Thomas Baier / Tobias Dänzer
Plautus in der Frühen Neuzeit
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8323-9 (Print)
ISBN 978-3-8233-0216-2 (ePub)
Als Nicolaus von Kues im Jahr 1429 eine Handschrift mit zwölf bis dato unbekannten Plautus-Komödien (den sog. codex Ursinianus ) für Kardinal Giordano OrsiniOrsini, Giordano (Kardinal) nach Rom brachte und so die Zahl der erhaltenen Stücke auf 20 erweiterte, setzte eine intensive Phase frühneuzeitlicher Plautus-Rezeption ein. Die italienischen Humanisten nahmen sich der textkritischen Erschließung der Komödien an und sorgten für die Aufwertung des Plautus gegenüber dem im Mittelalter in sprachlicher wie moralischer Hinsicht bevorzugten Schulautor TerenzTerenz. Spätestens seit der 1472 veranstalteten editio princeps der Komödien durch Giorgio MerulaMerula, Giorgio wuchs das Interesse am älteren Komödiendichter auch im übrigen Europa, wo die Stücke Gegenstand zahlreicher lateinischer und vulgärsprachlicher Nachdichtungen, Bearbeitungen und Aufführungen wurden. Ein Markstein der Plautus-Philologie war etwa die von Joachim CamerariusCamerarius d.Ä., Joachim besorgte Gesamtausgabe, die 1552 bei Johannes HervagiusHervagius, Johannes in Basel erschien. Die schöpferische Auseinandersetzung mit der plautinischen Komödie bereitete den großen nationalsprachlichen Komödiendichtungen den Weg und begründete die überragende Bedeutung, die das Theater in der Frühen Neuzeit erlangte.
Die hier versammelten Beiträge sind aus dem 20. Neulateinischen Symposium NeoLatina hervorgegangen, das vom 28.–30. Juni 2018 an der Universität Würzburg stattfand. Sie umfassen drei Jahrhunderte humanistischer Arbeit am und mit dem Plautustext und zeichnen ein vielschichtiges Bild der Plautus-Rezeption in der Frühen Neuzeit. Die 16 Beiträge sind nach ihren inhaltlichen Schwerpunkten in fünf Sektionen gruppiert, die die frühneuzeitliche Beschäftigung mit dem Komödienautor thematisch abbilden.
In der Sektion (1) Plautus-Philologie und Edition wird die Textgeschichte und Erarbeitung verlässlicher Komödientexte durch frühneuzeitliche Gelehrte beleuchtet. Giorgia Bandini gibt einen detaillierten Einblick in die philologische Arbeit des Joachim CamerariusCamerarius d.Ä., Joachim d.Ä. und seine Verwendung des Codex B (Pal. lat. 1615, sog. vetus codex Camerarii ) für die Erstellung der wichtigen 1530er Edition der Menaechmi Menaechmi. Der Beitrag von Michael Fontaine bietet eine neue Hypothese zu Herkunft, Identität und Besitzgeschichte des codex decurtatus (Pal. lat. 1613, auch alter codex Camerarii ). Der Beitrag von Salvatore Monda widmet sich der philologischen Erschließungsgeschichte der fragmentarisch überlieferten Plautusstücke und stellt die Arbeit bedeutender Gelehrter wie Angelo PolizianoPoliziano, Angelo, Georg FabriciusFabricius, Georg, Joseph Justus ScaligerScaliger, Joseph Justus und Friedrich TaubmannTaubmann, Friedrich vor. Thorsten Burkard ediert und kommentiert ein Epigramm des Plautus-Herausgebers Friedrich TaubmannTaubmann, Friedrich, in dem dieser seine Verehrung für den Komödiendichter zum Ausdruck bringt.
