Declan Burke ist einer der innovativsten Krimiautoren Irlands und betreibt die Krimi-Website Crime Always Pays. Absolute Zero Cool wurde mit dem Goldsboro Crime Fest Last Laugh Award 2012 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Irish Book Award 2011.
Declan Burke
ABSO
LUTE
ZERO
COOL
Kriminalroman
Aus dem Englischen übersetzt von Robert Brack
Der Verlag dankt für die
finanzielle Unterstützung
der Übersetzung dieses Buches durch:
Ireland Literature Exchange
(Übersetzungsfonds), Dublin, Ireland
www.irelandliterature.com info@irelandliterature.com
Die Originalausgabe des vorliegenden
Buches erschien unter gleichlautendem
Titel bei Liberties Press, Dublin 2011
Edition NautilusVerlag Lutz Schulenburg Schützenstraße 49 a · D - 22761 Hamburg www.edition-nautilus.deAlle Rechte vorbehalten © Edition Nautilus 2014 Deutsche Erstausgabe August 2014 Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg www.majabechert.de1. Auflage Print ISBN 978-3-89401-793-4 E-Book ePub ISBN 978-3-86438-159-1
PROLOG
I WINTER
II FRÜHLING
III SOMMER
IV HERBST
DANKSAGUNGEN
Graphomanie (die Besessenheit, Bücher zu schreiben) wird zwangsläufig zur Massenepidemie, wenn die gesellschaftliche Entwicklung drei grundlegende Voraussetzungen erfüllt:
1) hoher Grad allgemeinen Wohlstands, der es den Leuten ermöglicht, sich unnützen Tätigkeiten zu widmen;
2) hohes Maß an Atomisierung des gesellschaftlichen Lebens und daraus hervorgehend allgemeine Vereinsamung der Individuen;
3) radikaler Mangel bedeutender gesellschaftlicher Veränderungen im inneren Leben eines Volkes. (…)
Allerdings beeinflusst das Ergebnis rückwirkend die Ursache. Die allgemeine Vereinsamung verursacht Graphomanie, die massenweise Graphomanie wiederum verstärkt und steigert die allgemeine Vereinsamung. Die Erfindung des Buchdrucks hat es der Menschheit ermöglicht, sich untereinander zu verständigen. Im Zeitalter der allgemeinen Graphomanie erhält das Bücherschreiben einen umgekehrten Sinn: jeder ist von seinen Buchstaben umzingelt wie von Spiegelwänden, durch die von außen keine Stimme mehr dringt .
Milan Kundera, Das Buch vom Lachen und Vergessen
Die Zeiten sind schlecht. Die Kinder gehorchen ihren Eltern nicht mehr und jeder schreibt ein Buch .
Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.)
Der Mann am Fuß meines Betts ist zu gut angezogen, um etwas anderes zu sein als ein Anwalt oder ein Zuhälter. Er liest sehr aufmerksam, also ist er wohl eher ein Zuhälter, denn Anwälte sind heutzutage eher damit beschäftigt, Romane zu schreiben anstatt sie zu lesen.
Über seinem Kopf, dicht unter der Decke, hängt ein moosgrüner Gecko als einziger Farbtupfer in diesem ansonsten völlig weißen Raum. Weiße Wände, weiße Fliesen. Die Jalousien, das Nachtschränkchen, die Laken, die Kacheln, die Tür – alles weiß.
Da es sich bei seiner Lektüre um ein Romanmanuskript handelt, ist die mir zugewandte Seite ebenfalls weiß.
Er schaut mich an.
»Du hast es echt drauf«, sagt er. Er legt das Manuskript zur Seite und hält eine Zeitung hoch. »Die sind einen Tag hinterher, aber man bekommt einen Eindruck.«
Die Titelseite der Zeitung wird beherrscht von einem verkohlten Krankenhausgebäude, das sich zur Seite neigt.
Ich greife mir Stift und Notizblock, die auf dem Nachttisch bereit liegen, und schreibe ein Wort darauf.
