Hunter nickte. Sein Großvater war nicht direkt auf seine Frage eingegangen. »Und ein guter Freund leiht einem auch brandneue Jets.«
»Exakt«, lachte Gordon.
»Ich verstehe schon, was du meinst, glaube ich.«
»Soweit ich weiß, hast du nicht viele Freunde.«
»Das ist nicht wahr«, rechtfertigte sich Hunter.
»Wie ich schon sagte, behalte ich dich seit dem Tag, an dem du geboren wurdest, im Auge. Ich weiß es also.«
»Ich tue mich schwer damit, auf andere zuzugehen, aber es gibt schon ein paar Jungs, mit denen ich regelmäßig was unternehme und einen trinke.«
»Würdest du für sie durchs Feuer gehen? Riefe dich einer von ihnen mitten in der Nacht an, weil er Hilfe dabei bräuchte, eine Leiche zu verscharren, würde deine Antwort lauten: Wo?«
»Ich schätze nein.«
»Ich habe viel erlebt und eine Menge erreicht, oh ja. Weißt du auch, wie ich das geschafft habe?«
»Nein.«
»Durch Entschlossenheit, Arbeit und Konzentration. Ich wollte nicht aufgeben und habe mich nicht davor gescheut, meine Fäuste einzusetzen, wenn es sein musste. Aber mein Erfolg rührt auch daher, dass mich meine Angehörigen und Freunde unterstützt haben. John da drin gehört zu jenen Freunden, und von den anderen hast du bereits gehört – Jimmy, Nelson, Gunny, Brittany. Sie alle waren für mich da, und ich wäre ohne sie nicht imstande gewesen, derjenige zu sein, der ich war. Autry gehört ebenfalls zu jenen Freunden. Ich kenne die unsinnige Geschichte über ihn. Sie ist mir zu Ohren gekommen, aber weißt du was? Wer mit der Frau eines anderen Mannes ins Bett steigt, gibt sich meines Erachtens selbst zum Abschuss frei.«
»Aber er hat direkt im Saal des Regierungsausschusses auf den Mann eingestochen, obwohl er Präsident war«, erinnerte Hunter. Er konnte den diesbezüglichen Bericht immer noch schwerlich glauben.
»Gott, wie gern hätte ich das gesehen. Er hat Skinner übrigens überallhin mitgenommen, egal an welchen Ort. Ja, selbst geduscht hat er mit dem verfluchten Messer. Dir ist auch klar, dass er den Hurensohn im Vorfeld gewarnt hatte, er solle aufhören, seinem Freund die Frau auszuspannen? Das war eine Ansage, doch der Trottel hat sie nicht ernst genommen.«
»Diese Gräueltat hätte ihn beinahe die Präsidentschaft gekostet, und hätte er diesen Posten nicht gehabt, wäre er im Knast gelandet.«
»Er hat den Kerl nicht umgebracht.«
»Dafür aber von hierher bis dorthin aufgeschlitzt«, erwiderte Hunter, indem er mit einer Hand von seinem Unterleib bis zum Bauch hinauffuhr.
»Autry hat gern Sprüche geklopft wie ›Ich weide dich aus wie ein Schwein‹. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob das ein Fachmann auch so getan hätte.«
Hunter, den Gordons Worte leicht pikierten, räumte seufzend ein: »Ich kann durchaus nachvollziehen, dass ihr während des Krieges getan habt, was nötig war, aber in einer zivilisierten Gesellschaft verhält man sich nicht so.«
»Ja, mag sein. Zuweilen regt sich in mir der Verdacht, Leute wie Autry und ich seien nur zum Draufhauen gut.«
John streckte seinen Kopf durch die Einstiegstür. »Ihr zwei, kommt schon, wir müssen starten«, rief er.
»Gehen wir«, sagte Gordon. »Unterwegs können wir weiter darüber reden.« Er klopfte Hunter auf den Rücken. Der blieb stehen und erwiderte: »Versteh mich nicht falsch, Großvater, ich weiß zu schätzen, was ihr für uns getan habt.«
»Das bestreite ich auch nicht.«
»Enthalte mir aber bloß nichts vor.«
»Ich erzähle dir alles. Um genau zu sein, wirst du auch etwas erfahren, das mir passiert ist und von dem nur sehr wenige Menschen wissen.«
»Oft liegt der Unterschied zwischen einem erfolgreichen und einem erfolglosen Menschen nicht in den Fähigkeiten oder Vorstellungen verborgen, sondern im Mut, für seine Vorstellungen einzustehen, kalkulierte Risiken einzugehen und zu handeln.« – Maxwell Maltz
Alte Filiale der United States Post, Geneva, Idaho, Republik Kaskadien
»Du machst dir einen Spaß daraus, etwas aufs Spiel zu setzen und Gratwanderungen zu vollziehen, aber ich schwöre, das geht zu weit«, sagte John Steele zu Gordon, der auf der zugefrorenen Straße stand und stoisch zu den verschneiten Spitzen der Berge im Osten aufschaute.
