Schauen wir also genau hin, was passieren muss, um einer der wichtigsten Keimzellen unserer Gesellschaft wieder besser zu stärken. Dazu lohnt es sich, das »Gute-Kita-Gesetz« einer näheren Prüfung zu unterziehen.
Kann ein Gesetz gute Kindergärten »machen«?
Oder: Wie Politik scheinbar reagiert und sich elegant aus der Affäre zieht
Natürlich heißt das »Gute-Kita-Gesetz« gar nicht so. Tatsächlich heißt es »Kita-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz« oder wie man unter Abkürzungsfetischisten sagt: »KiQuTG«. Aber bleiben wir trotzdem bei der interessanten Formulierung, die auch vonseiten der Politik durchaus genehm zu sein schien. »Gute-Kita-Gesetz«, das soll positiv klingen, Aufbruchsstimmung hervorrufen. Vor allem aber soll es uns alle glauben lassen, es bedürfe lediglich eines simplen Gesetzes, um jahrzehntelange Misswirtschaft auszumerzen. Tatsächlich wirft diese Bezeichnung mindestens zwei Fragen auf: Wenn die Kitas nun per Gesetz »gut« gemacht werden sollen, waren sie vorher alle schlecht? Und: Ist es so einfach? Kann man die unzähligen Kitas im Land einfach per Dekret »gut« oder gar besser machen?
Zugegeben, diese Fragen sind vielleicht ein wenig spitzfindig, und vielleicht werden Sie sagen, wir sollten uns doch freuen, dass sich die Politik endlich für das Wohlergehen der Kitas interessiert. Das ist auch der Fall, in der Not greift man schließlich nach jedem Strohhalm. Letztlich gilt jedoch: Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Soll heißen: Wir freuen uns tatsächlich, dass es offenbar zumindest eine erhöhte Wahrnehmung der Probleme im Elementarbereich seitens der politischen Entscheidungsträger auf höchster Ebene gibt. Gleichzeitig jedoch weist das, was bei dieser Wahrnehmung am Ende herausgekommen ist, so entscheidende Mängel auf, dass es unerlässlich ist, das Ganze genauer unter die Lupe zu nehmen und den Entscheidungsträgern ins Stammbuch zu schreiben, warum dieses Gesetz zum Rohrkrepierer zu werden droht.
Das Gesetz trat zum 1. Januar 2019 in Kraft, also lange bevor der erste Buchstabe des Manuskriptes für dieses Buch in die Tastatur getippt war. Ende 2019, als erste Teile dieses Buches ihrer Fertigstellung entgegensahen, hatte mit Hessen endlich das letzte Bundesland den Vertrag mit dem Bund unterschrieben. Fast ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes waren also tatsächlich alle Bundesländer im Boot, und möglicherweise ist nun, da Sie dieses Buch in Ihren Händen halten, auch »schon« das erste Geld geflossen. Allein an diesem Prozedere, nämlich der dem Bildungsföderalismus geschuldeten Notwendigkeit, mit jedem Bundesland einen eigenen Vertrag abzuschließen, zeigt sich ein Grundproblem deutscher (Bildungs-) Politik. Bis Probleme erkannt und ihre vermeintlichen Lösungen in Gesetzesform gegossen sind und mit der Umsetzung begonnen werden kann, geht so viel Zeit ins Land, dass sich die bestehenden Probleme verschärft haben und neue hinzugekommen sind.
