1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht so überzeugt von ihr, wie du es bist.«
Er warf ihr einen überraschten Blick zu. Sein Gesicht – unrasiert und von langen, dunklen Haarwogen eingerahmt – wirkte im Feuerschein beinahe primitiv. »Mariah ist auf unserer Seite, Sarah. Sie ist Mitglied des Kollegiums unserer Partneruniversität. Wenn sie etwas wüsste, dass für unseren Fall relevant wäre, dann würde sie es uns sagen.«
Sarah erwähnte ihre weiteren Vorbehalte nicht, aber Mariah hatte etwas an sich, dem sie nicht traute. Vielleicht war es eine emotionale Reaktion auf Mariahs herablassende Haltung ihr gegenüber. Sie riss sich zusammen und nahm sich vor, vorerst das Beste von der israelischen Professorin anzunehmen. Abgesehen davon traute Daniel ihr offensichtlich, und seine Instinkte waren selten fehlgeleitet.
Sarah hatte begonnen, Daniel weit mehr zu vertrauen, als sie das je erwartet hätte. Als sie sich vor etwas über einem Jahr in Aksum, Äthiopien, kennengelernt hatten, hatte er wie ein wichtigtuerischer Amerikaner mit künstlichem Südstaatenakzent und einer überlebensgroß aufgeblasenen Persönlichkeit gewirkt. Zu jener Zeit war sie ihm gegenüber verhalten gewesen, hatte seine Absichten nicht durchschaut. Doch systematisch hatte er alle ihre Schranken durchbrochen.
Sie erinnerte sich an den exakten Augenblick, in dem sie alle Zweifel hatte fahren lassen. Sie waren allein im Sämen-Gebirge gewesen, wo ein Auftragsmörder sie während ihrer umstrittenen Beschäftigung mit Äthiopiens zehntem Heiligen hingekarrt und zum Sterben zurückgelassen hatte. Nach ein paar Tagen des Überlebenskampfes in der trostlosen Wildnis war sie an der Ruhr erkrankt und konnte nicht weiterlaufen.
»Geh ohne mich«, hatte sie ihm gesagt und es auch so gemeint.
»Selbst wenn ich deine Leiche hier raustragen muss, werde ich nicht ohne dich gehen«, hatte er gesagt. »Ich lasse dich nicht zurück.«
Er war nicht nur bei ihr geblieben: Er hatte ihren kranken Körper über abschüssige Felswände und zerklüftete Bergzüge getragen, wo ein einzelner Fehltritt einen Sturz in eine jähe Schlucht bedeutet hätte. Seine Handlungen sprachen eine deutliche Sprache: Wir stehen das gemeinsam durch. Und genau so war es seitdem gewesen.
Als er sie eingeladen hatte, an seiner Expedition in Saudi-Arabien teilzunehmen, konnte sie nicht ablehnen. Nach allem, was sie in Äthiopien und danach erlebt hatten, hatte sie begonnen, ihn als verwandten Geist und wahren Partner zu betrachten. Und sofern sie sich die Regungen in der Tiefe ihres Herzens zugestand, sehnte sie sich nach seiner Nähe.
»Du hast recht, Danny. Warum sollte sie uns etwas vorenthalten?« Sie richtete die Frage ebenso an sich selbst wie an ihn. »Ich kaufe ihr ihre Theorie ab – fürs Erste.«
Er zeigte ein strahlendes Lächeln. »Das klingt schon besser.« Er stand auf und bot ihr seine Hand an. »Na los, hauen wir uns aufs Ohr. Wir haben einen langen Tag vor uns.«
Am nächsten Morgen arbeitete Sarah mit einer kleinen Mannschaft an einer der Grabstellen an den äußeren Stadtgrenzen. Eine trockene, saunaartige Hitze hatte sich über das Tal gelegt, während die Sonne zum Zenit gewandert war. Zu dieser Tageszeit fiel nicht ein einzelner Schatten auf die endlosen Sandweiten. In diesem gnadenlosen Gelände gab es meilenweit keine Spur von etwas Grünem. Die einzigen Lebewesen waren die Skorpione und Skarabäen, und sogar die versteckten sich tief unter der versengten Oberfläche.
Sarah trug ein Langarmshirt und eine Cargohose, beide in wüstenbraun, und einen Hut mit breiter Krempe über dem Bandana, das um ihren Kopf geschlungen war. Es war zu heiß für so viele Kleidungsstücke, aber Haut zu zeigen war im ländlichen Saudi-Arabien ein schwerwiegendes Vergehen. Ihre Arbeiter waren Landbewohner oder Stammesmitglieder, die fest in den Regeln ihrer patriarchischen Gesellschaft verwurzelt waren. Es hatte mehrere Monate gedauert und jede Menge Diplomatie erfordert, bis sie sie dazu gebracht hatte, Anweisungen von ihr, der einzigen Frau der Expedition, anzunehmen, geschweige denn sie zu respektieren.