Rosie?
Er steht auf, geht ums Bett herum und nimmt mir den Block ab.
»Der Kleinen geht es gut«, sagt er. »Hat anscheinend ein bisschen Rauch in die Lunge bekommen, ist aber nichts Ernstes. Das wird wieder.«
Er faltet die Zeitung auseinander und blättert sie durch. »Zwischen den Zeilen lesen. Ihrer Ansicht nach wäre eine Anklage wegen Sachbeschädigung für dich am glimpflichsten. Das bedeutet, du musst auf geistige Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Wenn du mit ›total durchgeknallt‹ anfängst und dann bei ›zeitweilig geistesgestört‹ endest, kommst du vielleicht in fünf Jahren wieder raus. Aber das wäre das bestmögliche Szenario.«
Ein Mensch kann sich nicht vor der Welt verstecken. Das lässt die Welt nicht zu. Die Schwerkraft ist unerbittlich. Entweder aufrechter Gang, mit erhobenem Kopf, oder gar nicht.
»Im schlimmsten Fall«, sagt er, »holen sie die ganz großen Knüppel aus der Kiste: Angriff auf staatliche Institutionen, Terrorismus, das ganze Programm. Es gibt zwar kein spezielles Gesetz gegen das Sprengen von Krankenhäusern, aber ich gehe mal davon aus, dass sie einigen Spielraum haben.«
Er hält inne. Die Klimaanlage summt vor sich hin. Durch das abgedunkelte Fenster dringt das leise Zirpen der Zikaden.
»Soweit die gute Nachricht. Die schlechte ist…« Er hält die Kommentarseite hoch und tippt auf das Editorial. »… dass sie der Meinung sind, du könntest unmöglich allein gehandelt haben. Sie gehen davon aus, dass du Helfer gehabt hast, vielleicht eine ganze Gruppe.«
Dem ist nichts hinzuzufügen. Dann wäre alle Mühe umsonst gewesen.
Er faltet die Zeitung zusammen und schiebt sie unter mein Kopfkissen. Greift nach dem Manuskript und legt es auf die blitzsaubere Bettdecke neben meine Hand.
Oben drauf platziert er einen roten Stift, so dass er den Titel »Die Babykiller« unterstreicht.
»Da du in den nächsten Tagen kaum hier wegkommst, dachte ich mir, du möchtest es vielleicht noch mal durchgehen. Und überlegen, ob wir nicht noch mehr Babys umbringen können.«
Mein Zitat für den heutigen Tag stammt von Samuel Beckett: Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern .
Er taucht einfach auf, als hätte man ihn herbeigewünscht.
Ich sitze draußen auf der Terrasse neben dem Goldfischteich an einem milden Frühlingsmorgen, die Knospen sprießen, die Sonne geht auf, es wird ein warmer Tag. Die Bienen summen, der Springbrunnen gurgelt vor sich hin wie ein zufriedenes Baby. Eine Tasse guten Kaffee in der Hand. Gerade denke ich noch, dass alles so ist, wie es sein soll, da fällt ein Schatten auf die vor mir liegenden Blätter. Als ich aufschaue und meine Augen gegen die Helligkeit abschirme, steht er da, schüchtern und mit einem leicht blöden Grinsen im Gesicht.
»Du erinnerst dich nicht mehr an mich«, sagt er.
Bestimmt verwechselt er mich mit einem anderen. Wir haben uns in den letzten Tagen zugenickt, wenn wir einander begegneten, in der Kantine oben im Großen Haus oder wenn wir auf dem Gelände unterwegs waren. Jedes Mal hatte ich den Eindruck, er warte darauf, dass ich ihn wiedererkenne, ihn freundlich anlächle und ihn auffordere, sich mit mir zu unterhalten.
So läuft das aber nicht bei mir. Ich bin hier, weil ich mich zurückziehen, mich abschotten, mich auf meine Arbeit konzentrieren will. In stiller Abgeschiedenheit und auf Eingebung hoffend.
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