Beate lächelte Margot Kitzler freundlich zu. »Frau Kitzler hat vollkommen recht, Walter. Du musst lernen, ein wenig abzuschalten. Wir sind auf Wohlfühlurlaub.«
»Wie soll ich mich wohlfühlen, wenn es alle auf mich abgesehen haben!«
»Ich habe mich am Anfang auch über vieles aufgeregt«, gab Frau Kitzler zu. »Und schauen Sie mich nach zwei Wochen an – ich bin die Gelassenheit in Person! Selbst die Frau Professor kann mich nicht mehr aus der Ruhe bringen.«
»Ihr habt ja recht«, lenkte Walter ein. »Ich reg mich viel zu leicht über alles auf. Herr Ober!« Er winkte dem aufmerksamen Kellner. »Eine Runde Biowein für uns alle!«
Überrascht schaute Beate ihren Mann an. Was war denn plötzlich in den gefahren? So großzügig kannte sie ihn gar nicht.
Während Walter schnell die Kosten im Kopf überschlug, rechnete sich Beate die Kalorien aus. Ach was, sagte sie sich, wenn ihr Mann schon einmal gut drauf war, sollte sie ihn gewähren lassen. Wer weiß, wann er wieder in Spendierlaune sein würde. Das letzte Mal, dass er eine Tischrunde ausgegeben hatte, war, als Tommy zur Welt kam. Das war vor fünfundzwanzig Jahren!
Als der Wein auf dem Tisch stand und Walter nach einem kleinen Schock die Rechnung unterschrieben hatte, hob er sein Glas. »Auf unser Wohl!«
Sie prosteten sich zu.
Opa, der an seinem dritten Glas nuckelte und immer besser gelaunt war, krähte: »Ohne Wein und ohne Weiber, hol der Teufel uns‘re Leiber.«
Walter tätschelte die Hand seines Vaters. »Lass gut sein, Papa.«
Frau Professor Rosenblatt hob eine Augenbraue und meinte: »Mit den Weibern wird’s wohl nix mehr werden, Herr Schneider.«
»Linda und Wilhelm Busch! Einen schönen guten Abend!«, knarrte eine laute Stimme durch den Saal.
»Was ist los?«
Am Nachbartisch hatte sich ein neu angekommenes Ehepaar niedergelassen. Beide waren Mitte sechzig, der Mann trug einen steirischen Trachtenanzug und einen roten Haarpelz auf dem Kopf, wie ein Orang-Utan. Dazu passten die überlangen Arme. Er war groß und quadratisch und sein Kopf schien ihm direkt aus den Schultern zu wachsen. Seine Frau war dick, platinblond, und gab sich alle Mühe nett zu sein. Allerdings hatte sie ein Gesicht so voller Sommersprossen, dass man glauben könnte, sie war von einer Schrotladung brauner Farbe im Gesicht getroffen worden. Sie trug ein Dirndl, welches einen Einblick in ihren Ausschnitt erlaubte, dass dem Mann aus der Teebar beinahe die Augen aus dem Kopf fielen.
Das Paar schien gut gelaunt und nickte motiviert in die Runde.
»Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät zum Abendessen!«, rief Herr Busch.
»Schaut euch die an«, ätzte Walter leise, »die wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt.«
Beim herbeieilenden Kellner, der die Neuankömmlinge herzlich begrüßte und gleichzeitig versicherte, dass der Speisesaal bis zwanzig Uhr geöffnet hatte, bestellte Herr Busch als erstes ein Bier.
»Ein großes Helles, bitte!«, verlangte er mit laut scheppernder Stimme und grinste leutselig in den Speisesaal hinein.
Augenblicklich hörte im Saal das leise Gemurmel auf, die Gespräche stockten und die Temperatur sank um mindestens fünfzehn Grad. Köpfe drehten sich in seine Richtung und Leichenbittermienen maßen ihn empört. Am empörtesten aber schaute Walter drein, obwohl er sich klammheimlich über den neuen Gast freute, denn jetzt war er mit seinen Sonderwünschen nicht mehr allein.
Beate nickte dem Ehepaar jetzt entschuldigend zu, so als sei sie an der Ernährung im Hotel schuld, und Frau Professor Rosenblatt presste empört die Lippen zusammen.
Nur Opa krähte: »Hopf und Malz, Gott erhalt‘s!«
Der Kellner verkündete: »Wir servieren Wasser zum Essen.«
Herrn Buschs Lippen formten das Wort Wasser, als habe man ihm Arsen angeboten. Man konnte buchstäblich sehen, wie die kleinen grauen Zellen in seinem Kopf Amok liefen.
