»Wirklich?«
»Ich glaub schon. Und bei Bio hat man dann auch viel weniger Erträge pro Hektar.« Leon stieg in Nonnos Steigbügel und zog sich am Sattel hoch. »Du bist ja wie eine Journalistin auf der Suche nach einer Story.« Er grinste. »Vielleicht solltest du mal Dad interviewen. Der muss häufiger Fragen beantworten. Vor allem, weil er hier einer der Vorreiter im Smart Farming ist.«
»Gute Idee.« Ich sah zu Poppy, die merkwürdig unruhig um meine Beine herumschlich und mich immer wieder aus ihren großen Augen ansah. »Komm schon, meine Süße, gleich gibt es was zu trinken.« Ich gab ihr einen zärtlichen Klaps und schwang mich auf Ulysses.
Wir ritten um die Anhöhe herum, auf der Rusowskis Hof lag. Poppy lief zwar nebenher, aber sie wirkte schlapper als sonst und hechelte wie eine alte Hündin, deren Kräfte schwanden. Was war nur mit ihr los? Als wir die Straße kreuzten, ließ der holländische Laster gerade die dampfende braune Brühe ab. Einige Krähen flatterten aufgeregt darum herum. Ich sprang vom Pferd, zückte mein Handy und machte schnell ein Foto.
Da sah ich Kruso. Er stand abseits, hatte eine Forke in der Hand und blickte mich direkt an. Sofort war mir das Foto unangenehm und ich nickte entschuldigend in seine Richtung. Er nickte zurück.
»Weißt du, was?«, flüsterte Leon. »Ich glaub, Krusos älterer Bruder hat sich gerade bei meinem Dad beworben. Dabei übernehmen die Ältesten üblicherweise den Hof. Der scheint keinen Bock auf das Erbe zu haben. Ich kann’s verstehen. Die halten nicht mehr lange durch. So viel ist sicher.«
Ich schwieg. Musste Kruso jetzt den Hof und all die Probleme übernehmen? Mir war unwohl. Ich hatte das blöde Gefühl, nun etwas zu wissen, das ich gar nicht wissen sollte. Kruso kam mir noch verlorener vor als zuvor und ich hatte ein seltsames Mitleid, wie man es manchmal empfindet, wenn man Bilder von Kranken, Hungernden oder Verfolgten sieht und gleichzeitig froh ist, nicht selbst betroffen zu sein. Kruso war also nicht nur ein einsamer Träumer, er war auch noch ein richtiger Pechvogel, der wenig Chancen auf ein gutes Leben zu haben schien. Ein Leben, wie es mir vorschwebte, mit Studium und Doktortitel, Anerkennung und finanzieller Absicherung.
Poppy kotzte. Genau vor meine Füße. Dann legte sie sich auf den Boden und winselte.
»Was hast du denn?« Ich streichelte ihr durchs Fell.
»Vielleicht solltest du mit ihm zum Tierarzt gehen.«
»Vielleicht hat sie etwas Verdorbenes gefressen.«
Leons Handy brüllte wie ein Löwe. Sein Klingelton.
»Dad? Sorry … Hi. Hm? … Neben mir … Ja …« Er blickte zu Poppy. »Ja …« Er wandte sich ab und sprach ein bisschen leiser. »Nein, konnte ich nicht. Ging zu schnell … O Mann.« Er sah mich entschuldigend an und lief ein paar Schritte den Feldweg entlang. »Und jetzt?«
»Hallo.« Ich schreckte hoch. Kruso stand vor mir, die Forke auf den Boden gerammt wie eine Lanze. »Das Gift.« Er blickte zu Poppy.
»Welches Gift?« Er zeigte zu Klamms Acker hinüber, auf dem schon wieder gesprüht wurde. Und da verstand ich. »Du meinst … Poppy?« Er nickte. »O mein Gott!« Poppy legte sich über meine Füße und winselte.
»Komm. Meine Mutter kennt sich aus.« Er warf die Forke auf den Boden, hob Poppy vorsichtig hoch und ging voraus. Ich lief hinter ihm her wie hypnotisiert. Poppy, Poppy, Poppy, war alles, was ich denken konnte. Sie hatte plötzlich Schaum vor dem Mund und hing schlapp in Krusos Armen.
Mit dem Stiefel stieß er eine schwere, mit Eisen beschlagene Tür auf. Ich folgte ihm und versuchte dabei, meine Panik im Zaum zu halten. Wir kamen in eine Küche, die aussah wie aus dem letzten Jahrhundert. Fast alles war aus rustikalem Eichenholz und um jeden Gegenstand waren Deckchen drapiert, bunt bestickt mit Bauernweisheiten. Eines hing über der Eckbank und fiel mir sofort ins Auge: Wenn du im Herzen Frieden hast, wird dir die Hütte zum Palast.
