Fredricks trat nun neben ihn. »Was war es denn?«
Kirk überlegte kurz, aber er wusste, dass es eigentlich nur eines sein konnte. Was auch immer das Echozeichen ausgelöst hatte, war nämlich nicht vom Wasser gekommen, sondern laut Flugbahn vom Himmel gefallen.
»Ich glaube, es war ein Meteorit, der vor der Küste runtergekommen ist.«
Fredricks lachte hysterisch auf. »Ein Meteorit? Wirklich? Deswegen machen Sie hier so ein Theater?«
Auch wenn es nicht der Rede wert zu sein schien, musste der relativ belanglose Vorfall laut McMurdo-Protokoll aufgezeichnet werden. Kirk zog daher einen roten Aktenordner aus seiner Schreibtischschublade, aber der Commander winkte ab.
»Sparen Sie sich die Mühe«, sagte Fredricks. »Das war doch nur ein Meteorit. Ich bezweifele stark, dass sich zu Hause irgendjemand um einen weiteren Weltraumkiesel schert.«
»Aber, Sir …«
»Wissen Sie was?«, unterbrach ihn Fredricks und wedelte mit der Hand. »Wenn es Sie beruhigt, können Sie die Landungskoordinaten ja notieren, aber legen Sie um Himmels willen keinen kompletten Bericht an.« Er drehte sich um und ging davon. »Denn ich habe weder die Zeit noch die Geduld, mich um solche Bagatellen zu kümmern.«
Südpolarmeer
Heute
»Wonach suche ich hier eigentlich, Doc?«
Dr. Seth Donovan rieb sich seine Stirn und wollte nichts lieber, als durch sein Mikrofon zu greifen und den Mann am anderen Ende der Leitung zu erwürgen, denn Donovan hasste es, so eng mit den Hilfskräften zusammenarbeiten zu müssen. Die Leute aus seiner Wissenschaftsabteilung hatten sich, seit sie zur Antarktis aufgebrochen waren, nicht mit der Mannschaft der Endeavor verstanden.
Als Leiter des Teams trieb er seine vierzigköpfige Gruppe nur auf ein einziges, gemeinsames Ziel zu: wissenschaftlichen Fortschritt. Sie forschten unablässig und sie hörten niemals auf, an ihre Grenzen zu gehen. Ihm war schon häufiger gesagt worden, dass seine Ziele unerreichbar waren. Das erste Mal während des Studiums für mehrere akademische Abschlüsse, die er schließlich aber erhalten hatte. Die nächste Erinnerung stammte aus der Zeit, als er sich für diese Antarktis-Mission beworben hatte. Nun, am Ende seiner Zeit auf der Endeavor , war es wieder einmal zur Sprache gekommen.
Er hatte allen daraufhin gesagt, dass sie ihn am Arsch lecken könnten.
Niemand mochte Seth Donovan, aber es war ihm ziemlich egal, was andere von ihm hielten. Er kletterte im Gegenzug bei DARPA extrem schnell die Erfolgsleiter hoch, vor allem im Bereich Genetik. Seine Anliegen waren mit denen seiner Arbeitgeber, die seine lukrativen Gehaltsschecks unterschrieben, identisch: Das Land zu beschützen, mit den Mitteln, die er zur Verfügung stellte.
Doch Donovan hatte ein noch höheres Ziel. Mehr als alles andere, wollte er den Ruhm, der mit dem Erfolg einherging.
Die verdiente Beförderung, die ihm damit garantiert war, würde ihm endlich den Respekt all der Leute, die ihn stets verspottet hatten, einbringen. Selbst, wenn es nur vorgetäuschte Bewunderung war, wäre er damit in einer Position, in der man ihm tatsächlich den Arsch küssen müsste.
Er schob die Visionen, in denen er Preise gewann und Geldprämien einheimste, beiseite und konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Matrosen in dem ADS-Anzug.
Der Panzer-Tauchanzug ähnelte einer aufgeblasenen Ritterrüstung. Die Männer an Bord der Endeavor nannten diese spezielle Ausführung Bibendum. Genau wie sein Namensgeber, das Michelin-Männchen, war der modifizierte Newtsuit weiß und ließ seinen Träger äußerst pummelig und unbeholfen aussehen.
Das Gleiche ließe sich allerdings auch von einigen Männern an Bord behaupten.