»Sie können Biowein haben«, versuchte es der Mann aus der Teebar.
Walter beugte sich über Beate zum Nachbartisch hinüber und bemühte sich erst gar nicht, seine Schadenfreude zu verbergen: »Vier Euro achtzig das Glas!«
Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, stand Biowein eindeutig nicht auf Herrn Buschs Prioritätenliste.
»Heute haben Sie zwei Menüs zur Auswahl«, führte der erfahrene Kellner geduldig aus. »Kichererbsen und Grünkornbrätling auf Cremespinat. Oder Ofenkartoffel mit Kohlsprösschen in Kurkuma-Rahmsause.«
Die Kinnlade von Herrn Busch fiel nach unten und sein Gesichtsausdruck wurde geradezu aggressiv. »Und wo ist das Fleisch?«
»Wir servieren nur fleischlose Vollwertkost.«
Frau Professor Rosenblatt bemerkte naserümpfend und nur für ihren Tisch bestimmt: »Ich glaube, der Mann verfügt über eine sehr kurze Ahnenreihe.«
Frau Busch entfaltete eine Papierrolle, auf der die Speisenabfolge stand. »Ich nehme die Kohlrabisuppe«, teilte sie dem Kellner nach längerem Studium mit, »und anschließend die Kichererbsen.«
»Kann ich sehr empfehlen«, sagte der Mann aus der Teebar und lächelte aufmunternd.
»Wissen Sie«, erzählte sie unaufgefordert, »wir haben den Aufenthalt hier nämlich gewonnen. Es war der Hauptgewinn.«
»Ach was!«
»Bei einem Preisausschreiben der Kronen Zeitung. Wir waren völlig aus dem Häuschen, als wir die Nachricht bekommen haben.«
Der Kellner, der immer noch auf die Bestellung des Mannes wartete, zog eine Augenbraue hoch und sagte: »Gratuliere.«
»Was nimmst du jetzt, Wilhelm?«, drängte Frau Busch ihren Mann.
»Mir bringen Sie nur die Nachspeise«, befahl dieser.
Der Kellner schritt mit undurchsichtigem Pokerface in Richtung Küche.
Beate lächelte verständnisvoll zu Frau Busch hinüber. Dieser Hauptgewinn schien zumindest für Herrn Busch gründlich in die Hose zu gehen.
Professor Rosenblatts Augen funkelten hinter der randlosen Brille, als sie raunte: »Dieser Alm-Dödi hat überhaupt kein Benehmen. Solche Leute gehören eigentlich in den Keller verbannt.«
»Und so was gewinnt auch noch ein Preisausschreiben«, ärgerte sich Frau Kitzler. »Ungerecht ist das!«
Frau Professor Rosenblatt neigte sich vor und flüsterte: »Ob die beiden vom Hotelmanager schon gewarnt worden sind, was heute passiert ist? Oder lässt er sie direkt ins Messer laufen?«
»Sie drücken sich wieder drastisch aus!«, raunte Margot Kitzler zurück.
Tommy, der Fleischfresser gar nicht mochte, rümpfte die Nase. »Dieser Busch ist ein ausgesprochen unsympathischer Mensch!«
»Das ist kein Mensch, das ist ein Kronen-Zeitung -Leser!«, gab Frau Professor Rosenblatt ihrer Verachtung Ausdruck. »Ich selbst habe ja Die Presse abonniert.«
Während sie auf das Essen wartete, erzählte Frau Busch unbekümmert weiter: »Jeden Tag um fünf Uhr früh holt mein Mann die Kronen Zeitung aus dem Postfach und dann lesen wir als Erstes die Leserbriefe.«
»Dann haben Sie uns gegenüber ja einen gewaltigen Bildungsvorsprung!«, bemerkte Frau Professor Rosenblatt süffisant.
Der Kellner kam und servierte Frau Busch die Suppe, während ihr Mann mit Todesverachtung in die Luft starrte.
»Willst du sie nicht wenigstens probieren, Wilhelm?«, machte sie einen Versuch, ihren Mann umzustimmen.
»Lass mich bloß in Ruh!«, knurrte er seine Frau an.
Während Frau Busch wartete, bis ihre Suppe etwas ausgekühlt war, plapperte sie weiter: »Wilhelm schreibt jeden Tag einen Leserbrief, gell, Wilhelm? Und fast alle werden abgedruckt. In Kaindorf, wo wir wohnen, ist er schon eine Berühmtheit, weil er so messerscharf formuliert.«
»Vielleicht wird Ihr Mann ja bald für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen«, antwortete die Frau Professor und lächelte maliziös.
»Was nicht ist, kann ja noch werden, gell, Wilhelm?«
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