Er antwortete nicht, sondern ließ seinen Blick unerschrocken an den Höhenzügen entlang schweifen. »Was meinst du – befindet sich dieses Gebirge in Wyoming?«, fragte er schließlich.
»Hm?«, erwiderte John, der zunehmend missmutiger wurde.
»Gleich dort, wenn du nach Osten schaust – diese Berge, das muss Wyoming sein«, fuhr Gordon ruhig fort.
John baute sich vor ihm auf und entgegnete: »Das ist eine schlechte Idee. Woher weißt du, dass wir ihm vertrauen können?«
Während Steele ihm die Sicht versperrte, antwortete Gordon. »Man erhält nicht für alles im Leben eine Garantie, das ist dir doch klar.«
»Es war leichtsinnig, uns zu diesem Treffen bereit zu erklären. Lass uns zum Wagen zurückgehen und sofort umkehren, bevor es zu spät ist«, drängte John.
»Nein.«
»Gordon, bitte.«
»Nein.«
In einiger Entfernung kam ein einzelner Humvee um eine Ecke und näherte sich mit laut brummendem Motor.
»Er kommt.« Van Zandt schaute John wieder ins Gesicht. »Es ist an der Zeit, dass du verschwindest … los.«
»Gordon, bitte denk noch mal darüber nach.«
Er zog den Reißverschluss seiner Jacke auf, fasste hinein und nahm zwei weiße Briefumschläge heraus. Nachdem er sie Steele gegeben hatte, erklärte er: »Der eine ist für dich. Öffne ihn, wenn du losgefahren bist.«
»Tu das nicht«, flehte John.
»Deine Nase sieht gut aus – nach all den Querelen, die du damit hattest, meine ich«, bemerkte Gordon mit Bezug auf den Bruch, den sich Steele beim Kampf gegen Charles und dessen Männer zugezogen hatte. »Und was deine Lippe angeht, bin ich der Ansicht, dass man auf dieser Welt nicht umhinkommt, sich Narben einzuhandeln.« Damit meinte er eine wulstige Wunde an Johns Unterlippe, eine weitere Verletzung, zu der es im Gemenge gekommen war. Der Kommentar erinnerte Steele an die Narbe und deren Ursprung.
»Hörst du mir überhaupt zu? Du laberst dummes Zeug. Was da auf uns zugerollt kommt, könnte dein Ende, deinen Untergang bedeuten.«
Gordon schaute ihm in die Augen. »Ich habe keine Angst davor, zu sterben, wirklich nicht. Allerdings möchte ich es nicht in dem Wissen tun, dass meine Familie ohne mich in dieser Welt zurückbleibt. Wir gehen täglich Wagnisse ein, und heute ist das nicht anders. Wenn ich mir nichts einfallen lasse, haben wir alle das Nachsehen, und ich lande in irgendeinem Gefängnis oder werde als Verräter hingerichtet.«
»Und was genau willst du damit sagen?«
Gordon hatte genug von dieser Diskussion. »Hau ab. Ich halte mich an meine Abmachung mit ihm.« Da John nicht gehorchte, wurde er wütend. »Sofort!«
»Du Dummkopf«, schoss John zurück, riss ihm die Umschläge aus der Hand und stapfte zu seinem Wagen.
Van Zandt konnte nicht absehen, wie alles ausgehen würde, doch so war es abgesprochen, und dieser eine Augenblick mochte das Schicksal seines jungen Staates besiegeln.
Steele raste davon und verschwand am Horizont.
Von Norden her frischte der Wind auf, sodass Gordon schauderte. Er verdrängte die Kälte und rückte die Wollmütze auf seinem Kopf zurecht. Wäre er gebeten worden, die Temperatur zu schätzen, hätte er auf einen zweistelligen Minuswert getippt. Das war für Idaho nicht unüblich, dass es kaum geschneit hatte, hingegen schon. Abgesehen von mehreren Stürmen herrschte mehr oder weniger Trockenheit. Vielen Bewohnern von McCall und der Mittelregion Idahos machte es nichts aus, weniger Schnee zu haben, weil das Räumen gelinde gesagt schwierig war.
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