Nach etwa zehn Minuten kam auch Oberkommissar Bernhard Dietl an die Unfallstelle, in solchen Fällen alarmierte die Rettungsleitstelle automatisch alles, was eventuell zu gebrauchen war, also auch die Polizei. Ein Sanka samt zwei Rettungssanitätern und Notarzt komplettierte schließlich die gesamte Blaulichtfraktion an Ort und Stelle.
»Oha!«, gab Dietl gleich einmal verblüfft von sich, als er das Ausmaß der Verwüstung mit weit aufgerissenen Augen inspizierte. »Servus Müller, was hamma denn da?«, begann er das offizielle Dienstgespräch mit dem Kommandanten.
»Mei, Bernhard, das ist mir echt unerklärlich. Ungefähr vor einer halben Stunde war ich noch beim Erwin im Haus. Und jetzt … Aus die Maus. Bums! Ende! Vorbei!«, kam seine Antwort immer noch ziemlich traumatisiert.
»Hamma Verletzte?«, mischte sich nun der Rettungssanitäter in das Gespräch ein, während sich ein Feuerwehrmann mit Atemschutzmaske dem Trio näherte. Er hielt Sepp ein etwas angekohltes Ohrwaschl unter die Nase. Dietl, der Sanitäter und Sepp wussten nicht gleich, was sie zu diesem Fund sagen sollten. Ein wenig irritiert starrten sie auf das ausgesprochen große, vermutlich linke herrenlose Ohr. Die Sprachlosigkeit wurde vom Geräusch des »maschinellen« Atmens durch die Sauerstoffmaske des Feuerwehrlers untermalt. Die ganze Situation erinnerte gezwungenermaßen ein wenig an Darth Vader in einem Star-Wars-Film. Der Sanitäter, der offensichtlich kein Unterfilzbacher war, äußerte sich als Erster zu dem Fundstück.
»Na, das sollten wir dann in die Gerichtsmedizin schicken, zur Identifizierung, oder?«
Dietl und Sepp sahen sich an und konnten trotz all der Tragik ein kleines Grinsen nicht unterdrücken.
»Sie haben den Weiderer Erwin wahrscheinlich nicht gekannt, gell?«, fragte Oberkommissar Dietl den Kollegen vom Rettungsdienst.
»Nein, wieso? Wer ist denn der Weiderer Erwin?«, kam die fragende Rückantwort.
»Also, der Weiderer wohnt – oder vielmehr wohnte – in diesem Haus. Alleine. Und ich kenn eigentlich keinen Menschen mit größeren und abstehenderen Ohren als den Erwin. Das ist eigentlich relativ eindeutig, dass dieses Ohrwaschl dem Erwin gehören muss – oder vielmehr gehört hat. Da brauchen wir eigentlich nix zu identifizieren«, sorgte der Polizist für Aufklärung.
»Ach so, na dann«, gab sich der Sanitäter auch gleich zufrieden. So wurde halt auf dem Land identifiziert. Was brauchte man da schon eine Gerichtsmedizin.
Nachdem die Feuerwehrtruppe unter anderem auch noch einen Teil des frisch operierten, mit verkohlten Pflastern und Verbänden versehenen Oberschenkels gefunden hatte, war dann klar, dass das einzige Opfer der pensionierte Erwin Weiderer war. Ansonsten wurden keine weiteren Personen und auch keine anderen Personenteile gefunden.
Die letzten Flammen waren gelöscht, die Unfallstelle entsprechend gesichert. Somit war die Arbeit von Sepp und seinen Männern getan.
»Also Bernhard, du wirst hoffentlich schon einen Brandgutachter schicken, oder?«, vergewisserte sich Sepp noch mal sicherheitshalber beim Kriminalbeamten. Eigentlich war das gängige Praxis, aber Sepp ging der arme Erwin nun nicht mehr aus dem Kopf und er musste unbedingt wissen, was genau passiert war, nachdem er das Haus verlassen hatte.
»Ja, eh klar. Wird aber halt ein bisserl dauern. Kennst ja die Gutachter, da pressiert gar nix. Den Bericht schickst mir dann zu, gell Sepp. Ich pack‘s dann wieder. Servus.«
Nach und nach entfernten sich alle wieder von der Unfallstelle und auch der Einsatztrupp fuhr nach getaner Arbeit zurück ins Feuerwehrhaus.
Nachdem der leidige Einsatzbericht fertig getippt war, brach bereits der Abend an. Hansi überredete seinen Freund noch auf eine Feierabendhalbe im Hause Scharnagl. Er sah ihm an, dass er sicher Redebedarf hatte, obwohl es schon sehr schwierig war, den Sepp zum Reden zu bewegen. Aber egal, Hauptsache, er war jetzt nicht allein, dachte Hansi.
