Gefördert von der Stadt Wien Kultur.
© 2020, Septime Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten.
EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer
ISBN: 978-3-903061-782-8
Umschlag: Jürgen Schütz
Umschlagbild: © iStock–rotofrank
Printversion: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen
ISBN: 978-3-902711-17-5
www.septime-verlag.at
www.facebook.com/septimeverlag
www.twitter.com/septimeverlag
Sascha Wittmann
SASCHA WITTMANN, geboren in Wien, lebt in Wien und Opponitz (Niederösterreich). Sie hat Theaterwissenschaft und eine Fächerkombination aus Germanistik, Publizistik und Politikwissenschaft an der Universität Wien, später Healthcare Management an der Donauuniversität Krems studiert. Wittmann ist Theaterpädagogin, Lehrwartin für Behindertensport und absolvierte den Lehrgang Literarisches Schreiben an der Werkstätte Kunstberufe. Im Brotberuf hat sie bei verschiedenen Organisationen im Sozialbereich in Wien und Niederösterreich gearbeitet. Dabei sind ihre Schwerpunkte Menschen mit Behinderungen und arbeitsuchende Menschen.
Nach zahlreichen Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien erschien 2017 ihr erster Roman Wie ich berühmt wurde, mit dem Erzählband Alles Alltag ist Sascha Wittmann erstmals in einem Septime-Programm vertreten.
Klappentext
Eine junge Frau setzt aus unerklärlichen Gründen die Müllcontainer im Hof ihrer Wohnhausanlage in Brand. Ein Mann wird in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie eingewiesen. Er hat offenbar einen früheren Schulkameraden umgebracht. Zum Motiv schweigt er beharrlich. Ein kleines Mädchen verursacht zu Weihnachten einen fatalen Brand in ihrem Elternhaus. Eine Nichtigkeit oder Unachtsamkeit reicht, um den Alltag von Menschen so aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass nichts mehr bleibt, wie es war.
Ob soziale Ungerechtigkeit, scheinbare Gleichstellung der Frau oder Überforderung im Berufs- und Familienleben. Sascha Wittmann behandelt große Themen im kleinen Format, ihre Erzählungen und Kurzgeschichten handeln von sogenannten normalen Menschen mit normalen Sorgen und Sehnsüchten. Oft genügt allerdings eine minimale Veränderung oder Einsicht – der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt – und die Fassade der Normalität stürzt ein wie ein Kartenhaus. Ob diese Veränderung eine Katastrophe auslöst oder neue Chancen im Leben eröffnet – in jedem Fall regen die Texte zum Nachdenken über vielleicht doch nicht so feststehende Wahrheiten an.
Sascha Wittmann
Alles Alltag
Erzählungen | Septime Verlag
Suburbia
Super, dass du es endlich zu uns heraus geschafft hast! Setz dich doch, ich bring gleich den Kaffee.
Vor allem für die Kinder ist es natürlich ein Traum. Nicht mehr in der Stadt eingesperrt zu sein. Und erst die Luft hier draußen.
Die Nachbarn? Nein, die haben keine Kinder.
Sonst in der Siedlung? Das weiß ich nicht so genau, wir haben wenig Kontakt. Richtung Bundesstraße gibt es einen kleinen Spielplatz. Dort sind wir aber erst einmal vorbeigekommen, damals war da niemand.
Natürlich sind sie nicht alleine. So ein Blödsinn! Sie gehen ja in die Schule. Gabrielle hat dienstags »Jazz Dance« und donnerstags »Kreatives Gestalten«. Patrick geht in Judo und mit Gabrielle zum Basteln. Ich finde es total wichtig, dass die beiden mit anderen Kindern zusammenkommen. Aber sie sollen halt schon etwas Gescheites dabei machen.
Nein, das Fahren ist kein Problem. Wir haben ja einen Schulbus. Den hat die Gemeinde organisiert. Zu den Kursen am Nachmittag muss ich sie bringen, auch zu Patricks Wettkämpfen und Gabrielles Auftritten.
Magst du noch einen Kaffee? Oder einen Weißwein? Den haben wir jetzt im Keller. Der Makler hat uns gesagt, dass dieser Keller die ideale Temperatur für Wein hat. Wart, ich bin gleich wieder da.
