»Nicht behindert, umgeleitet, würde ich eher sagen, Tom.«
Er warf einen Blick hinter sich zu dem zivilen Streifenwagen, einem blauen Mondeo, der neben dem Haus geparkt war, und sagte mit rauer Stimme: »Also, was weiß ich?«
»Sie wurde vor einigen Stunden tot aufgefunden – von jemandem, den wir noch nicht kennen. Die Kehle von einem Ohr zum anderen durchgeschnitten, der Schnitt ging so tief, dass die Wirbelsäule beinahe durchtrennt wurde. Ihre Unterwäsche war noch intakt. Koks auf dem Couchtisch, was bedeutsam sein könnte oder auch nicht. Die Fingerabdrücke auf dem Messer – einem Steakmesser mit gezackter Klinge – stammen von ihr. Na, wie mache ich das?«
Er machte wieder ein miesepetriges Gesicht.
»Sie haben den Toaster und das Kuscheltier vergessen.«
»Hier in dieser Luxusgegend begeht doch niemand Selbstmord. Und wer bitte durchtrennt sich fast die Wirbelsäule, während er sich den eigenen Hals aufschlitzt?«
»Imelda Sheridan.«
»Blödsinn. Wer ist der Hauptverdächtige?«
»Jetzt Sie, weil Sie so viel darüber wissen.«
»Ich und die halbe Stadt, Tom. Hat sich alles schon herumgesprochen. Wie geht’s denn ihrem Ehemann?«
Diese Andeutung gefiel ihm gar nicht.
»Sie sind ein kranker Typ, Rigby.«
»Ja, im Endstadium. Wurde er schon verhört?«
»Warum sollte er verhört werden?«
»Aus Boshaftigkeit. Um Überstunden zu machen. Weil er ein mieser Drecksack ist. Suchen Sie sich was aus.«
»Nehmen wir mal an, wir hätten ihn verhört. Welche Fragen hätten wir gestellt?«
»Wo er war, als es passiert ist. Oder wäre das zu persönlich?«
»Selbstmord ist kein Sport für Zuschauer, Rigby.«
»Sie kennen doch die Statistiken, Tom. Die Menschen bringen sich um, wenn sie jung sind. Und sie war wie alt? Anfang Fünfzig? Sie hat ein großes Haus mit einem Tennisplatz. Geht mit Prada und Louis Vuitton spazieren, um uns zu beeindrucken. Ihr Ehemann steht gut mit dem Parteivorsitzenden, und wenn er es verkackt, kann er immer noch Unfallopfer zu Zivilklagen überreden. In der Klatschspalte taucht sie nur dann nicht auf, wenn die Journalisten streiken, die Kinder sind schon groß, der Junge hat sein Medizinstudium geschafft, die Tochter rettet den Regenwald, gesegnet seien ihre Baumwollsocken.«
Ich kam wieder auf den Punkt: »Warum also sollte Imelda Sheridan Selbstmord begehen?«
»Geld ist eben nicht alles. Vielleicht war sie depressiv.«
Das gefiel mir nicht. Kilfeather war zu sachlich, das bedeutete, ich war auf dem Holzweg.
»Vielleicht fürchtete sie ja, Weihnachten würde ausfallen. Wer hat sie denn nun gefunden, Tom?«
»Darf ich nicht sagen, Rigby.«
»Meine Güte, Tom …«
Die Stimme hinter mir klang so unwirsch wie ein Zementmischer, der gerade Deutsch lernt.
»Kilfeather?«
Er schaute nicht mal auf mich herab. Aber ich schaute hoch in ein breites Gesicht, das von dünnem blonden Haar gekrönt wurde. Der Anzug saß ein bisschen zu knapp, aber sogar ein Zirkuszelt wäre noch eine Nummer zu klein gewesen. Er hatte ein Kinn wie Desperate Dan, und auf seinem Brustkorb hätte ein Hubschrauber im Sturm landen können. Der Geruch von abgestandenem Whiskey schlug mir entgegen, scharf wie Benzin. Und man konnte nur für ihn hoffen, dass er besoffen gewesen war, als er seinen Kamelhaarmantel erstanden hatte.
Kilfeather riss sich zusammen.
»Jawohl, das ist richtig. Und Sie sind Brady, richtig?«
»Wenn ich außer Dienst bin. Jetzt gerade Detective Brady. Und wer ist dieses Arschloch?«
»Ein Schreiber von der Lokalpresse. Nennt sich Rigby.«
»Und was macht er hier?«
»Schnüffelt rum.«
»Echt jetzt, Sherlock? Wieso ist er hier?«
Kilfeather zuckte mit den Schultern und streckte die Brust raus, um Brady zu verdeutlichen, dass er sich nicht gerne ausfragen ließ. »Wieso sind wir hier? Er hat davon gehört und dachte, es gibt vielleicht was Interessantes zu sehen.«
»Hat er es in der Stadt gehört?«
»Wahrscheinlich.«
»Von wem?«
Kilfeather hob die Schultern.
