren Schritt in die Halle hinein. Es bestand kein Grund, sich bemerkbar zu machen. Noch nicht. Nur noch ein paar Schritte.
Ein dumpfes Fluchen entwich den Lippen des Eindringlings, dann schoss er erschrocken in die Höhe.
»Nehmen Sie die Hände hoch!«, schrie Harry, dessen Stimme wie Donnergrollen durch den beengten Hangar hallte. »Sofort!«
Der Schemen zögerte einen Moment lang, dann drehte er sich um und schoss auf die Rückseite des Hangars und die Tür zu, die sich dort befand.
Harry huschte vorwärts, schlich geduckt um den Huey herum und traute sich nicht, zu schießen, weil er fürchtete, dabei den Helikopter zu beschädigen. Außerdem hatte er kein freies Schussfeld.
Der Mann hatte die hintere Tür erreicht und floh in die Nacht hinaus. Harry stürmte hinter ihm her. Seine Füße stampften über den harten Beton.
An der Tür hielt Harry inne, lauschte, unsicher, in welche Richtung er laufen sollte. Er konnte nichts erkennen. Alles war still, die Stille um ihn herum beinahe greifbar . Vorsichtig trat er einen Schritt vor, die Colt ausgestreckt vor sich. Irgendwo …
Ein Schraubenschlüssel krachte gegen seinen Arm und ließ die Colt aus seiner Hand rutschen. Harry wirbelte vor Schmerz keuchend herum und riss seinen anderen Arm nach oben, um den zweiten Schlag des Angreifers abzuwehren.
Seine Rechte glitt zu seinem Knöchel hinab, tastete nach dem Kampfmesser, das dort festgeschnallt war, doch der Mann riss ihn um, bevor er danach greifen konnte. Der Schraubenschlüssel raste auf seinen Kopf zu.
Harry rollte sich zur Seite, griff sich eine Handvoll Schmutz und Sand und warf sie seinem Angreifer ins Gesicht. Dieser rieb sich die Augen, taumelte unsicher zurück.
Dann rannte er davon.
Harry, der unterdessen sein Messer aus der Scheide an seinem Fußknöchel gezogen hatte, sprang wieder auf die Beine. Es war sinnlos, nach seiner Colt zu suchen. Der Mann wäre längst über alle Berge, bevor er sie hätte finden können.
Harry stürmte los. Soeben verschwand der Eindringling um die Ecke von einem der anderen Hangars. Er konnte ihn noch immer schnappen, aber dieses Mal würde sich Harry nicht wieder von ihm hereinlegen lassen.
Als Harry das Ende des Hangars erreicht hatte, war der Mann verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Hatte sich in der tiefschwarzen Nacht in Luft aufgelöst.
Innerlich betete Harry für etwas von jenem Mondlicht, das er noch vor zehn Minuten verflucht hatte. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er laufen sollte.
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