»Oder bist du vielleicht verliebt?«, bohrte sein Oheim erbarmungslos nach.
»Es gibt da jemanden«, gab Munuel zu. »Aber verliebt? Nein, ich denke nicht.« Er fühlte, dass er jetzt Islin verriet, aber es war nun mal die Wahrheit. Er mochte sie sehr, aber echte Verliebtheit war dann doch etwas anderes.
»Dann gibt es nur eine Antwort darauf«, sagte Gelmard.
»Und die wäre?«
Gelmard beugte sich zu Munuel vor und sah ihn eindringlich an. Er deutete mit dem Finger auf seine Brust.
»Du steckst immer noch in diesem Fass. In dem Apfelfass, in dem du dich vor den dunklen Horden versteckt hieltst. Du steckst da drin, zitterst vor Angst, und fürchtest dich vor deinem eigenen Schatten. Du musst endlich damit abschließen, mein lieber Neffe. Dein Trauma überwinden. Sonst wirst du niemals einen Fuß aus diesem Dorf setzen, so wahr ich Gelmard heiße. Also gib dir einen Ruck.«
Munuel seufzte. So hatte er das noch nie gesehen. Er steckte immer noch in diesem Fass? Ja, das war durchaus möglich. Aber er war noch nicht überzeugt.
»Lieber Onkel, ja die Kräfte wissen, dass ich aus dem Quark kommen sollte, aber muss es ausgerechnet eine so lange Reise sein, deren Ausgang ungewiss ist? Ginge es darum, den Orden zu retten, oder meinethalben die ganze Welt, gegen Monster und Dämonen zu kämpfen, oder meinetwegen auch nur darum, dir einen neuen Zaubertrick beizubringen, aber eine Reise mit der verwöhnten Tochter des Shabibs, die von Magie keine Ahnung hat …«
»Was soll das denn heißen?«, unterbrach hier Limlora empört. »Ich weiß, ich bin eine Novizin, aber das bedeutet nicht, dass ich gar keine Ahnung hätte.«
Munuel sah sie an. »Novizin? Mit Verlaub, Hoheit, aber Ihr seid nicht mal eine Novizin.«
»Woher wollt ihr das wissen?«
»Ein Magier sieht sowas.«
»Dann testet mich doch!«, sagte sie bockig.
Munuel lachte. »Ich soll Euch testen? Ich wette, das hat Gelmard längst getan. Onkel? Was sagt ihr zum magischen Talent Eures Schützlings?«
Gelmard strich sich über seinen langen Bart. »Nun ja. Sie ist … lernbegierig.«
»Diese Antwort genügt. Es ist nicht an mir, Euch zu testen, Hoheit. Das würde ja bedeuten, dass ich das Urteil meines Oheims und zugleich das des Primas des Cambrischen Ordens infrage stelle. Wer bin ich, dies zu tun?«
Limlora wollte erneut auffahren, doch Gelmard legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm.
»Eine weise Antwort. Und ganz typisch für Munuel. Lassen wir es gut sein.«
Munuel schnappte sich einen weiteren Hühnerknochen, obwohl sein Wams »Tu’s nicht!« schrie. »Das ändert aber nichts an meinem Entschluss, euch nicht zu begleiten. Ich werde hier gebraucht. Ich gehe hier nicht weg.«
Gelmard schwieg missmutig. Eine Weile waren nur Kaugeräusche zu hören.
»Und?«, fragte dann sein Onkel, das Thema wechselnd. »Wann stellst du mir den großen Meister vor? Gleich jetzt?«
»Lasst mich noch die Bezahlung regeln. Ihr seid meine Gäste.«
»Habt Dank«, ließ sich da Limlora huldvoll vernehmen. »Führt ihr nur mal eure großmagischen Gespräche. Ich mache dann solange Prinzessinnenzeugs. Ich schaue nach Marco.«
ooOoo
Eine Stunde später waren Gelmard und Munuel auf dem Weg zum Fluss. Eine Weile gingen die beiden Magier wortlos nebeneinander her. Als sie am Ulmenplatz angekommen waren, brach Gelmard das Schweigen.
»Du glaubst nicht, dass sie talentiert ist, nicht wahr?«
Munuel schnaubte verächtlich. »Du sprichst von Prinzessin Limlora? Talent für was? Ich wäre erstaunt, wenn sie das Trivocum überhaupt sehen könnte.«
»In Theorie ist sie gut«, erwiderte Gelmard verteidigend.
