Egal ob bei Pegida-Demonstrationen, Festen der Identitären Bewegung oder beim »Neuen Hambacher Fest«, das von außen völlig harmlos wirkt – überall sind auch AfDler zugegen, die dem Flügel zuzurechnen sind. Während der Entstehung dieses Buches versuchen führende Flügelisten, sich an die Spitze der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zu setzen. Die vor allem von Verschwörungsmystikern genährten Demonstrationen richten sich in erster Linie gegen die nach Meinung ihrer Protagonisten zu harten Schutzmaßnahmen – aber in ihrer Tiefe gegen den liberalen Staat.
Zwar spielt die AfD in dieser neuen Protestwelle nicht die erste Geige, aber die durch die Corona-Krise aufkommende Wirtschaftskrise wird ihr in die Hände spielen. Auch 2015, im Jahr der »Flüchtlingswelle«, hat zu Beginn noch die Willkommenskultur die Schlagzeilen dominiert. Wirtschaftliche Folgen und gesellschaftliche Verwerfungen könnten die radikalen Kreise in der AfD aber auch diesmal langfristig profitieren lassen.
Die Ereignisse aus dem Frühjahr 2020 sind zunächst einmal ein Sieg für das gemäßigte Parteilager, allerdings gab es auch in dieser Phase starke Schwankungen im Machtgefüge.
Als im März 2020 die Auflösung des Flügels beschlossen wurde, sprach Parteichef Jörg Meuthen zunächst öffentlich davon, dessen Strukturen »zerschlagen« zu wollen. Wenig später befürwortete er die Trennung des Flügels vom »bürgerlich-konservativen Teil der AfD«, wofür er innerhalb der Partei scharf kritisiert wurde. Am Ende musste der AfD-Chef auf Druck seiner Parteikollegen öffentlich eingestehen, einen »großen Fehler« gemacht zu haben. Der Parteichef wurde vom Flügel zurechtgestutzt.
Doch Meuthen holte erneut zum Schlag aus. So stimmte der AfD-Bundesvorstand auf sein Betreiben hin im Mai für den Parteiausschluss von Andreas Kalbitz. Dass sein überraschender Rauswurf einen gewaltigen Machtkampf zwischen beiden Lagern auslösen würde, war abzusehen – und dieser Kampf zeigt ganz klar: Die gute alte Zeit der propagierten Geschlossenheit innerhalb der Partei, die es so nie gegeben hat, ist vorbei. Ohnehin haben die Flügelisten sich bereits so tief in die Strukturen der AfD eingenistet, dass sie nicht einfach entfernt werden können, ohne dass die Partei auseinanderfliegt. Temporäre Punktsiege der einen oder der anderen Seite werden daran nichts ändern.
Doch wie ist es überhaupt so weit gekommen, dass der Flügel die ganze AfD infiltrieren konnte? Wer sind seine parteiinternen Protagonisten und wer seine außerparlamentarischen Unterstützer? Wie feierte er seine internen Feste? Was sagen Parteiaussteiger heute über den Flügel? Und wer sind überhaupt die Flügelisten aus der zweiten Reihe, die hinter Höcke die AfD radikalisieren? Antworten auf diese Fragen sollen die nachfolgenden Kapitel liefern. Denn auch wenn er sich formell aufgelöst hat: Der Flügel schlägt weiter.
Einblicke von innen
Auf dem Flügelfest in Binz
Vor dem Hotel Arkona in Binz weht an einem kalten Novembertag die Deutschlandflagge. In Kürze soll dort das erste sogenannte »Flügelfest« von Mecklenburg-Vorpommern steigen. Die Presse darf nicht rein – sowieso sind nur geladene Gäste willkommen. Der Flügel will lieber unter sich bleiben.
Vorbei an Absperrungen der Polizei laufen Flügel-Anhänger auf das Hotel zu. Viele haben sich extra schick gemacht. Sie werden aus etwa 500 Kehlen ausgebuht, so viele Demonstranten sind gekommen. Sie sind deutlich einfacher gekleidet und auch ihre Botschaft ist eine andere. Sie skandieren: »Rügen ist bunt!«
Im Hotel wird es auch schnell laut, vor allem als Andreas Kalbitz ans Rednerpult tritt. Er ist im Angriffsmodus. »Das sind diese wohlstandsverwahrlosten, gentrifizierten, metrosexuellen Wesen, die sich durch Berlin-Friedrichshain quälen …«, ruft Kalbitz höhnisch und zeigt nach draußen, zu den Demonstranten. Geklatsche. »Jawoll!«, schallt es aus dem Saal. »… und sich jeden Morgen neue Geschlechtskugeln …« Satzabbruch. Gelächter. Geklatsche. Kalbitz’ Worte donnern durch die Lautsprecher, er hat seinen Saal im Griff, etwa 200 Menschen sind gekommen. Als »Degenerationsausschlag« beschimpft Kalbitz die Demonstranten weiter. Der werde sich aber wieder »nivellieren«, da sei er »völlig zuversichtlich«. Applaus.
