Susan Hill - Das Gemälde

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Karneval in Venedig, Gondeln auf dem Canal Grande, bunte Masken, Gaukler, Jongleure und Musikanten. Trotz der heiteren Szenerie geht von dem altmeisterlichen Ölgemälde, das in Professor Parmitters Büro in Cambridge neben dem Kamin hängt,
eine Bedrohung aus. An einem bitterkalten Januarabend erzählt der passionierte Kunstsammler seinem ehemaligen Studenten Oliver von der dunklen Macht des mysteriösen Venedig-Gemäldes: Menschen soll es verschlungen, Tote sichtbar gemacht haben. Eine Gräfin aus Yorkshire wollte dem Professor das Gemälde abkaufen, ganz gleich zu welchem Preis. Sie war überzeugt, ihr auf der Hochzeitsreise verschwundener Ehemann sei darin gefangen. Parmitter hat sich gesträubt, das allerdings bald bereut. Und Oliver ahnt nicht, dass die Geschichte sich fortschreibt und der Fluch des Gemäldes auf seinen nächsten Besitzer übergehen wird.

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Susan Hill

Das Gemälde

Eine Gespenstergeschichte

Roman

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

Gatsby

Stephen Mallatratt zum Gedenken in Liebe und Dankbarkeit

Prolog

Die Geschichte wurde mir von meinem alten Tutor Theo Parmitter erzählt, während wir an einem bitterkalten Januarabend in seinen College-Räumen am Kamin saßen. In jenen Tagen gab es noch echte Kaminfeuer, die Kohlen vom Diener in großen Messingschütten heraufgetragen. Ich war aus London gekommen, um meinen alten Freund zu besuchen, der inzwischen weit in den Achtzigern war, gesund und munter und nach wie vor von scharfem Verstand, jedoch durch eine starke Arthritis in seiner Bewegungsfähigkeit so eingeschränkt, dass er seine Räume nur unter Schwierigkeiten verlassen konnte. Das College sorgte gut für ihn. Er gehörte zu einem aussterbenden Menschenschlag – der alte Cambridge-Junggeselle, dem das College die Familie ersetzte. Seit über fünfzig Jahren lebte er in dieser angenehmen Wohnung und würde hier auch zufrieden sterben. Mittlerweile hatten es sich eine Reihe von uns – seine ehemaligen Studenten aus zurückliegenden Generationen – zur Angewohnheit gemacht, ihn von Zeit zu Zeit zu besuchen, um ihm Neuigkeiten und ein wenig frischen Wind aus der Welt da draußen zu bringen. Denn er liebte diese Welt. Er begab sich nur noch selten hinaus, doch er liebte den Klatsch, hörte gerne, wer welche Stellung bekommen hatte, wer erfolgreich war, wer für dieses oder jenes hohe Amt auf der Vorschlagsliste stand und wer in welche Skandale verwickelt war.

Ich hatte mein Bestes getan, ihn während des Nachmittags und beim Abendessen zu unterhalten, das uns in seinen Räumen serviert wurde. Ich wollte über Nacht bleiben, mich mit ein oder zwei anderen Leuten treffen und einen kurzen Spaziergang durch mein altes Revier machen, bevor ich am nächsten Tag nach London zurückkehrte.

Aber ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich nur aus Mitgefühl einen alten Mann besuchte, der mir seinerseits wenig zu bieten hatte. Im Gegenteil, Theo war eine enorme Bereicherung, geistreich, scharfsinnig und treffsicher, ein wahrer Quell an Geschichten, die nicht nur die weitschweifigen Reminiszenzen eines alten Mannes waren. Er war ein wunderbarer Gesprächspartner – alle, selbst die jüngsten Fellows, hatten stets darum gewetteifert, beim Dinner in der Halle neben ihm zu sitzen.

Es war die letzte Ferienwoche, und im College herrschte Stille. Wir hatten gut gespeist, eine gute Flasche Bordeaux getrunken und streckten uns jetzt bequem in unseren Sesseln an einem gemütlichen Feuer aus. Doch der Winterwind, der wie immer direkt von den Fens kam, heulte um das Gebäude, und gelegentlich prasselten Hagelschauer gegen die Scheiben.

Unsere Unterhaltung war während der letzten Stunde allmählich zum Erliegen gekommen. Ich hatte von all meinen Neuigkeiten berichtet, wir hatten die Welt wieder ins Lot gebracht, und nun, vor dem lodernden Feuer, war das Gespräch ein wenig abgeflacht. Es war sehr behaglich, hier im Lichtschein der beiden Lampen zu sitzen, und ein paar Augenblicke lang meinte ich, Theo sei eingenickt.