»Ja, in der Theorie kann man auch gut sein, wenn man nur fleißig paukt. Das nützt in der Praxis herzlich wenig. Hat sie schon die ersten Übungen gemeistert?«
Gelmard nickte und schaute betrübt. Dann sagte er:
»Sie hat ein Loch ins Trivocum gerissen. Es war zwar nur ein kleines, und ihr Missgeschick mag erheiternd gewirkt haben, aber nichtsdestotrotz war es ein Loch. Wenn auch ein Winziges.«
Munuel schüttelte unwillig den Kopf. »Du weißt, es ist egal, wie klein es war, dann hat sie auf ganz natürliche Weise rohe Magie angewandt, als ihre Elementarmagie nichts bewirkte. Und dir ist klar, was das bedeutet.«
»Leider ja. Sie gibt sich keine Mühe, das Trivocum zu schonen. Sie geht den Weg der Bequemlichkeit, was ihr als fahrlässig ausgelegt werden könnte. Sie stochert blind im Trivocum herum, in der Hoffnung, etwas zu bewirken, aber sie geht völlig planlos vor. Sie ist wie ein Anfänger der Laute, der immer nur leere Saiten spielt, weil es ihm zu anstrengend ist, einen Akkord zu lernen. Und was das Schlimmste ist: Sie denkt nicht beim Lernen und lernt, ohne zu denken. Das ist gefährlich.«
»Also ist sie eher eine Gefahr für sich selbst?«
»Jetzt übertreibst du. Sie ist noch sehr jung. Sie kann sich entwickeln.«
Munuel blieb stehen und sah seinen Mentor an.
»Glaubst du das wirklich? Das würde für einen einfachen Dorfschüler gelten, weil der Respekt vor seinen Lehrmeistern hat. Aber sie ist eine Prinzessin. Sie ist gewohnt, dass sie alles auf Zuruf bekommt, was sie will. Sie hat keinerlei Respekt, da ja alle Welt Respekt vor ihr haben muss. Sie ist von sich so eingenommen, dass sie glaubt, schon alles zu können und alles zu wissen. Wie soll sich das jemals ändern, wenn sie nur von Speichelleckern umgeben ist?«
»Jetzt vergreifst du dich im Ton, junger Dorfmagier!«, donnerte Gelmard. »Ich gehöre zufällig zu ihrem Umfeld.«
»Verzeih, Oheim, dich hatte ich da nicht mit einbezogen. Aber du weißt, was ich meine.«
»Ja«, brummelte der Ältere. »Aber du solltest dich entscheiden, warum du ihr nichts zutraust. Weil sie unbegabt ist oder aufgrund ihrer höfischen Herkunft. Das eine ist ein sachlicher Einwand, das andere nur Ressentiment!«
»Da hast du recht, Oheim, » sagte Munuel zerknirscht. »Ich bin voreingenommen.«
Munuel setzte seinen Weg fort.
»Kommen wir zu was anderem, Oheim. Warum hast du auf Lohtsé so reagiert? Seid ihr euch etwa früher schon mal begegnet?«
Gelmard seufzte. »Ich habe befürchtet, dass du mich das fragen würdest. Ja, es stimmt. Ich kenne den großen Lohtsé. Und ich habe nicht die besten Erinnerungen an ihn. Ich will wissen, was er hier will. Was er von DIR will.«
»Und du meinst, das sagt er dir so einfach?«
Gelmard schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Er war damals schon ein legendärer Geheimniskrämer. Aber wir sind da.«
Sie hatten inzwischen das Flussufer erreicht. Dort saß noch immer Lohtsé an den Felsen gelehnt. Und er las in einem kleinen Buch, welches er auf seinen Schenkeln liegen hatte. Dabei formten seine Lippen die Worte mit.
Munuel und Gelmard näherten sich mit Bedacht und blieben in respektvollem Abstand stehen.
»Ich grüße Euch, Gelmard, Primas des Cambrischen Ordens und Berater des Shabibs von Savalgor« sagte Lohtsé, ohne von seinem Buch aufzublicken. »Setzt Euch zu mir.«
Gelmard und Munuel sahen sich an und setzten sich, wobei sie den alten Magier links und rechts flankierten. Jetzt sah Lohtsé endlich von seiner Lektüre auf und blickte Munuel direkt an. Munuel erkannte, dass sich die grauenvollen Entstellungen im Gesicht des Magiers teilweise zurückgebildet hatten. Nun wirkten sie wieder wie Tätowierungen.
»Es sind die Zeilen in diesem Buch«, erklärte Lohtsé, der die Verwunderung in Munuels Gesicht richtig deutete. »Sie haben große Macht und verschaffen mir immer wieder noch ein wenig Zeit. Doch auf Dauer ist die Veränderung nicht aufzuhalten.«
»Ich muss gestehen, ich bin einigermaßen überrascht, Euch hier in Angadoor vorzufinden. Seit wann habt Ihr Hegmafor verlassen?«, fragte Gelmard mit Ungeduld in der Stimme.
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