Ein Soldat mit einem Schweißbrenner in der Hand ließ die Spitze des Geräts auflodern und richtete die Flamme auf das Schloss, welches wie Butter zu schmelzen begann. Als das Schloss herunterfiel, schoben die Soldaten den Riegel zurück und öffneten die Tür.
Der Gestank menschlicher Ausscheidungen, der ihnen entgegenschlug, war überwältigend. Eine Hitzewelle begleitete ihn, wie ein wogendes Fieber, das lebendig schien – so wie die Krankheiten, unter denen die hustenden Menschen litten und in deren Adern Viren hausten.
Majors trat einen Schritt zurück. Verflucht sollst du sein, Božanović. »Um Himmels willen, schafft diese Leute da raus! Und holt Hilfe!«
»Jawohl, Sir.«
Die Menschen in dem Container, die aus brennenden Lungen würgten und husteten, waren im Alter zwischen zwölf und fünfundzwanzig Jahren, allesamt Opfer von Jadran Božanovićs, dem Händler menschlichen Elends.
Majors warf einen grimmig abschätzenden Blick auf die restlichen Container und wusste, dass sie die gleiche Fracht enthalten würden: lebende Menschen.
Angewidert schüttelte er den Kopf und fragte sich, wie es Menschen wie Božanović überhaupt geben konnte. Er versuchte sich auszumalen, welche Dinge im Leben einen Mann derart grausam und jämmerlich werden lassen konnten, dass dieser bereitwillig den Leibhaftigen als Verbündeten akzeptierte und sich in dessen Gegenwart auch noch wohlzufühlen schien.
Verflucht sollst du sein, Božanović.
Verflucht bis in alle Ewigkeit.
London, etwa einen Monat später
Als Colonel John Majors in seine Londoner Wohnung für einen kurzen Urlaub zurückkehrte, gelang es ihm nicht, die grauenvollen Bilder der Kinder an Bord der Aleksandra loszuwerden. Bilder ihrer Haut, die einen fürchterlichen Grauton statt einem gesunden Leuchten angenommen hatte. Oder ihre Gesichter, mit diesem gequälten, entrückten Blick.
Wieder einmal hatte sich Jadran Božanović als so schlüpfrig wie ein Aal erwiesen.
Für Majors war der Gedanke kaum zu ertragen, war er doch so kurz davor gewesen, den Kroaten zu erwischen, dass er die Verdorbenheit dieses Mannes beinahe hatte riechen können.
Nachdem er sich ein Glas Cognac eingeschenkt hatte, ging Majors auf den Balkon seiner Wohnung in vierten Stockwerk hinaus, von dem aus man einen freien Blick auf den Hyde Park in einiger Entfernung genoss. Von hier oben konnte man ein paar der Bäume und offene Rasenflächen sehen. Aber der eigentliche Grund, warum er den Hyde Park so liebte, waren die Podien entlang der Gehwege. Er kam oft hierher, um sich die Leute anzuhören, die aktuelle politische Themen von Bedeutung besprachen; Dinge, die die eigene Meinung oder die persönliche Weltsicht verändern konnten. In letzter Zeit aber, zumindest seiner Ansicht nach, wurden die Podien mehr und mehr von Wirrköpfen und Spinnern bestiegen, die irgendwelchen unsinnigen Stuss in die Welt posaunten.
Die Zeiten hatten sich geändert.
Majors kippte sich den Rest seines Drinks hinunter und ging ins Badezimmer, wo er sein Spiegelbild betrachtete. Seine Augen waren gerötet und die Falten in seinem Gesicht wurden länger und tiefer.
Als er noch der Chef der britischen Special Forces gewesen war, schienen die Dinge noch ganz anders gewesen zu sein, denn es gehörte zu den Segnungen der Jugend, dass sich zu dieser Zeit sein Geist und sein Körper noch im Einklang befanden. Doch nun war er älter und sein Körper signalisierte ihm, dass er sich dem Ende seiner Dienstzeit als Leiter der Taskforce näherte. Die ständigen Schmerzen in seinen Knien und seiner Schulter waren der Beleg für das, was sein Verstand bereits zunehmend zur Kenntnis nahm: Du wirst langsam zu alt.
Aber eine Sache wollte er in seinem Leben noch beenden, die etwas Gutes bewirken würde – jene Sache, die ihn zu einer Legende machen würde. Er wollte als der Mann in die Geschichte eingehen, der Jadran Božanović zur Strecke gebracht hatte.