Doch dann sagte er: »Wärst du eventuell bereit, dir eine merkwürdige Geschichte anzuhören?«

»Sehr gerne.«

»Merkwürdig und ein wenig verstörend.« Er bewegte sich auf seinem Sessel. Er klagte nie, aber ich vermutete, dass ihm die Arthritis beträchtliche Schmerzen bereitete. »Genau die richtige Geschichte für so einen Abend.«

Ich warf ihm einen Blick zu. Sein Gesicht, erhellt vom Flackern des Feuers, zeigte einen so ernsten Ausdruck – ich würde beinahe sagen, todernst –, dass es mich erschreckte. »Mach daraus, was du willst, Oliver«, sagte er leise, »aber ich versichere dir, dass die Geschichte wahr ist.« Er beugte sich vor. »Könnte ich dich darum bitten, die Whisky-Karaffe näher zu stellen, bevor ich beginne?«

Ich stand auf und ging zu dem Bord mit den Getränken, und während ich das tat, sagte Theo: »Meine Geschichte handelt von dem Bild zu deiner Linken. Kannst du dich überhaupt noch daran erinnern?«

Er deutete auf ein schmales Wandstück zwischen zwei Bücherregalen, das in tiefem Schatten lag. Theo war immer als gewiefter Kunstsammler bekannt gewesen, als Besitzer einiger recht wertvoller Zeichnungen alter Meister und Aquarelle aus dem achtzehnten Jahrhundert, alle, wie er mir einst erzählt hatte, in seinen jungen Jahren für bescheidene Summen erworben. Ich kenne mich mit Malerei nicht besonders aus, und sein Geschmack entsprach nicht so ganz dem meinen. Aber ich trat zu dem Bild, auf das er deutete.

»Schalte die Lampe dort an.«

Obwohl es ein etwas dunkles Ölgemälde war, konnte ich es jetzt recht gut erkennen und betrachtete es interessiert. Es stellte eine venezianische Karnevalsszene dar. Auf einen Landungssteg neben dem Canal Grande und über den Platz dahinter schob sich eine Menschenmenge in Masken und Umhängen, unter ihnen Gaukler – Jongleure, Akrobaten und Musikanten –, die in Gondeln stiegen, andere bereits auf dem Wasser, die Boote so eng beisammen, dass die Stangen der Gondolieri aneinanderprallten. Das Bild war typisch für jene, deren Schauplätze durch Laternen und Fackeln erleuchtet werden, welche hier und dort einen unheimlichen Schimmer werfen, Gesichter und Farbtupfer der Kleidung und das silbrige Kräuseln des Wassers erhellen, während andere Teile in tiefem Schatten bleiben. Ich fand, dass es etwas Gekünsteltes hatte, aber sicherlich war es ein vollendetes Werk, zumindest für meine unerfahrenen Augen.

Ich schaltete die Lampe aus, und das Bild mit seinen leicht sinistren Nachtschwärmern zog sich wieder in seine dunkle Ecke zurück.

»Ich glaube nicht, dass ich es schon einmal bemerkt habe«, sagte ich und schenkte mir einen Whisky ein.

»Besitzt du es schon lange?«

»Länger, als ich das Recht dazu hatte.«

Theo lehnte sich in seinem tiefen Sessel so weit zurück, dass auch er nun im Schatten war. »Es wird eine Erleichterung sein, jemandem davon zu erzählen. Das habe ich noch nie getan, und es war eine Last. Vielleicht macht es dir nichts aus, mir einen Teil dieser Last abzunehmen?«

So hatte ich ihn noch nie sprechen hören, noch nie diesen todernsten Klang vernommen, aber natürlich zögerte ich nicht, ihm zu versichern, dass ich alles tun würde, was er wünschte, ohne mir jemals vorstellen zu können, was es mich kosten würde, ihm »einen Teil der Last« abzunehmen, wie er es nannte.

1

Meine Geschichte beginnt vor etwa siebzig Jahren, in meiner Kindheit. Ich war ein Einzelkind, und meine Mutter starb, als ich drei Jahre alt war. Ich habe keine Erinnerung an sie. Heutzutage würde sich ein Vater vielleicht bemühen, das Kind allein großzuziehen, zumindest bis er eine zweite Frau findet, aber damals waren die Zeiten ganz anders, und obwohl er mir sehr zugeneigt war, hatte er keine Ahnung, wie man einen kaum den Windeln entwachsenen Jungen versorgte, daher wurden eine Reihe von Kindermädchen und dann Gouvernanten eingestellt. Sie waren alle durchaus freundlich und gutwillig, alle tüchtig, und auch wenn ich mich nur wenig an sie erinnere, verspüre ich eine allgemeine Wärme ihnen gegenüber und der Art, wie sie mich ins Knabenalter führten. Doch meine Mutter hatte eine Schwester, verheiratet mit einem wohlhabenden Mann, der einen beträchtlichen Landbesitz in Devon hatte, daher verbrachte ich von meinem siebten Lebensjahr an viele Ferien bei ihnen, und es waren idyllische Zeiten. Mir wurde erlaubt, mich frei zu bewegen, ich genoss den Umgang mit den einheimischen Jungen – meine Tante und mein Onkel hatten keine Kinder, doch mein Onkel hatte einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe, dessen Mutter im Kindbett gestorben war – und die Gesellschaft der Pächter, der Dorfbewohner, der Pflüger und Schmiede, Pferdeknechte und Heckenschneider und Grabenbauer.

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