1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Das kommt mir sehr bekannt vor«, seufzte Gerlinde.
»Okay, diese Geschichte ist typisch für das, was Frauen tagtäglich erleben. Du kannst bei uns mitmachen. Zuerst einmal auf Probe.«
Und dann erklärte Paula den Sinn des Clubs und die Regeln. Alle Mitglieder hatten einen Schlüssel zu den Räumen, konnten kommen und gehen, wann sie wollten. Einmal im Monat war gemeinsamer Clubabend, um Vorhaben, Probleme, Anliegen zu besprechen. Es gab verschiedene Maschinen und Werkzeug aus allen möglichen Handwerksbereichen. Ungeübte durften die Maschinen vorerst nur unter Anleitung bedienen. Auf Wunsch wurden Handwerkerinnen für Einschulungskurse eingeladen. Es gab aber auch einen großen, gut ausgestatteten Computerraum, dessen Kapazitäten über die eines normalen Büros weit hinausgingen: Fotobearbeitung, Filmschnitt und vieles mehr konnte man hier ausprobieren und perfektionieren. Zum Schluss erläuterte Paula: »Wir machen hier alles selbst. Niemand wird dich auslachen, wenn du dich bei einer neuen Sache ungeschickt anstellst. Du kannst jederzeit um Rat fragen, aber es wird dir keine andere die Arbeit aus der Hand nehmen. Und ganz wichtig: Du darfst niemals einen Mann hierherbringen! Du kommst alleine, du lässt dich nicht abholen. Die Probezeit beträgt drei Monate. Es gibt für die endgültige Aufnahme keine besonderen Kriterien, außer den schon genannten Regeln und dass du wirklich etwas machen willst. Natürlich hast auch du das Recht, jederzeit auszusteigen. Ist das in Ordnung für dich?«
Rikki war ein wenig verwirrt, aber fasziniert von diesen neuen Möglichkeiten. »Ja, ich möchte es gerne versuchen. Eine Frage habe ich noch: Ist es euer Ziel, auch im Alltag mehr handwerkliche und technische Aufgaben zu übernehmen?«
»Ach, weißt du, das ist sehr unterschiedlich«, antwortete Martina, die bisher geschwiegen hatte. »Mir geht es oft so, wie du erzählt hast: Gerade wenn mein Mann einen schlechten Tag hat, lasse ich ihm gerne kleine Erfolge. Es gefällt ihm, wenn er etwas für mich tun kann, dann fühlt er sich als Beschützer. Aber manchmal brauche ich eine Auszeit vom Frauchensein, muss mich richtig austoben. Hier ist der ideale Ort dafür.«
Rikki war beruhigt. Paulas strenger Ton hatte sie schon befürchten lassen, es werde – vielleicht nur unterschwellig – von ihr erwartet, ihr Leben und vor allem ihr Verhältnis zu Thomas zu ändern. Das lag überhaupt nicht in ihrer Absicht. Sie wollte nur selbst einmal die Urlaubsfotos überspielen, sie etwas bearbeiten, Alben erstellen, vielleicht selbst das Schlafzimmer ausmalen oder einen verstopften Abfluss reinigen. Um sich zu beweisen, dass sie es konnte.
»Ach ja, das habe ich dir noch gar nicht erzählt«, meldete sich Michaela zu Wort, »ich habe bei der Versicherung gekündigt. Ich habe ein Stipendium bekommen. Im Wintersemester beginne ich an der Technischen Universität Informatik zu studieren.«
Um die Ecke
Liebe Mama, lieber Papa,
um diese Ecke werde ich nicht mehr gehen. Das versteht Ihr nicht? Könnt Ihr Euch nicht mehr an die endlosen Besichtigungen während unserer Italien-Urlaube erinnern? Meine Schulfreundinnen sind einfach in Lignano oder Jesolo am Strand gelegen, haben Sandburgen gebaut und sich zwischendurch ein Eis geholt. Wir nicht. Das wäre für Euch zu trivial gewesen. Wenn man schon in einem historisch so interessanten Land war, musste man auch etwas für die Bildung tun, Kulturstätten besichtigen. Es war heiß, mir haben die Füße wehgetan. Wenn ich gefragt habe, wann wir endlich bei dieser Kirche, Burg, diesem Tempelrest sein würden, war die Antwort immer: »Wir müssen nur noch um diese eine Ecke gehen, dann sind wir da.« Und das hat meistens auch gestimmt. Der Haken war nur, dass nach der Besichtigung der Kirche nicht Schluss war. Darauf folgte ein Museum, eine Ausgrabung, was auch immer. Und man musste jedes Mal nur noch einmal um die Ecke gehen.
So ist es meine ganze Kindheit und Schulzeit, sogar noch danach, weitergegangen, wenn auch im übertragenen Sinn. In der Volksschule hast Du, Mama, meine Aufgaben kontrolliert. Natürlich hast Du in den meisten Fehler gefunden, so dass ich sie ein zweites Mal schreiben musste. Sich noch einmal anstrengen, damit der Platz im Gymnasium gesichert ist.