Ja, da hast du schon recht, ohne Auto ist man hier aufgeschmissen. Das ist halt alles eine Sache der Einteilung. Im Moment habe ich den Wagen, sonst wäre ich nie rechtzeitig zurück, wenn die Kinder aus der Schule kommen. Ich habe auch Stunden reduziert, damit sich das ausgeht. Christian muss jetzt eben zum Bahnhof gehen, zwanzig Minuten in eine Richtung. Das ist der Ersatz für das Fitness-Center, lacht er immer. Bald werden wir uns ohnehin eine zweites Auto anschaffen, aber dann gleich eines mit Allradantrieb. Das zahlt sich hier heraußen schon aus. Im Winter wird es mühsam für ihn, ist es jetzt schon, wenn es regnet. Nur im Moment … Du kannst dir ja vorstellen, dass wir derzeit etwas kürzer treten müssen. Es ist sich alles ausgegangen mit dem Ersparten und dem Kredit, aber Polster haben wir keinen mehr. Doch das ist es wert. Allein, dass wir jetzt hier so auf der Terrasse sitzen können. Und der Blick! Da haben wir Glück gehabt, dass wir das Haus in der letzten Reihe direkt an den Feldern bekommen haben. Die werden auch nicht umgewidmet, das haben sie uns auf der Gemeinde fest versprochen.
Die Müllers links haben eine hohe Hecke, damit wir ihnen nicht in den Garten schauen können. Zur anderen Seite hin, da wohnen die Altenburgers, müssen wir erst einen Sichtschutz aufstellen. Das wird alles noch.
Findest du wirklich? Für mich ist der Garten gerade recht. Ich wollte ja nicht gleich Bäuerin werden. Nächstes Frühjahr setzten wir auf dieser Seite ein paar Sträucher, Himbeeren, Ribiseln. Auf der anderen Seite stellen wir ein Hochbeet auf.
Nein, Bäume dürfen wir nicht pflanzen, damit den Nachbarn nicht das Licht weggenommen wird. Steht in der Siedlungsordnung.
Im Garten spielen? Da hats am Anfang ein paar Probleme gegeben, weil die Altenburgers sich über den Lärm beschwert haben. Darum brauchen wir da ja noch einen Schutz. Und am Sonntag zwischen zwölf und zwei gehen sie jetzt auch nicht mehr raus, weil man die Mittagsruhe einhalten muss. Außerdem ist ohnehin nicht so viel Platz … Im Haus können sie dafür praktisch machen, was sie wollen. Das ist schon ein Vorteil gegenüber der Wohnung früher.
Du, wenn du noch einen Wein magst, nimmst dir einfach, dazu steht er ja da.
Geh, ein Glaserl geht schon, da kannst du noch fahren.
Die Janica, nein, die kommt nicht mehr. Glaubst du, die fährt da heraus? Vorerst muss ich halt selber putzen. Ist nicht so schlimm; mit der Zeit wird das alles.
Sicher ist es hier auch schwieriger, jemanden zum Aufpassen zu bekommen. Bisher sind wir aber ohnehin nicht so oft weggegangen. Für Christian ist der Tag mit der Fahrerei schon lang. Sich da noch einmal aufraffen … Dafür haben wir jetzt Platz für Gäste.
Ja, das mit den Parkplätzen ist so ein Problem. Natürlich hat jedes Haus eine Garage, aber wenn du zwei Autos hast …
Sag, was soll das eigentlich? Willst du mir mein Haus schlecht machen? Man pickt auf den Nachbarn? Ohne Auto ist man aufgeschmissen? In der Gegend ist nichts los, man muss also erst wieder in die Stadt, wenn man etwas unternehmen will?
Du bist doch nur eifersüchtig! Du mit deiner Dreizimmerwohnung in einem Ausländerviertel! Wir habens geschafft!
Nein, ich höre nicht auf. Wart einmal, bis du Kinder hast, dann wirst du nicht mehr darüber herziehen, wie wir jetzt leben. Dann wirst du auch aufs Land wollen!
Ja, vielleicht ist es wirklich besser, wenn du gehst, bevor wir noch ernstlich streiten. Du kannst ja wiederkommen, wenn du dich eingekriegt hast.
Blöde Gans. Soll sie doch in der versifften Stadt bleiben – und die anderen auch alle. Die sind uns das alles doch nur neidig!
Schöner fremder Mann
Die alte Frau zieht die Tür hinter sich ins Schloss, ihr Blick ist missbilligend. Eine halbe Stunde zuvor ist sie in das kleine Dorf mit den Straßen aus Lehm, den Gemüsegärten hinter den Häusern und den notdürftig geflickten Dächern gekommen. Sie hat den Fahrer des Kleinbusses gebeten, auf sie zu warten. Dieser war einverstanden, es dürfe aber nicht zu lange dauern. Die alte Frau hat ein großes, doch leichtes Paket aus dem Gepäcksraum geholt, an der Haustür geklopft. Sie wurde schon erwartet.
Читать дальше