Jacques Berndorf - Der Reporter

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"Es ist ein Beruf wie jeder andere auch. Die meisten Leute glauben, er ist sehr abenteuerlich, aber meistens ist er nur ein bisschen widerwärtig, und Sternstunden sind selten."
Ein brutales Frühwerk
Es hätte nicht viel gefehlt, und Paul Poggemann wäre endgültig unter die Räder gekommen. Er hat alles verloren. Seine Frau, seinen Beruf, den Glauben an sein Talent. Im Keller eines Mietshauses verkriecht er sich und zieht Resümee. Er weiß, dass er nur weiterleben kann, wenn es ihm gelingt, seine schrecklichen Erinnerungen zu verarbeiten. Und so macht er das, was er kann: Er haut die Gedanken an die irrsinnigen Tage seiner Reporter-Tätigkeit in die Schreibmaschine.
Erinnerungen an ein Leben voller Hetze, voller Brutalität und voller Alkohol. Ein Leben, in denen er über Flugzeugabstürze, bestochene Regierungsräte und besudelte Kinderleichen berichtete, bei dem kein Weg zu weit und kein Spiel zu schmutzig war, um an Informationen zu kommen.
Ein Leben auf Abruf, ohne Ruhepause, eins, das man nur im Suff halbwegs ertragen kann. Doch Poggemann hat noch eine kleine Tochter. Und diese Tatsache ist der letzte Rest an Hoffnung auf eine Art Zukunft, der ihm überhaupt noch geblieben ist.
Jacques Berndorf schrieb diesen Roman 1971 unter seinem wirklichen Namen Michael Preute, mit dem er damals selbst große Karriere als Illustrierten-Reporter machte. Mit nur 35 Jahren weiß er schon ganz genau, worüber er schreibt. Kein Abgrund dieses Berufs ist ihm fremd.

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Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Mords-Eifel (Hg.)

Der letzte Agent

Requiem für einen Henker

Der Bär

Tatort Eifel (Hg.)

Mond über der Eifel

Die Nürburg-Papiere

Die Eifel-Connection

Eifel-Bullen

Eifel-Krieg

Magnetfeld des Bösen

Auf eigene Faust / Bis der Hass euch bindet

Eine Reise nach Genf

Der Bunker

Der Monat vor dem Mord

Jacques Berndorfist das Pseudonym des 1936 in Duisburg geborenen Journalisten, Sachbuch- und Romanautors Michael Preute. Sein erster Eifel-Krimi, Eifel-Blues, erschien 1989. In den Folgejahren entwickelte sich daraus eine deutschlandweit überaus populäre Romanserie mit Berndorfs Hauptfigur, dem Journalisten Siggi Baumeister. Dessen bislang jüngster Fall, Eifel-Krieg, erschien 2013 als Originalausgabe bei KBV.

Berndorf setzte mit seinen Romanen nicht nur die Eifel auf die bundesweite Krimi-Landkarte, er avancierte auch zum erfolgreichsten deutschen Kriminalschriftsteller mit mehrfacher Millionen-Auflage. Sein Roman Eifel-Schnee wurde im Jahr 2000 für das ZDF verfilmt. Drei Jahre später erhielt er vom »Syndikat«, der Vereinigung deutschsprachiger Krimi-Autoren, den »Ehren-Glauser« für sein Lebenswerk.

Jacques Berndorf

Der Reporter

Die Originalausgabe erschien 1971 im C Bertelsmann Verlag 2020 KBV Verlags - фото 1

Die Originalausgabe erschien 1971 im C. Bertelsmann Verlag.

© 2020 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: info@kbv-verlag.de

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Fax: 0 65 93 - 998 96-20

Umschlaggestaltung: Ralf Kramp

unter Verwendung von © beeboys_stock.adobe.com

Print-ISBN 978-3-95441-536-6

E-Book-ISBN 978-3-95441-546-5

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

1. Kapitel

Die Tage vergingen seinerzeit so schnell, dass ich Mühe habe, sie voneinander zu trennen. Die Zeit damals lässt sich nicht teilen in Tag und Nacht, nicht in Perioden der Ruhe und Betriebsamkeit. Die Zeit war fiebrig.

Ich weiß nicht, wann die Sache in Chamonix begann, obwohl man es leicht in irgendeinem Zeitungsarchiv feststellen kann. Es war eine trostlose Geschichte, wie die meisten Geschichten, die ich damals machte oder jemals gemacht habe. Aber was willst du tun? Du bist stolz, Reporter zu sein. Du jagst hinter einem Mann her, der sein Geschlechtsteil irgendwelchen Schulkindern zeigt, bis du begreifst, dass er nichts als krank ist, auf eine trostwürdige, gemeine Art krank. Und trotzdem schreibst du »Strolch«, »Sittenstrolch«, »Unhold«, und natürlich willst du insgeheim den Leser schreien hören: »Hängt das Schwein auf!« Aber mit deinen ersten Zweifeln beginnt deine Krankheit.