Die schwarzhaarigen, braunhäutigen Männer, die Seite an Seite mit Sarah arbeiteten, tratschten harmlos über sie. Einer der Männer deutete auf sie und flüsterte einem anderen etwas zu. Dieser brach in ein schallendes Gelächter aus, das tabakfleckige Zähne enthüllte. Sie schüttelte lächelnd den Kopf, zufrieden, dass die Männer sie so weit akzeptiert hatten, um sich über sie zu amüsieren.
Daniels weißer, stets staubbedeckter Land Rover näherte sich mit gehörigem Lärm. Daniel stieg aus und sagte etwas auf Arabisch zu den Männern, was eine weitere Runde schallenden Gelächters auslöste.
Sie ging zu ihm hin. »Lachen sie über dein Arabisch?«
»Nein«, sagte er. »Ich hab ihnen nur erzählt, dass ich dich für deinen täglichen Hamam-Termin in die Stadt bringe.«
»Wie nett.«
»Ich dachte, der würde dir gefallen. Komm. Ich will dir etwas zeigen.«
Sarah stieg in den Siebzigerjahre-Vintage-Rover und nahm ihren Hut ab. »Schalt die Klimaanlage in diesem Ding an, ja?« Sie benutzte ihren versnobtesten englischen Akzent, um ihn zu amüsieren.
»Die ist an«, sagte er und zeigte auf die offenen Fenster und die Belüftungslöcher im Fußraum. »Nicht raffiniert genug für ein Mädchen, das Privatflugzeuge und Bentleys gewohnt ist, hm?«
Der Kommentar traf sie. Sie hatte ihre gesamte Karriere auf der Flucht vor dem Stigma des kleinen reichen Mädchens zugebracht und ihr Leben der Ausgrabungsarbeit gewidmet. Um sich den Respekt ihrer Kollegen zu verdienen und sich vom Mythos ihres Familiennamens abzuspalten, arbeitete sie härter, als sie musste.
Daniel wusste das – umso mehr erschien ihr seine Bemerkung wie ein Schlag ins Gesicht.
Sein heiterer Ausdruck verfinsterte sich. »Sarah, ich mach nur Spaß. Entspann dich.« Er schüttelte den Kopf und lachte leise. »Ihr Briten habt keinen Sinn für Humor.«
Vielleicht hatte er recht. In letzter Zeit nahm sie alles so ernst. Sie verlor kein Wort mehr darüber und brachte das Flüstern in ihrem Hinterkopf zum Schweigen.
Er öffnete seinen Titanlaptop und hämmerte auf die Tastatur ein, dann drehte er ihr den Bildschirm zu. »Hier. Sieh dir das an.«
Sie erkannte das vertraute Logo auf dem Cover des PDF-Dokuments: ein rotgerändertes weißes Rechteck mit dem Wort BETA darin. Ihr Missmut verflüchtigte sich und hinterließ das vortreffliche Gefühl der Vorfreude. »Der Bericht des Radiokarbonlabors. Endlich.«
»Mach ihn auf.«
Sie öffnete die erste Seite des Berichts über den menschlichen Oberarmknochen des amerikanischen Labors und klickte sich durch, bis sie die vertraute Abbildung der 14C-Aktivität der Probe fand. Zuerst überflog sie das Ergebnis, dann beugte sie sich über den Bildschirm, um sicherzustellen, dass sie richtig gelesen hatte.
Sie wandte sich Daniel zu. »Zweitausendneunhundert Jahre BP?« Schnell rechnete sie das im Kopf nach, indem sie die Zahl von der Gegenwart abzog, die sich bei Radiokarbondatierungen auf das Jahr 1950 bezog. »Damit wären wir irgendwo im zehnten Jahrhundert vor Christus.«
»Das stimmt mit der Sprache überein.« Er zögerte. »Ich habe auch den Bericht der University of Arizona über den Papyrus bekommen.«
»Und?«
»Dasselbe. Sie haben ihn auf 920 vor Christus datiert, plus minus vierzig Jahre.« Er rief eine andere Ansicht auf dem Laptop auf. »Schau es dir selbst an.«
Sie las den Bericht. Er enthielt keine Überraschungen, sondern stimmte mit ihrem Verdacht überein, der sich anhand von Experimenten, die sie insgeheim durchführte, Stück für Stück erhärtete.
Sie sah aus dem Fenster und betrachtete gedankenverloren die Männer, die an der Grabstätte arbeiteten. Sie versuchte sich vorzustellen, wie der Ort zu der Zeit, als die Schriftrolle verfasst worden war, ausgesehen haben musste – und ob dies die Wüste war, von der der Autor sprach. Obwohl es Hinweise auf ausgetrocknete, mit Dattelkernen übersäte Flussbetten gab – was die Existenz von Wasser und einer Nahrungsquelle an den Rändern des Leeren Viertels nahelegte – wusste sie, dass die Wüste selbst eine offenkundig raue, unwirtliche Welt war, jetzt und zu allen Zeiten.
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