Ella Carina Werner
Der Untergang des Abendkleides
wuchs in Ostwestfalen als Tochter einer Bauchtänzerin und eines Psychologen auf. Seit 2016 ist sie Redakteurin des Satiremagazins Titanic in Frankfurt am Main und betreibt die Lesebühne »Liebe für alle« in Hamburg, wo sie mit ihrer Familie lebt. Außerdem schreibt sie regelmäßig humorvolle Texte für das Missy Magazine, die Satireseite der taz, die Frankfurter Rundschau und andere Medien.
Mit ihren komischen Geschichten und politischen Satiren tritt sie im deutschsprachigen Raum auf. 2011 war sie Mitbegründerin und ist seither Mitorganisatorin des »Diary Slam«, des ersten deutschen Tagebuch-Wettlesens, in Hamburg.
2012 erschien ihr autobiografischer Roman »Die mit dem Bauch tanzt. Eine ostwestfälische Familiengeschichte« bei Ullstein sowie 2017 »Rastavati«, gemeinsam mit Jutta Weber, bei Rowohlt.
E-Book-Ausgabe September 2020
© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2020
www.satyr-verlag.de
Cover: Katharina Greve, Berlin
Korrektorat: Jan Freunscht
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
E-Book-ISBN: 978-3-947106-49-3
Vierzig
Menschen
Der schönste Tag
Menopause Turbosause
Pro und Kontra
Theater mit Tante
Das hält die Liebe jung
Sommerbalkonweingeschichte
Junge deutsche Männer
Ein guter Abgang
So wird das Matriarchat
Enten
Gedankenspiel
Zack bumm
Mein Steuerberater, die Ehe und ich
Dicke, haarige Hamster
Hinter den Fensterscheiben
Lachen
Trinke, Liebchen, trinke
Ding dong
Mutter, Schwester, Kind
Welches Tier wären Sie am liebsten?
Draußen heulen die Heringe
Finnland, erwache
Liebeslied
Das letzte Kind
Beim Frauenarzt
Gute Vorsätze
Fünfundneunzig Prozent
Wo es wehtut
Lebensfreude
Seltener Besuch
Danke, danke!
Fanny Müller gewidmet
Gut, dass ich bald vierzig bin. Mit vierzig kann man Dinge tun, die man sich mit zwanzig nicht traut. Zum Beispiel Tassen mit passenden Untertassen kaufen. Ich liebe Tassen mit passenden Untertassen, aber sag das mal mit zwanzig den Leuten in deiner verranzten WG-Küche.
Mit vierzig kann man sich um die Rente sorgen. Den ganzen Tag um die Rente sorgen, herrlich. Mit zwanzig kann man das nicht, da wäre man sogar aus der Jungen Union rausgeflogen.
Mit vierzig kann man unbehelligt seine Träume träumen, von einer Karriere als Primaballerina oder Klaviervirtuosin, und niemand ruft: »Ja geil, mach doch! Die Welt steht dir offen.«
Mit vierzig steht dir die Welt überhaupt nicht mehr offen, das ist das Gute. Das nimmt den Druck raus, entspannt.
Mit vierzig muss man nicht mehr »fuckable« sein. Verflucht, war das anstrengend, immer dieses »Fuckable«-Sein, in den Schulpausen, in der Unimensa, auch wenn es das Wort früher noch gar nicht gab. »Bumskompatibel« hieß das damals, wenn ich mich recht erinnere: »Ella, du musst bumskompatibel sein«, lagen mir meine Tanten in den Ohren, jeden Tag.
Mit vierzig muss man als Frau nicht mehr andauernd nach einem Stift suchen. Den kann man sich jetzt unter die Brust klemmen, und er fällt nicht mehr runter. Das ist praktisch. Alternativ geht auch eine Filterzigarette oder ein Schokoriegel. Man kann auch zwei Stifte nehmen, um sich von anderen abzugrenzen. »Oh, da kommt Ella Carina Werner, die mit den zwei Stiften«, wird es von überall tönen.
Mit vierzig kann man Foxtrott tanzen und makellos Bridge spielen. Dafür braucht man keinen Kurs zu belegen, das kann man dann von selbst.
Mit vierzig kann man sich einen Jahrzehnte jüngeren Partner angeln, so wie diese coole Sau Brigitte Macron. Mit zwanzig ist das nach unten hin begrenzt.