Donovan tippte auf den Wearable-PC an seinem Handgelenk, aktivierte sein Mikrofon und sprach durch seine zusammengebissenen Zähne: »Wir suchen nach einer extrem seltenen Oktopus-Art, die durch Biolumineszenz Licht erzeugen kann – eine, die bis vor etwa zehn Jahren in dieser Gegend noch nicht existiert hat.«
»Äh …«, stammelte der Mann. »Nur, dass ich das richtig verstehe … ich soll eine leuchtende Krake einfangen?«
Eine leuchtende Krake , dachte Donovan und schloss seine Augen. Bin ich hier denn nur von Arschlöchern und Idioten umgeben? Noch bevor er das Schiff betreten hatte, war ihm bewusst gewesen, wie sehr die Seeleute seine Geduld strapazieren würden.
Aber es war sogar noch viel schlimmer, als er erwartet hatte.
»Es heißt nicht die Krake«, korrigierte er den Mann. »Es ist ein hochgiftiger Verwandter des tödlichen Blaugeringelten Kraken.«
Donovan erlaubte sich ein selbstgefälliges Lächeln, als der Taucher verstummte. Das gab ihm ein Gefühl von Kontrolle. Er ließ sich nicht anmerken, dass seine Aussage technisch gesehen eigentlich falsch war. Ja, das Tier, nach dem sie suchten, war außergewöhnlich gefährlich, aber es war nicht mit dem berüchtigten blaugeringelten Kopffüßer verwandt.
Na ja, ebenso wie die Menschen alle miteinander verwandt sind, so sind, rein theoretisch, ja auch all diese Dinger miteinander verwandt.
»Aha«, meinte der Taucher und atmete nun etwas entspannter. »Na, dann wollen wir mal loslegen.«
Donovan koordinierte den Abstieg aus sicherer Entfernung, in einem seiner vier Labors an Bord der Endeavor . Zu seiner Rechten saß der Pilot des Tauchroboters, und der Mann zu seiner Linken steuerte neben anderen internen Systemen auch die Kameras des ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs.
Der 1,20 Meter lange, hotdog-förmige unbemannte Tauchroboter schwebte direkt an der Seite des Matrosen im Tauchanzug. Kameras an acht verschiedenen Stellen des Geräts zeichneten alles auf, was geschah, und würden das bahnbrechende Ereignis für die Nachwelt dokumentieren.
Leider würden sie auch ihren Misserfolg – seinen Misserfolg – festhalten, falls sie mit leeren Händen zurückkehrten, und alle würden es mitbekommen.
Das darf einfach nicht passieren , dachte Donovan und umklammerte den am Tisch festgeschraubten Mikrofonständer noch fester. Ich werde das nicht zulassen.
Als der zweite Techniker die Kameras einschaltete, erwachte die Unterwasserwelt der Antarktis vor ihren Augen zum Leben. Selbst ein so kalter und kalkulierender Mann wie Donovan kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und hielt ehrfürchtig die Luft an. Das Licht war leider unzureichend, denn in so großer Tiefe brachte der Tauchroboter gerade mal genug Helligkeit zustande, dass durch die Kameras etwas zu sehen war.
Die Kreaturen, die hier unten lebten, waren vermutlich sofort geflohen, denn für sie war selbst die geringste Lichtquelle blendend hell. Es würde ein quälend langsamer Prozess werden. Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, wurde das Wetter immer schlechter. Sie mussten also Vorsicht walten lassen. Donovan und der Rest der Besatzung der Endeavor hatten nur einen Tag, um zu beenden, was sie angefangen hatten, denn der Winter nahte und ihre Zeit in der Antarktis ging unaufhaltsam zu Ende.
»Ähm«, sagte der Taucher jetzt, »ich glaube, ich habe da was.«
Verdutzt hob Donovan die rechte Augenbraue. Er hatte gerade erst den Tiefenmesser überprüft und dabei gesehen, dass sie den Boden noch nicht erreicht hatten. Oktopoden waren anders als ihre Verwandten, die Kalmare. Sie zogen es vor, sich in allen möglichen Felsspalten zu verstecken, in die sie sich hineinzwängen konnten. Ihre zehnarmigen Cousins hingegen liebten die Freiheit des offenen Meeres.
»Das kann nicht sein.«
Donovan verstummte, als er das pulsierende Licht unter den Füßen des Tauchers hervorströmen sah. An dem Tauchanzug waren eine Reihe von Kameras montiert und in diesem Moment zeigten sie direkt nach unten.
»Geh ein Stück zurück«, wies ihn Donovan an, »sonst landest du noch genau darauf.«
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