Ich weiß: Ich muss jetzt sagen, dass beileibe nicht alle in diesem Beruf so sind, nicht alle von Exhibitionisten schreiben oder über Frauen, die ihr Mann erschlug, erwürgte, erschoss. Gut, ich sage es. Aber ich habe in dieser Welt von Autobahntoten, Suffmördern, bestochenen Regierungsräten und spermabesudelten Kinderleichen gelebt, und es ist schwierig, im Schmutz zu leben, ohne darin umzukommen. Ich bin wohl verbittert.

Chamonix war eine blödsinnige, hastige Geschichte, bei der wir nur Spesen machten und versuchten, irgendwelche Toten zu fotografieren, die es nicht gab. Ich glaube, ich habe in Chamonix begonnen, alles zu zerstören – möglicherweise aber auch viel eher. Auch diese Zeit kann zerstört haben, weil ich sie nicht begriff und nicht in Frieden mit ihr leben konnte. So war ich nur ein Werkzeug und habe eine Entschuldigung.

Ich weiß es nicht.

Es muss Frühjahr gewesen sein, denn auf den Straßen lag frühmorgens noch Eis, obwohl die Sonne schon stark war und gleißend. Wir wurden gegen Mittag zu Braumann gerufen. Braumann war damals schon Chef der Produktion, er wählte die Geschichten aus, er steuerte die Reporter. Er sagte: »In Chamonix ist in der vergangenen Nacht eine Düsenmaschine gegen den Berg gerast. Angeblich einhundertsiebzehn Tote. Seht zu, was ihr machen könnt, und ruft mich an, wenn irgendetwas Besonderes ist.«

Nahezu alle meine Geschichten machte ich mit Kohler. Er war ein guter Fotograf, er hatte Einfälle und Mut. Es gab einige Leute, die behaupteten, er sei homosexuell, aber ich weiß, dass er es nicht war. Diese Leute ließen sich wohl davon leiten, dass er gern grellfarbene Krawatten trug, ganz enge Hosen, taillierte Jacken und weiches, langes Haar. Ich muss zugestehen, dass sein Gesicht sehr weibisch wirkte. Aber er war damals so verdammt allein, dass er irgendetwas aus sich machen musste, damit er nicht grau und eintönig daherlebte. Das ist wohl alles. Und ich weiß nur, dass er Furcht hatte vor irgendetwas und dass er diese Furcht niemals wirksam bekämpfen konnte, denn sie saß sehr tief in ihm.

Wir erreichten die Maschine, die gegen fünfzehn Uhr nach Genf flog. Das Wetter war sonnig, und es war eine dieser zweimotorigen Convair-Maschinen, mit denen ich sehr gern fliege, weil sie auf mich so solide wirken wie jene großen, zeitlosen englischen Autos, die man hierzulande kauft, um irgendwer zu sein. Wir tranken unterwegs zwei oder drei Kognaks, und Kohler nahm eine dieser kleinen, gelben Pillen, sodass er ruhig und lustig war und in sehr gekonnt gebrochenem Englisch einen Witz aus der Fliegerei erzählte. »To the right you see the snowcapt mountains, to the left a burning engine. Here is Captain Gonzales, speaking from the toilet.«

In Genf nahmen wir von Avis ein Auto, einen Peugeot, und machten uns auf den Weg nach Chamonix. Die Straße über Bonneville und Cluses war anfangs sauber und trocken. Später, als die Steigungen begannen, war es gefährlich, denn das Eis und der Schnee reflektierten das Licht der Scheinwerfer, und zuweilen konnte ich nicht ausmachen, wie weit ich von den scharf gezähnten Felswänden oder von den steilen Abhängen entfernt steuerte.

Kohler war in bester Verfassung und erzählte mir eine Geschichte von drei Studentinnen, mit denen er in einem Abteil des Jugoslawien-Express vor einigen Monaten Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Er erzählte mir diese Geschichte zum soundsovielten Mal, und auch jetzt erfand er wieder neue Variationen, über die ich lachen musste, obwohl er sehr obszön erzählte, manchmal geradezu blutig.

Aber in all seinen Sätzen lag eine sachliche Behutsamkeit. Er sagte nie: »Sie stöhnten und bissen mich, und die Dicke schrie: ›Jetzt will ich!‹, er sagte: ›Sie waren verrückt, weil sie endlich aus ihrer Einheitssuppe herauskamen. Und sie fingen mit dem Verrücktwerden sofort im Zug an, als die Eltern noch auf dem Bahnsteig standen und winkten. Und sie schrien wie verrückt, als hätten sie es nie gehabt. Und die Dicke hatte Tränen in den Augen. Sie schämte sich so, aber sie schrie …«

Ich erinnere mich, dass ich in Sallanches auf dem Marktplatz hielt, weil ich unbedingt etwas trinken wollte, und Kohler plötzlich aufgehört hatte zu erzählen. Er saß mit weißen, verkrampften Händen vornübergebeugt und sagte fortwährend: »Scheiße! Ist mir komisch!«

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