Bei einer Brotzeit mit Bettinas veganen, selbst gezauberten Brotaufstrichen und Gott sei Dank auch noch Spezialitäten aus der Metzgerei Aschenbrenner fühlte sich Sepp im Schoße der Familie Scharnagl recht wohl und war froh um seinen Freund Hansi und dessen Fürsorge.
»Das ist ja schon sehr traurig mit dem Erwin. So alt wär er noch gar nicht gewesen, einundsiebzig glaub ich, oder?«, gab Bettina gleich einmal die Einleitung für die Diskussionsrunde zum Thema Explosion des Weiderer-Hauses.
Währenddessen packte sie alles auf den Tisch, was ihr Kühlschrank und die Speis – also die Vorratskammer – so hergaben. Die gesamte Familie Scharnagl war im Prinzip durchgehend hungrig und Bettina fühlte sich manchmal wie der Hase und der Igel gleichzeitig. Einkaufen und Kochen und wieder von vorn. Aber mit drei heranwachsenden Kindern, darunter einem kräftigen Jüngling, war das auch kein Wunder. Hansi senior war zwar schon ausgewachsen, zumindest in der Länge, aber trotzdem ebenfalls immer hungrig. Das Thema Nahrungsaufnahme war also ein wichtiger Bestandteil im Leben der Familie Scharnagl. Auch weil Bettina und der Rest sich da nicht immer einig waren. Bettina liebte vollwertige, gesunde Kost, gern auch vegan. Wobei Hansi, Isabelle, Hansi junior sowie das Nesthäkchen Indira hingegen eher die deftige bayerische Küche oder auch gern einmal Fast Food bevorzugten. Es war eine logische Konsequenz, dass es deshalb zu regelmäßigen Konflikten beim Thema Ernährung kam. Aber heute rückte das Essen aus gegebenem Anlass eher in den Hintergrund.
»Also ich weiß nicht, aber ich werd das blöde Gefühl nicht los, dass es gar kein Unfall war. Da muss jemand nachgeholfen haben«, sprach Sepp endlich aus, was ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf ging.
»Geh Sepp, wer sollte denn ausgerechnet dem Erwin was antun? Der war vielleicht manchmal ein rechtes G‘scheidhaferl und ein wenig nervig, aber ansonsten war der doch harmlos. Er muss ja sogar irgendwie beliebt gewesen sein, so lange wie er schon im Gemeinderat sitzt … ähm, saß. Irgendwer muss ihn da ja schließlich all die Jahre auch hineingewählt haben«, konnte Hansi dieser These überhaupt nicht beipflichten.
Ein paar Minuten schien es, als ob alle Anwesenden über diese zwei Möglichkeiten der Explosionsursache nachdachten, denn keiner sprach erst einmal ein Wort. Schweigend wurden Brote geschmiert oder im deftig würzigen Glaslfleisch – einer weiteren Spezialität des Metzgermeisters Reiner Aschenbrenner – herumgestochert.
»Na, so gut in Schuss war jetzt die alte Hütt‘n vom Weiderer auch wieder nicht. Der hatte ja sogar überall noch Aufputzleitungen, so was hab ich bisher noch nirgends sonst gesehen, da könnt schon auch ein Unglück passiert sein«, berichtete der Scharnagl-Sprössling Hansi junior. Er musste es wissen, denn er arbeitete als Elektriker bei Elektro Garhammer und kam in sehr viele Häuser.
»Ja schon, aber …« Sepp war sehr durcheinander.
Hansi wollte seinen Freund wieder einmal gut zureden. »Hm, also lass uns mal überlegen, Sepp. Es kann ja eigentlich nur die Gasleitung gewesen sein. Was sollt denn auch sonst explodieren? Und vielleicht hat er halt da nicht so drauf aufgepasst, auf die Leitungen, mein ich, dann könnte da eine undicht geworden sein. Und mei … weißt ja selber, Sepp, da reicht dann ja schon ein Funke.«
Sepp schien seine bohrenden Gedanken aber nicht so leichtfertig beiseiteschieben zu können. »Geh, so eine Gasleitung wird doch nicht einfach so undicht, auch wenn sie vielleicht nimmer die neueste war. Und wo soll dann bitte der Funke hergekommen sein? Der Erwin konnte ja nicht mal allein vom Bett aufstehen. Wie um alles in der Welt hätte er da einen Funken fabrizieren können?« Sepp redete sich direkt in Rage.
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