Meine Tante gleitet zurück auf ihren Sitz, senkt das Haupt.
»Nu sag doch auch mal was«, knufft sie mir gegen die Schulter.
»Das mit den Igeln stimmt«, nicke ich in die Runde.
»Ich will nicht vorbestraft sein«, bäumt meine Tante sich ein letztes Mal auf. »Ich habe eine Zukunft. Ich brauche eine lupenreine Schufa-Auskunft. Ich brauche diese neue Ferienwohnung auf Föhr!«
Die letzten Worte flüstert sie fast: »Verliere ich jetzt meinen Beamtenstatus?«
»Und Ihre staatliche Beihilfe plus sämtliche überzogenen Pensionsansprüche«, knurrt der Kontrolleur, »wenn Sie Ihre dunkelrot bepinselte Schnute nicht endlich halten und aufhören, mich mit Ihrem Opernglas in den Bauch zu piksen!«
»Ach«, fährt meine Tante hoch, ihre Augen blitzen auf, jetzt ist sie wieder die Alte: »Woher weiß denn überhaupt ein kleiner städtischer Hilfsarbeiter wie Sie, was Beihilfe ist?«
»So viele Staatsdiener, wie hier schwarzfahren, da weiß man das irgendwann«, blafft der Kontrolleur zurück.
»Tantchen«, bemühe ich mich, mediativ einzugreifen, »Tantchen, Hakuna Matata«, versuche ich, die allgemeine Anspannung zu lösen.
»Ach was«, schnaubt sie. »Sein Hakuna Matata kann sich dieses fette Warzenschwein in seinen fellbekränzten Anus stecken!«
So langsam kommt meine Tante richtig in Fahrt. So langsam leuchten ihre Wangen frisch durchblutet.
»Non est bonum«, gellt meine Tante. »Nichts ist in Ordnung, das ist es, in Deutschland, und hier und jetzt! – Haha, schon wieder vorbeigefahren!«
»Ich scheiße auf Ihr Bildungsgeblubber«, verliert der Kontrolleur die Geduld. »Ich bräuchte Ihre Personalien!«
»Brauche, nicht bräuchte«, schrillt meine Tante. »Der fehlerhafte Konjunktiv bringt Ihnen hier gar nichts!«
»Scheiß die Wand an«, dröhnt der Kontrolleur durchs Abteil, dass sämtliche Haltegriffe ins Wanken geraten. »Jetzt schieben Sie gleich Ihren samtverpackten Hintern nach draußen, Sie zahlen und basta. Das hier ist ein Rechtsstaat!«
»Wie viel ein Rechtsstaat wert ist«, höhnt meine Tante, »wissen wir spätestens seit Hamlet . Den Sie vermutlich für ein Möbelstück von Ikea halten. Wissen Sie überhaupt, wer das ist? Wissen Sie, was Schwarzfahren auf Altgriechisch heißt, Sie outgesourcter ÖPNV-Knecht auf freier Mitarbeiterbasis?«, krakeelt meine Tante, wobei sich ihre Stimme dreimal überschlägt.
Wie es ausging, weiß ich nicht, ich bin beim nächsten Halt einfach ausgestiegen. Ich glaube, meine Tante hat es gar nicht bemerkt. Das Letzte, was ich sah, als ich mich auf dem Bahnsteig noch einmal umdrehte und durch die Fenster der wieder anrollenden U-Bahn sah, waren die Funken sprühenden Augen meiner Tante und der gewaltige, zornbebende Schnauzbart des Kontrolleurs.
Ich glaube, es ging noch länger.
Eine Zweierbeziehung ist schön. So eine richtige Liebesbeziehung zu zweit. Man ist sich ähnlich, schaut in dieselbe Richtung, hat dieselben Ansichten, und das ist gut. Oder man ist sich unähnlich, hat verschiedene Ansichten, und das ist vielleicht noch besser. Einer guckt fern, und der Andere kocht. Einer schläft, und der Andere wacht. Eine Seele in zwei Körpern.
Eine Dreierbeziehung würde mir allerdings auch gut gefallen. Einer schaut fern, der Andere kocht, und der Dritte bringt schon mal den Müll raus. Alles geht viel schneller, außer die Gute-Nacht-Küsse und die Steuererklärung.
Zwei schauen in dieselbe Richtung und der Dritte in eine andere, das hält die Liebe jung. Wenn zwei sich streiten, macht der Dritte schon mal das Abendbrot. Wenn Einer den Anderen vermöbelt, kann der Dritte die häusliche Nothilfe rufen. Und bei den Schwiegereltern sitzt man nie als Zaungast allein.
Eine Viererbeziehung hat aber auch was. Einer schaut fern, der Zweite kocht, der Dritte bringt den Müll raus, und der Vierte tut schon mal eine neue Tüte in den Mülleimer. Wenn zwei Sex wollen und zwei nicht, können die solange das Klo schrubben, das hält die Liebe jung. Zu viert kann man die herrlichsten Beziehungssoziogramme aufmalen. Zu viert kriegt man ein Großraumtaxi. Zu viert kann man immer Doppelkopf spielen. Zu viert ist jeder Abend ein geselliges Beisammensein.
Zu viert kann man zu Fasching als die Terrorbande des NSU gehen, Arm in Arm: Beate, Uwe, Uwe und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Wenn Einer stirbt, bleibt niemand allein. Wenn noch Einer stirbt, bleibt immer noch niemand allein. Wenn noch Einer stirbt, dann schon. Aber dann hat der Letzte vielleicht schon einen schönen Batzen geerbt, und das ist doch auch mal was.
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