Wir berechneten, wie viele Bücher Österreich brauche, wenn mehr als 40.000 Lesesäle, die Österreich besitzt, mit so großen Mengen von Büchern dotiert sind, und noch so bedeutende Reservoirs in großen Zentralbibliotheken bestehen, aber Dr. Kolb sagte, dass die Landgemeinden durchaus einen geringeren Bibliotheksstand hätten und nur die Bezirksbibliotheken, deren es 2.000 gäbe, reichhaltig ausgestattet seien. – Zwirner habe ihm übrigens erzählt, dass nach seinen Forschungen schon im 19. Jahrhunderte Deutschland allein jährlich über 6.000 Werke von oft vielen Bänden und großen Auflagen druckte und man also wohl auf eine Jahresproduktion von 10 Millionen Bänden jährlich in Deutschland für jene Epoche schließen könne. Die vergleichsweise Bücherarmut jener Zeit sei nur daraus erklärlich, dass die Bücher meist jahrelang bei Buchhändlern müßig standen, dann kaum einmal gelesen wurden und wieder in Privatbücherregalen verstaubten, während jetzt jeder Band aus der Buchbinderei in die Bibliothek wandert. Die Jahresproduktion betrage jetzt in Österreich alljährlich 40 Millionen Bände, also etwa viermal so viel, als im 19. Jahrhunderte in Deutschland, und etwa 20 Millionen Bände würden jährlich ausgemustert und wieder in die Papierfabriken geliefert, daher der Jahreszuwachs 20 Millionen Bände beiläufig betrage, und da dieser Zuwachs in den letzten 20 Jahren konstant blieb, so ergebe das allein für diese Jahre 400 Millionen Bände und erhöhe sich die Mannigfaltigkeit der Werke erstaunlich durch den internationalen Tausch, beziehungsweise internationalen Buchhandel, der meist 5 Millionen Bände im Jahre betrage. Es belaufe sich die Zahl der jährlich aufgestellten inländischen und ausländischen Werke auf 50.000. – Außerordentlich verschieden allerdings sei die Zahl der Exemplare, da man von manchen Werken 45.000 Exemplare auflege, von vielen ausländischen Werken aber nur ein einziges beziehe. Wir bestritten die Möglichkeit, die Jahreskataloge im Drucke zu veröffentlichen, aber Dr. Kolb versicherte, er habe bei Zwirner einen Warenkatalog von einem gewissen Rix in Wien aus dem 19. Jahrhunderte gesehen, worin Kinderspielwaren und anderer Tand bis zu einem Preise von 5 Kreuzern verzeichnet waren. Viel mehr als das könne man für die Literatur tun. Übrigens werden chinesische, japanische und andere Werke der fremdesten Literaturen meist nur summarisch der Zahl und dem Gegenstande nach am Schlusse des Katalogs erwähnt.
Wir glaubten, eine Jahresproduktion von 40 Millionen Bänden müsste die nationalen Papiervorräte erschöpfen, aber auch das widerlegte Dr. Kolb, indem er darauf verwies, dass man den Papierverbrauch in Österreich schon im Jahre 1890 auf 3-1/2-Kilogramm per Kopf der Bevölkerung berechnete und jetzt betrage er 5 Kilogramm per Kopf. Da nun der Papierverbrauch per Band durchschnittlich nicht einmal ein halbes Kilogramm betrage, sei es leicht ausführbar, für jeden Kopf der Bevölkerung einen Band jährlich zu präliminieren.
Das führte uns noch einmal auf das Verlagswesen, worüber uns Zwirner erschöpfende Mitteilungen nicht gemacht hatte. Dr. Kolb sagte, es seien für den öffentlichen Verlag 3.000 Werke mit 40 Millionen Einzelbänden jährlich präliminiert und sei das Verlagsrecht gewissermaßen budgetmäßig auf Zivilliste, Reich, Provinzen, Kreise aufgeteilt und könne sogar jede Gemeinde nach einem 40-jährigen Turnus einen Band auf Rechnung des öffentlichen Verlags in 1.000 Exemplaren drucken lassen. Der Verfasser reiche also das Manuskript der Zentralregierung ein, welche die ausgestoßenen Manuskripte an die Provinzverwaltungen gebe und so weiter. Aber der Verfasser könne sich auch direkt an die Zivilliste oder einen Kreis, eine Gemeinde &c. wenden. Wer seit fünf Jahren Mitglied des literarischen Vereines sei, könne 1.000 Exemplare eines einbändigen Werkes auch in Druck legen, ohne jemandes Erlaubnisse einzuholen.