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
»Dann finden Sie es zum Teufel heraus, oder ich zitiere Sie in meinem Bericht. Was haben Sie ihm erzählt?«
Kilfeather kochte vor Wut, seine Wangen wurden knallrot. Er spuckte ein einziges Wort aus: »Nichts.«
»Dafür haben Sie aber eine ganze Weile gebraucht.«
»Er glaubt, sie hat sich nicht umgebracht. Ich hab ihn korrigiert.«
»Korrigiert … was heißt das denn?«
»Dass es sich um eine laufende Ermittlung handelt und die Anzeichen auf Selbstmord hindeuten. Das wusste er auch schon vorher.«
Brady spuckte aus und zerrte seinen Gürtel ein Stück höher.
»Das nächste Mal schicken Sie ihn zu mir. Nein – das nächste Mal buchten Sie ihn einfach ein.«
»Jawohl, Sir. Welches Vergehen?«
Jetzt schaute Brady mich zum ersten Mal richtig an, musterte mich von oben bis unten.
»Wegen billiger Schuhe«, lachte er höhnisch. »Ach übrigens, Kilfeather?«
»Was denn?«
»Wenn Sie mir noch mal so rotzig kommen, putz ich Ihnen die Nase.«
Brady ging zurück zum Mondeo, zündete sich eine Zigarette an und merkte, wie Kilfeather ihm einen bösen Blick zuwarf. Er rieb sich langsam und demonstrativ die Nase, also warf Kilfeather mir einen wütenden Blick zu. Ich verstand den Hinweis und machte die Fliege.
Herbie hing immer noch zitternd über seinem Moped.
»Und?«
»Könnte sein, dass es kein Selbstmord war.«
»Hast du was rausgekriegt?«
»Nichts, was man in einer Zeitung für die ganze Familie zitieren könnte.«
»Scheiße.«
Er streckte sich, blies in die Hände und erinnerte sich wieder, dass er Handschuhe trug. Er schaute über den See zur Stadt, die sich am Fuße eines Berges erstreckte wie ein wild wucherndes Ekzem. Fünf Meilen weit bis zum Atlantik, kleinteilig zerstückelt in Grau und Weiß.
»Hat Regan dir gesagt, wer sie gefunden hat?«
»Nein.«
»Meinst du, er war’s?«
»Lass gut sein, Harry, mehr ist nicht zu holen.«
»Ja, ja.«
Ich holte den Tabak raus, schnorrte ein Blättchen und drehte mir eine Fluppe. »Na schön, überlass das mir. Ich werd mal ein bisschen rumtelefonieren. Es ist sowieso schon zu spät für die Abendausgabe.«
»Kilfeather ist ein Mistkerl.«
»Er ist Bulle, Herb. Das ist sein Job. Aber egal, Kilfeather ist nicht das Problem. Da ist so ein Riese aus der Stadt gekommen, der die Ermittlungen leitet.«
»Hast du von dem was erfahren?«
»Der würde mich nur bemerken, wenn ich auf ‘ne Leiter steige. Und noch was, du Schlaumeier: Wenn er rauskriegt, dass Regan unser Leck ist, dann wird er ihm noch ein paar Lecks verpassen, damit es richtig schön sprudelt.«
Herbie fluchte, zündete sich eine Selbstgedrehte mit seinem Tabak-Gras-Gemisch an und starrte den Garda-Beamten an, der an einem Pfosten an der Einfahrt lehnte. Pflückte eine Tabakkrume von seiner Unterlippe, schnippte sie in Richtung des Polizisten und ließ den Mittelfinger ausgestreckt. Der Bulle schaute ihn seelenruhig an. Herbie sagte: »Meinst du, die stecken mit drin?«
»Wer, die Bullen?«
»Wer denn sonst? Diese Arschlöcher hängen sich doch überall rein.«
»Herb, warum sollten die Bullen ein Interesse am Tod von Imelda Sheridan haben?«
»Vielleicht hat sie ein Bordell geleitet und den Inspektor in einer misslichen Lage erwischt. Vielleicht plante sie einen Staatsstreich, nach dem Motto ›Tony for President‹, und die Bullen haben Wind davon bekommen.« Er zuckte mit den Schultern. »Alles ist möglich.«
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.
»Hör auf mit dem Gras, Herb. Ernsthaft, Mann. Dein Kopf ist eine einzige Matschbirne.«
Читать дальше