Da sich die Große Koalition nicht so richtig einig werden konnte, wofür denn die stattliche Summe von 5,5 Milliarden Euro aus dem Paket tatsächlich eingesetzt werden sollen – die CDU war mehr für Investitionen in Qualität, die SPD für eine stärkere Entlastung der Eltern bei den Beiträgen – entschloss man sich, im Gesetz zehn »Handlungsfelder« festzulegen, für die die Länder das Geld vom Bund selbstständig verwenden sollen. Das klingt dann so:
1.ein bedarfsgerechtes Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangebot in der Kindertagesbetreuung schaffen, welches insbesondere die Ermöglichung einer inklusiven Förderung aller Kinder sowie die bedarfsgerechte Ausweitung der Öffnungszeiten umfasst ,
2.einen guten Fachkraft-Kind-Schlüssel in Tageseinrichtungen sicherstellen ,
3.zur Gewinnung und Sicherung qualifizierter Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung beitragen ,
4.die Leitungen der Tageseinrichtungen stärken ,
5.die Gestaltung der in der Kindertagesbetreuung genutzten Räumlichkeiten verbessern ,
6.Maßnahmen und ganzheitliche Bildung in den Bereichen kindliche Entwicklung, Gesundheit, Ernährung und Bewegung fördern ,
7.die sprachliche Bildung fördern ,
8.die Kindertagespflege (§ 22 Absatz 1 Satz 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch) stärken ,
9.die Steuerung des Systems der Kindertagesbetreuung im Sinne eines miteinander abgestimmten, kohärenten und zielorientierten Zusammenwirkens des Landes sowie der Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe verbessern oder
10.inhaltliche Herausforderungen in der Kindertagesbetreuung bewältigen, insbesondere die Umsetzung geeigneter Verfahren zur Beteiligung von Kindern sowie zur Sicherstellung des Schutzes der Kinder vor sexualisierter Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung, die Integration von Kindern mit besonderen Bedarfen, die Zusammenarbeit mit Eltern und Familien, die Nutzung der Potentiale des Sozialraums und den Abbau geschlechterspezifischer Stereotype .
Viele schöne Worte, gleichwohl nur schwer mit Inhalt zu füllen. Allein die Tatsache, dass es den Bundesländern vollkommen freigestellt ist, wie sie die Mittel verwenden, führt dazu, dass mindestens ein großes Dilemma bereits deutlich zutage tritt und aufzeigt, warum sich qualitativ durch dieses Gesetz wohl nur wenig zum Besseren verändern wird. Dieses Dilemma hört auf den wohlklingenden Namen »Beitragsfreiheit«.
In vielen Köpfen führender Politiker hat sich die Meinung festgesetzt, dass gute Kinderbetreuung vor allem etwas damit zu tun habe, dass jeder diese geschenkt bekomme. Etwas ketzerisch könnten wir an dieser Stelle auf den alten Spruch »Wat nix kost’, dat is’ auch nix« verweisen, würden uns damit aber natürlich auf eine populistische Stufe mit der Politik stellen.
Denn die Diskussion über die Beitragsfreiheit ist vor allem genau das: populistisch. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig war beispielsweise mit dem Versprechen der totalen Beitragsfreiheit in den Wahlkampf gegangen und hatte dabei offenbar die ganze Zeit im Hinterkopf, dass sie dieses Versprechen für ihr Bundesland irgendwann auf Kosten des Bundes würde einlösen können. Und siehe da: MV ist eines der Länder, das die komplette Zuwendung dafür einsetzt, den Besuch des Kindergartens im Land kostenlos zu machen.
Aber auch in anderen Bundesländern ist ein erklecklicher Teil des Geldes dafür gedacht, die Eltern zumindest von einem Teil der Beiträge zu entlasten. Begründung unter anderem: Beitragsfreiheit animiere Eltern dazu, mehr Kinder immer früher in eine Betreuung zu schicken, da sich arbeiten stärker lohne. Nun könnte man angesichts solcher Begründungen zum einen diskutieren, wie sinnvoll es ist, immer mehr Kinder immer früher fremdbetreuen zu lassen, zum anderen zeigt das aber auch, dass der Wegfall der Beiträge gleichzeitig auch für eine noch höhere Belastung von Kitas sorgen wird, deren Bewältigung mit dem Rest des Geldes kaum aufzufangen sein wird.
Und dann ist da noch die Sache mit der Befristung. All das schöne Geld wird es nämlich nach gegenwärtigem Stand nur einmal geben. 2022 sind die 5,5 Milliarden dann verteilt und werden für was auch immer verwendet, anschließend ist der Geldhahn erst einmal wieder zu. Zwar hat die zuständige Ministerin Franziska Giffey munter getwittert, die Gelder würden »über 2022 hinaus verstetigt«, doch gibt es für diese Aussage keinerlei konkrete Grundlage. Im Gesetz steht die Befristung, alles andere sind Absichtserklärungen, von denen wir alle wissen, was sie aus dem Munde von Politikern häufig wert sind, viel mehr noch, nachdem jedem klar sein muss, dass die Folgekosten der Corona-Pandemie immens sein werden und mit Sicherheit unter anderem durch Kürzungen in verschiedenen Bereichen finanziert werden.
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