Am Tisch saß eine schmale, hübsche Frau, die so gar nicht meinen Vorstellungen von einer armen Bauersfrau entsprach, vor einem Stapel Briefe. Sie war modischer angezogen als Kruso und hatte zu engen Jeans schmale Gummistiefel mit Blümchenmuster an. Dazu ein tailliertes Shirt, durch das sich der BH abzeichnete, und ein pinkes Tuch um den Kopf gewickelt, unter dem ein paar Löckchen herausguckten. Sie wirkte wie ein Fremdkörper in dieser urigen Küche.
»Oh, Besuch«, sagte sie freudig und kam auf mich zu. Dann sah sie Poppy. »Und gleich zu zweit.« Sie blickte in Krusos ernstes Gesicht und begriff sofort. »Klamm?«
»Ja. Der Hund hat …«
»Ich hol die Kohletabletten … und Atropin.« Sie eilte aus dem Raum.
»Woher weiß sie …?« Ich nahm Poppy aus Krusos Armen, setzte mich auf einen Stuhl und legte sie auf meinem Schoß ab. Dieses Fellknäuel war ein Teil von mir, gehörte zu meinem Leben wie Leon. Meine Hände zitterten.
»Ist nicht das erste Mal«, sagte Kruso knapp. »Sie kennt sich damit inzwischen genauso gut aus wie eine Ärztin.«
»So.« Frau Rusowski holte eine Blechdose aus einer Tasche, legte sie auf dem Tisch ab und wühlte darin herum. »Hier.« Sie drückte zwei Kohletabletten aus einer Packung, schmierte etwas Leberwurst auf einen Finger, klebte die Tabletten hinein und schob Poppy den Finger in den Mund. Die sah mich an, als wolle sie sich eine Erlaubnis holen, und leckte den Finger dann willig ab. »Bestens.« Frau Rusowski wühlte wieder in der Dose und zog schließlich eine Ampulle und eine Spritze heraus. Ich legte sofort meine Arme schützend über Poppy.
»Soll sie leben oder sterben?« Frau Rusowski sah mich an, die Spritze in der Hand.
»Leben«, presste ich hervor. »Natürlich leben.«
»Eben.« Und zack, hatte sie Poppy die Spritze in ihr weiches Hinterteil gesteckt. Poppy zuckte kaum merklich, während ich immer hysterischer wurde.
»O mein Gott, Poppy!« Ich drückte sie an mich und zitterte wie verrückt. Die Tür flog auf. Ute. Leons Mutter.
»Avi, meine Süße.« Sie stürzte auf mich zu und umarmte mich. »Ich hab es gerade gehört.« Dann sah sie Frau Rusowski, die noch die Spritze in der Hand hatte. »Ah, Sybill, zum Glück hast du alles da.« Sie klopfte auf ihre Tasche und lachte übertrieben. »Ich hab vorsichtshalber auch alles dabei.«
»Ist schon erledigt.« Die Frauen umarmten sich wie alte Freundinnen. Ich nahm es verblüfft zur Kenntnis.
»Ich …« Ute blickte Sybill traurig an.
»Ich weiß«, sagte diese. »Du musst nichts sagen.« Sie zeigte auf eine bestickte Decke, die an der Wand hing: Ein fröhlich Gesicht ist das beste Gericht.
Ute lächelte traurig. »Ach, Sybill.«
Sybill lächelte zurück. Ich kapierte nichts. Was ging hier eigentlich vor? Kruso stand neben mir und legte eine Hand auf meine Schulter. Meinen fragenden Blick beantwortete er mit einem Lächeln. Waren die alle irre?
Leon kam herein. Endlich jemand, auf den ich mich verlassen konnte. Er blickte unsicher umher, bis er Poppy gefunden hatte. »Und? Wie geht’s ihm?«
»Ich glaube, ihr geht’s besser.« Poppy atmete regelmäßig und schien zu schlafen. Leon lächelte. Seine hellen Augen funkelten wie Sterne in dieser düsteren Küche. Und dann erloschen die Funken plötzlich, als sein Blick auf Krusos Hand fiel, die immer noch wie selbstverständlich auf meiner Schulter lag. Er sah mich fragend an.
»Zum Glück hat Kruso gleich geholfen«, sagte ich entschuldigend. Dabei gab es doch nichts zu entschuldigen. Es schien aber so, als wäre in diesem Moment ein Schatten über Leon gefallen, ein merkwürdig eisiger Schatten, der ihn in etwas unheimlich Fremdes tauchte.
»Wir bringen die beiden wohl besser nach Hause.« Ute strich mir über die freie Schulter. »Danke, dass du sofort zur Stelle warst.« Sie lächelte Kruso an, der endlich seine Hand herunternahm, als hätte er nur auf eine Ablösung gewartet.
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