Das verhalte sich so. Wie schon erwähnt, können die Bibliotheken ihre Arbeit unmöglich vollkommen bewältigen. Sie würden zwar von Professoren und Studenten unterstützt, aber auch das genüge nicht und man habe daher einen literarischen Verein gegründet, der jetzt weit über 50.000 Mitglieder in allen Teilen des Reiches zähle und sich nach Sprachen Wissenschaften und Literaturzweigen in Sektionen und Unterabteilungen gliedere.
Die Regierung stelle dem Vereine ein Zentralbüro, das sich derzeit in St. Pölten befinde, eine Druckerei und Buchbinderei und jährlich eine bestimmte Menge Druckpapier zur Verfügung und könne der Verein einmal jährlich 100 Werke auswählen, die auf Rechnung des öffentlichen Verlages gedruckt werden, er könne aber auch selbst Werke drucken. Letztere Werke müssten die Mitglieder, welche sie verfasst haben, selbst setzen und es machten daher nicht viele von dem Verlagsrechte Gebrauch.
Der Verein habe dagegen der Regierung gewisse Dienste zu leisten. Sie weise den Mitgliedern Manuskripte zur Begutachtung und die ausländischen Werke zur Bearbeitung für die Bibliothekszwecke zu. Alle Vereinstätigkeit sei aber freie Wirksamkeit und könne in die geregelte Arbeitsleistung nicht eingerechnet werden.
Es war Mitternacht und wir ergingen uns noch im Mondscheine im Garten und Dr. Kolb, der als alter Herr aufstehen kann, wann es ihm gefällt, war so gut, uns noch Gesellschaft zu leisten, wobei er uns auf die Straße führte und zeigte, dass eben jetzt der Lastenverkehr beginne, der Waren und Vorräte von den Bahnhöfen in die Quartiere bringe und dann den Unrat wegschaffe, was täglich geschehe. Der letztere Dienst gehe nur junge Leute der bestimmten Altersklassen an, aber die meisten hauptstädtischen Dienstleistungen würden, wie wir schon gehört hatten, von den alten Herren des Arbeiterberufes besorgt. Es lebten an 60-70.000 solcher Pensionisten in Wien, welche aber meist wieder nach einigen Jahren auf diese Art von Pfründe verzichteten, weil die Österreicher es nicht lange in einer Großstadt aushielten. Von jenen Pensionisten hätte jeden Tag in der Woche der siebente Teil Dienst, trüge gewisse Abzeichen und besorge neben der Aufsicht auf den Straßen und in den öffentlichen Gebäuden manche hauswirtschaftliche Arbeiten, den Briefdienst u.s.w., insbesondere auch die Schneesäuberung und die Lenkung der Wagen und Pferde. Jeder Ältere wähle sich den Standort, der ihm gefällt, und die Jüngeren müssten die zugewiesenen Arbeiten übernehmen.
Eben waren die Unratsgefäße weggefahren worden und die jüngeren Männer, die den Dienst hatten, entstiegen den unterirdischen Kanälen. Dr. Kolb regte den Gedanken an, dass wir uns die Kanäle besehen sollten. Einer der jungen Männer stieg wieder hinab und wir folgten auf einer eisernen Leiter. Die durch das ganze Quartier verzweigten Kanäle sind mehr als mannshoch, ganz trocken betoniert, können mit Glühlampen erleuchtet werden und, was uns verwunderte, es war merklich übler Geruch kaum wahrzunehmen. Die Kanäle stehen nämlich mit mächtigen Essen in Verbindung, in welchen immer Feuer unterhalten wird, und außerdem setzt man vor dem Abstieg in den Kanal einen mächtigen Ventilator in Bewegung.
Dr. Kolb empfahl sich jetzt und sagte, er müsse am nächsten Tage früh nach Tulln zur Vorbereitung der Regatta fahren, und es stehe uns frei, mitzufahren oder uns an eine andere Begleitung weisen zu lassen oder auf eigene Faust zu flanieren. Letzteres wollten wir wagen und Mr. Forest sagte leise zu mir, er hätte längst gewünscht, die Begleitung los zu werden, die uns offenbar jeden Einblick in die Gebrechen der Zustände entziehe.
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