Der Wechselwirkung von (2) Plautus-Philologie und Theater sind drei Beiträge gewidmet, die die Bearbeitung plautinischer Vorlagen für eigene (Nach)dichtungen und Aufführungen thematisieren. Ludwig Braun zeigt auf, wie der unbekannte Dichter des Amphitruo Amphitruo-Supplements bereits 1495 diejenigen Strukturparallelen des Amphitruo Amphitruo erkannt hat, auf die erst die Philologie des 19. Jahrhunderts aufmerksam wurde. Wie die plautinische Komödie in die renaissancezeitliche Festkultur Italiens eingegliedert werden konnte, erläutert Domenico Giordani am Beispiel des italienischen Humanisten Tommaso InghiramiInghirami, Tommaso, dessen philologische Studien insbesondere den Zwecken der szenischen Umsetzung dienten. Veronika Brandis und Magnus Ulrich Ferber arbeiten die vielschichtige Plautusrezeption in Nikodemus FrischlinsFrischlin, Nikodemus Komödie Iulius redivivus Frischlin, NikodemusIulius redivivus heraus, in dem die plautinische Komödie für didaktische, stilistische und invektivische Ziele funktionalisiert wird.
Zwei Beiträge widmen sich der (3) Plautinischen Poetik , d.h. der humanistischen Gewinnung einer antiken Komödientheorie aus dem plautinischen Textbestand. Stefan Feddern gibt einen Überblick über die Auseinandersetzung der italienischen Humanisten mit der Komödientheorie und den antiken sekundärliterarischen Quellen. Der Beitrag von Tobias Dänzer stellt dar, wie der Dichterphilologe Angelo PolizianoPoliziano, Angelo aus den antiken Quellen das aristotelische Komödienbuch zu rekonstruieren versuchte und die gewonnenen Erkenntnisse zu plautinischer Textkonstitution und Nachdichtung nutzte.
Dass Plautus trotz seiner Frivolität sittlich gelesen werden konnte, belegt die Sektion (4) Der moralische Plautus . Hartmut Wulfram zeigt, wie PoggioBracciolini, Poggio BraccioliniBracciolini, Poggio im Dialog An seni Bracciolini, PoggioAn seni sit uxor ducenda sit uxor ducenda Bracciolini, PoggioAn seni sit uxor ducenda ein literarisches Spiel mit den Typen der plautinischen Komödie treibt, um seine späte Heirat mit einer jungen Frau vor seinen gelehrten Freunden zu rechtfertigen. Anhand des Umgangs mit Plautuszitaten in den Adagia Erasmus von RotterdamAdagia und den Briefen des ErasmusErasmus von Rotterdam von Rotterdam zeigt Martin Dinter, wie Plautus einerseits durch Zensur anstößiger Sentenzen zur moralischen Autorität aufgewertet und wie andererseits die Kenntnis plautinischer Sentenzen zum intellektuellen Erkennungszeichen der Gelehrtenkommunikation wurde. Wie Plautus in der Schlettstädter Lateinschule mit moralisch-pädagogischer Brille gelesen wurde, erläutert James Hirstein anhand der Annotationen des Schülers BonifaciusAmerbach, Bonifacius AmerbachAmerbach, Bonifacius zu einem Unterrichtswerk, das die plautinische Komödie für eine christliche Erziehung nutzbar macht.
Die abschließende Sektion (5) Plautus und die Konfessionen beleuchtet die ambivalente Rolle, die die Komödien im Umfeld religiöser Einrichtungen, insbesondere des Jesuitenordens, und zum Austrag politisch-konfessioneller Rivalitäten spielten. Renato Raffaelli legt am Beispiel der Prosodie Riccioli, GiambattistaProsodia Bononiensis des Jesuiten Giambattista RiccioliRiccioli, Giambattista dar, wie das entlegene plautinische Vokabular prosodisch und linguistisch erschlossen und für den praktischen Gebrauch aufbereitet wurde. Moralische und sprachliche Vorbehalte der Jesuiten gegen Plautus zeigt Caroline Dänzer anhand des Dichters Jakob BaldeBalde, Jakob, der auf die plautinischen Komödien vor allem zurückgriff, um einfache Komik zu erzeugen. Thomas Gärtner macht deutlich, wie der Jesuit Angelin GazetGazet, Angelin in den Pia hilaria Gazet, AngelinPia hilaria, aus denen zwei Stücke ediert und kommentiert werden, plautinische Sprache und Motivik zur Verunglimpfung LuthersLuther, Martin einsetzt. Schließlich weist Gabriel Siemoneit nach, wie Plautus durch die Politica Lipsius, JustusPolitica des flämischen Gelehrten Justus LipsiusLipsius, Justus zu einem bevorzugten Wortgeber protestantischer politischer Literatur wurde.
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