Zwanzig war schlimm. Ich darf gar nicht daran denken. Mit zwanzig musste man immer Tomate-Mozzarella zu Partys mitbringen, sonst kam man gar nicht rein. Tablettweise aufgeschichtetes Tomate-Mozzarella, balanciert auf dem Gepäckträger des klapprigen Hollandrads. Fiel das Tablett auf halber Strecke herunter, galt es, die balsamicodurchtränkten Scheiben vom Bordstein zu kratzen, neu zu platzieren und die schwarzen Geröllsteinchen als grobkörnigen Pfeffer auszugeben.
Mit zwanzig muss man Sachen sagen wie »Portugal soll echt schön sein«, »Schon mal Rucola gegessen?« oder »Wie geil ist das denn!«. Mit vierzig muss man überhaupt nichts mehr sagen. Mit vierzig sitzt man einfach da, schädelt einen Eierlikör nach dem anderen, studiert die ZEIT-Bildungsreisen-Angebote und wartet auf den Tod. Okay, das habe ich auch schon mit zwanzig gemacht, aber jetzt ist es legitimiert.
Mit vierzig sind viele große Fragen oftmals schon gelöst. Zum Beispiel die Verhütungsfrage.
»Pille? Spirale?«, fragt mein 25-jähriger Fantasieverehrer.
»Nee, FUB. Finale Unfruchtbarkeit.«
»Wie geil ist das denn!«, ruft der Grünschnabel. »By the way, hast du schon mal Rucola gegessen?«
Mit vierzig muss man nicht mehr seine Eltern brauchen. Die brauchen jetzt dich. Guter Egoschub.
Mit vierzig kriegt man die ganzen guten Charakterrollen, in Spielfilmen und auf Familienfeiern.
Mit vierzig darf man die Dinge verniedlichen, darf »Stößchen« sagen und »Weinchen« und »noch ein Weinchen« und »Nahostkonfliktchen«.
Mit vierzig kann man alles, aber wirklich alles auf die nahenden Wechseljahre schieben, auch die neue SPD-Mitgliedschaft.
Mit vierzig kann man einen Platz im Seniorenstift vorreservieren. Das ist albern, aber immer noch weniger albern, als ungeborene Kinder in Kitas anzumelden.
Ab vierzig ist jede Geburtstagsfeier ein Bergfest.
Mit vierzig kann man in der Schweiz Sterbehilfe beantragen.
Mit vierzig ist man so alt, wie Marilyn Monroe nie war.
Mit vierzig kann man zu Fasching als Ursula von der Leyen gehen oder Ulrike Meinhof.
Mit vierzig muss man nicht mehr Cola-Rum trinken. Mit vierzig lässt man die Cola einfach weg.
»Ella, was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?«, fragt meine Schwester. Meine Schwester ist noch jung, sechsunddreißig.
»Stifte. Nur Stifte«, sage ich gedankenschwer. »Am liebsten zwei silberne Füllfederhalter. Und Schokoriegel, Filterzigaretten, eine Meinhof-Perücke und ein Fläschchen Rumchen.«
Herrlich. Ich freue mich darauf. Nur noch ein paar Tage.
Es ist wahr: Lustige Geschichten sind umso lustiger, je grantiger und misanthropischer sie sind. Grummelige Griesgrame, Sauertöpfe, Menschenhasser – so lustig!
Das ist mein Problem. Ich mag Menschen. Ich mag den jungen Mann mit dem Seitenscheitel, die alte Frau mit den hängenden Mundwinkeln und den Rentner mit dem stechenden Blick, der mich stumm in der S-Bahn fixiert.
Herrgott, ich mag sie! Sie sehen mich an, und ich mag sie. Sie reichen mir die Türklinke, und ich mag sie. Sie verkaufen mir ihre S-Bahn-Tageskarte 20 Cent billiger, und ich liebe sie.
Andere mögen Reptilien oder Starkbier, ich Menschen.
Ich mag ihre Augen, Zehen und Ohren, die knolligen Nasen, ihre Bauchnabel und die Fusseln in ihren Bauchnabeln auch. Ich mag, wie sie gucken. Wie sie aussehen gleich nach dem Aufwachen. Wie sie ihre Münzen an Fahrkartenautomaten reiben oder ihre Geschlechtsteile.
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