Er stöhnte auf, als die Schmerzen in seinen Knien so stark wurden, dass selbst der Cognac sie nicht mehr betäuben konnte. Also öffnete er die Spiegelschranktür und nahm ein Fläschchen mit einem Schmerzmittel heraus. Als er die Tür wieder schloss, waren plötzlich zwei Gesichter in dem Spiegel zu sehen: sein eigens und das von Jadran Božanović.
Majors Augen blinzelten nicht einmal, und er drehte sich auch nicht, um sich dem Eindringling entgegenzustellen. Es war, als hätte er schon die ganze Zeit nur auf diesen einen Moment gewartet.
Im Spiegel sah er, wie das narbige Gesicht Božanovićs ihn musterte, mit einem ausdruckslosen Blick, der keinerlei Emotionen verriet. Seine Augen aber bargen etwas Tiefes und Kaltes und ihre Schwärze schien undurchdringlich.
Dann wurde Majors klar, dass Božanović ein Mann war, der nur mit Mühe seinen ungeheuren Zorn bändigen konnte und nun zu ihm gekommen war, um seinen Tribut zu fordern – dafür, dass er seine Operation auf der Aleksandra vereitelt hatte.
Božanović hob ein Messer. Die Spitze war beinahe frevelhaft scharf und die polierte Klinge reflektierte das grelle Licht der Glühbirne über ihnen. Er spielte auf eine bösartige Weise damit, indem er das Messer in seiner Hand langsam kreisen ließ, sodass Majors es sich von allen Seiten sehen konnte.
Und Majors gab sich mit einem Kopfnicken geschlagen, denn er wusste, dass er allein nichts gegen diesen Mann würde ausrichten können.
Drei Tage später, als man die Leiche von Colonel Majors entdeckte, sollte die London Times den Mord mit den Taten eines Jack the Ripper vergleichen.
Das Büro des Monsignore, Vatikan
»Ich töte Menschen. Das ist es, was ich tue. Worin ich gut bin.«
Monsignore Dom Giammacio war der vatikanische Berater für Geistliche, die mit Selbstzweifeln und schwindender Überzeugung zu kämpfen hatten. Aber an diesem Tag lauschte er nicht den Worten eines Priesters. Er hörte einem Soldaten des Vatikan zu, einem erfahrenen Kämpfer, der dafür gefochten hatte, die Souveränität der Kirche, deren Interessen und den Wohlstand seiner Bürger zu bewahren.
An diesem Morgen widmete er sich jemandem, der schlicht bekannt war als der Priester, der kein Priester ist .
Er befand sich in einer Sitzung mit Kimball Hayden, dem Teamleiter der Ritter des Vatikan, der stets nach seiner eigenen Erlösung und Vergebung für seine dunkle Vergangenheit suchte, die wie ein Krebsgeschwür in ihm wucherte.
»Kimball, was Sie mir da erzählen, hört sich immer mehr wie ein inhaltsloses Mantra an. Wir haben schon so oft darüber gesprochen.«
Kimball ließ sich in einen Sessel sinken. Seine hellblauen Augen musterten die kupferfarbenen Augen des Monsignore. »Worüber sollen wir uns dann noch unterhalten?«
Der Monsignore sah auf die Rauchkringel hinab, die von der Zigarette aufstiegen, die er zwischen seinen langen, dünnen Fingern hielt; beobachtete, wie die zarten Ringe aus Rauch in die Luft stiegen und sich verflüchtigten. »Wir müssen über Ihren Unwillen sprechen, den Fakt anzuerkennen, dass Sie mit Ihrem Dienst als Ritter des Vatikan Gottes Gnade erfahren haben.«
Kimball beugte sich nach vorn. Deutlich zeichneten sich die Muskeln an seinen Unterarmen ab. »Kann Gott einem Mann verzeihen, der aus reinem Pflichtgefühl unschuldige Frauen und Kinder tötete?«
»Das hängt ganz davon ab. Sind Sie ein bußfertiger Mann? Empfinden Sie Reue für Ihre Taten?«
»Reue?« Kimball lehnte sich wieder zurück. »Das Schwerste im Leben eines Menschen ist, sich selbst zu vergeben, Monsignore. Das wissen Sie.«
»Also geht es im Endeffekt darum, Kimball? Sie können sich nicht vergeben?«
Kimball seufzte. »Nein … aber wahrscheinlich muss ich nur lange genug warten, bis ich meine Taten vor mir selbst rechtfertigen kann, wie abscheulich sie auch gewesen sein mögen. Nach einer Weile werde ich lernen, damit zu leben, wenn ich mir einrede, dass ich das Richtige getan habe, dass meine Handlungen vertretbar waren. Mit der Zeit kann man sich beinahe alles einreden.«
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