Kalbitz erzählt, dass er mal im Bundestag mit Claudia Roth »zu zweit im Aufzug« gefahren sei. Geraune. Kalbitz legt eine Kunstpause ein, nickt selbstsicher. »Da hätte ich Geschichte schreiben können.« Mehr Geraune. Gelächter. Großer Spaß. Kalbitz fügt hinzu: »Aber sowas würde ich ja nicht machen.« Diese Aussagen fallen knapp ein halbes Jahr nach dem Mord an Walter Lübcke. Kalbitz’ Spruch ist ein pseudo-scherzhaft angedeuteter Anschlag auf eine Politikerin. Eine Frau im Saal quietscht vor Vergnügen.
Das Fest auf Rügen heißt »Königsstuhltreffen«. Es findet in mal wieder bewegten Zeiten für die AfD statt. Die drei Landtagswahlen im Jahr 2019, in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, haben zwar starke Ergebnisse gebracht, aber nicht die erhofften Wahlsiege. Trotzdem sehen sich die Anhänger des Flügels auf dem Vormarsch, da sie maßgeblich für diese Erfolge verantwortlich sind. Sie sind das Kraftzentrum einer erstarkenden AfD. Mit welcher Hybris sie ans Werk gehen und was sie mit der AfD und später mit Deutschland vorhaben, unter welchem Namen auch immer, ist an diesem Tag in Binz gut zu beobachten. Gewöhnlich gilt Kalbitz als die unausgesprochene Nummer zwei des Flügels. Der Star heißt Björn Höcke, auch in Binz, wo er als Letzter und am längsten sprechen darf. Während der übrigen Auftritte reist Höcke noch an. Er ist der Headliner bei diesem Festival. Wer aber den Tag im Hotel Arkona verbringt, gewinnt einen anderen Blick auf Kalbitz, auf Höcke und auch auf das Machtgefüge innerhalb ihrer Gruppierung.
Kalbitz ist zu diesem Zeitpunkt AfD-Chef von Brandenburg. Er war früher Fallschirmjäger bei der Bundeswehr, und damit niemand seinen Hintergrund vergisst, erinnert er bei seiner Rede die Zuhörer mit militärisch-martialischen Zitaten daran, wie etwa: »Der Frieden ist nur die Abwesenheit von Krieg!« Kalbitz’ Vergangenheit ist gespickt mit Verbindungen zu rechtsradikalen Strukturen wie der mittlerweile verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend«. Artikel über ihn lassen ihn kalt, versichert Kalbitz in Binz: »Weil ich, was die Medien angeht, immer getreu dem Grundsatz verfahre: Was schert’s die deutsche Eiche, wenn sich die Sau dran reibt.«
Gebannt lauschen die Teilnehmer Kalbitz’ Worten. Sein Ton: aggressiv-süffisant. »Diese ganzen Fridays-for-Future-Kiddies, die alle diesem Mondgesicht-Mädchen mit Zöpfen hinterherlaufen«, sagt Kalbitz und grinst. Er pöbelt gerne, aber so, dass ihn auch ja jeder versteht. Einmal habe er eine AfD-Kollegin runtergeputzt, weil sie angefangen habe, »diese politikerdeutschen Wörter« zu benutzen. »Das muss man evaluieren, das klären wir bilateral«, äfft er sie nach. »Da hab ich ihr gesagt: Hörst du dich reden? Du hörst dich an wie die!«
Nein, so wie »die« möchte Kalbitz auf keinen Fall sein. Ihm geht es darum, »diesen Deutschland-Abschaffern« klarzumachen: »Es gibt kein ruhiges Hinterland mehr für euch. Wir sind überall.« Überall in der AfD ist auch Kalbitz, keiner ist in der Partei so gut vernetzt wie er. Wenn er von möglichen Koalitionen spricht, klingt das so: »Wenn es zu Allianzen kommt, werden andere sich uns annähern und nicht andersrum.« Sein Traum ist eine »positive konservative Konterrevolution«. Den Flügel betrachtet Kalbitz als »Kurshalter in der Partei« sowie als »ein Regulativ, um klarzumachen, wofür die AfD steht«. »Natürlich sind wir nicht antidemokratisch, ganz im Gegenteil. Wir sind der Defibrillator dieser am Boden liegenden entmerkelten Demokratur.«
Kalbitz’ Rede wechselt zum nahenden Bundesparteitag. »Im Moment führt er in manchen Bereichen zur Hyperventilation. Weil da einige um ihre Pöstchen fürchten. Die können sich selber mal überlegen warum.« Kalbitz beschwört den Wandel: »Entscheidend ist, dass dieses politische Schlachtschiff fährt. Und entscheidend ist, dass, wenn der Kapitän weggeschossen wird, ein nächster ans Steuer geht. Der Kapitän ist nicht wichtig. Das Schiff ist wichtig.« Im Anbetracht der Entscheidungen, die am Bundesparteitag eine Woche später fallen, hat Kalbitz mit seinen Worten recht. Neben Jörg Meuthen wird Tino Chrupalla zum Parteichef gewählt. Der gelernte Malermeister aus Sachsen hat keine Ambitionen als Kapitän. Aber er ist gut steuerbar. Für Höcke. Für Kalbitz.
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