Da war erst einmal Ruhe, wenn ich auch gemerkt habe, dass Ihr enttäuscht darüber wart, dass ich die Klassen nie mit Vorzug abgeschlossen habe. Als ich aber in der siebenten Klasse verkündete, ich wolle lieber eine Tischlerlehre machen, war es wieder vorbei mit Eurer Geduld. »Jetzt hast du es schon so weit geschafft, da kannst du doch nicht aufgeben.« »Ohne Matura hat man heutzutage keine Chance.« »Es sind doch nur noch eineinhalb Jahre, das schaffst du!« Da war sie wieder, die Ecke, hinter der das Ziel lag. Diesmal hieß sie »eineinhalb Jahre«. Ich habe wieder auf Euch gehört, habe mich durch Latein gekämpft, obwohl ich vor den Schularbeiten jedes Mal Magenschmerzen bekam, habe Formeln gelernt, bis mir der Kopf wehtat. Und ich habe es wieder geschafft, zwar knapp am Vorzug vorbei, aber ich war am Ziel.
Nur: Wie üblich war es ein Zwischenstopp. Ein halbes Jahr Australien oder eine ausgiebige Südamerika-Reise? Da verlöre man ja ein bis zwei Semester, das könne man nach dem Studium nachholen. Und: »Mit Literatur kannst du dich auch in der Freizeit beschäftigen.« Also inskribierte ich Betriebswirtschaft.
Seither hat sich die Sprache verändert, nicht aber der Inhalt. Nun heißt es: »Sie müssen sich immer neue Ziele stecken!« Nur nicht ausruhen, niemals zufrieden sein. Die nächste Prüfung, der erste Studienabschnitt, Ferienjobs und Praktika, die einen weiterbringen, Sponsion. Einen Job, nicht irgendeinen, sondern einen mit Karrieremöglichkeiten. Und gleich das nächste Ziel vor Augen haben, nur kein Stillstand.
Und auch privat. Natürlich muss man heutzutage nicht mehr unbedingt heiraten, aber ein eigenes Haus, eine Familie mit ein bis zwei Kindern … Irgendwann wird es dann doch Zeit, erwachsen zu werden. Ja, und Ihr habt recht gehabt: Auf Dauer wäre es mit Florian nichts geworden. Unreif, unstet … Da ist Bernhard schon ein ganz anderes Kaliber: guter Job mit besten Aussichten, verantwortungsbewusst, ein Familienmensch. Große Leidenschaft sei keine Garantie für eine gute Ehe.
Mama, Papa, Ihr habt es sicher gut mit mir gemeint, wolltet nur das Beste für mich. Und ich bin ja im Wesentlichen auch Eurem Rat gefolgt, habe nur ganz selten aufbegehrt, habe daran geglaubt, dass das ersehnte Ziel gleich hinter der nächsten Ecke liegt.
Aber um diese Ecke werde ich nicht mehr gehen.
Ich habe Bernhard schon gesagt, dass es mir leidtut. Zum Glück waren die Hochzeitsvorbereitungen ja noch nicht recht weit fortgeschritten.
Macht Euch um mich keine Sorgen. Ich bin unterwegs, irgendwo, vielleicht in Australien, vielleicht in Südamerika. Ich werde mich zwischendurch melden. Keine Angst, wahrscheinlich komme ich zurück. Und wenn nicht, sage ich Euch, wo Ihr mich besuchen könnt.
Danke für alles und bis bald!
Eure
Katharina
Sprachfrust
»Mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider können Sie nicht nur Gemüse raspeln. Nein, meine Damen, Sie können auch wunderschöne Blüten aus Karotten und Gurken für Ihr exquisites Party-Buffet schnitzen. Aber das ist noch nicht alles: Sehen Sie, mit einem Handgriff habe ich diesen praktischen Aufsatz montiert. Und jetzt kann ich mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider Nüsse mahlen, aber auch Käse oder Schokolade. Und wenn ich diesen Einsatz zusätzlich verwende, dann kann ich sogar Mohn oder Kaffee mahlen. Sie sehen, der Ehrmann-Multifunktionsschneider erspart Ihnen eine Menge verschiedener Haushaltsgeräte und damit Platz in Ihrer Küche. Aber nicht nur das. Der Ehrmann-Multifunktionsschneider funktioniert ganz ohne elektrischen Strom. Damit erspart er Ihnen auch eine Menge Geld, gerade in Zeiten, in denen ohnehin alles immer teurer wird. Mit seiner ausgeklügelten Mechanik ist er ganz einfach zu bedienen. Die Kurbeln laufen butterweich. Kommen Sie nur näher, meine Damen, überzeugen Sie sich selbst von der überragenden Qualität des Ehrmann-Multifunktionsschneiders. Kommen Sie!« … »Mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider können Sie …«
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