Vom Autor bisher bei KBV erschienen:
Mords-Eifel (Hg.)
Der letzte Agent
Requiem für einen Henker
Der Bär
Tatort Eifel (Hg.)
Mond über der Eifel
Die Nürburg-Papiere
Die Eifel-Connection
Eifel-Bullen
Eifel-Krieg
Magnetfeld des Bösen
Auf eigene Faust / Bis der Hass euch bindet
Eine Reise nach Genf
Der Bunker
Der Monat vor dem Mord
Jacques Berndorfist das Pseudonym des 1936 in Duisburg geborenen Journalisten, Sachbuch- und Romanautors Michael Preute. Sein erster Eifel-Krimi, Eifel-Blues, erschien 1989. In den Folgejahren entwickelte sich daraus eine deutschlandweit überaus populäre Romanserie mit Berndorfs Hauptfigur, dem Journalisten Siggi Baumeister. Dessen bislang jüngster Fall, Eifel-Krieg, erschien 2013 als Originalausgabe bei KBV.
Berndorf setzte mit seinen Romanen nicht nur die Eifel auf die bundesweite Krimi-Landkarte, er avancierte auch zum erfolgreichsten deutschen Kriminalschriftsteller mit mehrfacher Millionen-Auflage. Sein Roman Eifel-Schnee wurde im Jahr 2000 für das ZDF verfilmt. Drei Jahre später erhielt er vom »Syndikat«, der Vereinigung deutschsprachiger Krimi-Autoren, den »Ehren-Glauser« für sein Lebenswerk.
Jacques Berndorf
Die Originalausgabe erschien 1971 im C. Bertelsmann Verlag.
© 2020 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
E-Mail: info@kbv-verlag.de
Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
unter Verwendung von © beeboys_stock.adobe.com
Print-ISBN 978-3-95441-536-6
E-Book-ISBN 978-3-95441-546-5
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
Die Tage vergingen seinerzeit so schnell, dass ich Mühe habe, sie voneinander zu trennen. Die Zeit damals lässt sich nicht teilen in Tag und Nacht, nicht in Perioden der Ruhe und Betriebsamkeit. Die Zeit war fiebrig.
Ich weiß nicht, wann die Sache in Chamonix begann, obwohl man es leicht in irgendeinem Zeitungsarchiv feststellen kann. Es war eine trostlose Geschichte, wie die meisten Geschichten, die ich damals machte oder jemals gemacht habe. Aber was willst du tun? Du bist stolz, Reporter zu sein. Du jagst hinter einem Mann her, der sein Geschlechtsteil irgendwelchen Schulkindern zeigt, bis du begreifst, dass er nichts als krank ist, auf eine trostwürdige, gemeine Art krank. Und trotzdem schreibst du »Strolch«, »Sittenstrolch«, »Unhold«, und natürlich willst du insgeheim den Leser schreien hören: »Hängt das Schwein auf!« Aber mit deinen ersten Zweifeln beginnt deine Krankheit.
Ich weiß: Ich muss jetzt sagen, dass beileibe nicht alle in diesem Beruf so sind, nicht alle von Exhibitionisten schreiben oder über Frauen, die ihr Mann erschlug, erwürgte, erschoss. Gut, ich sage es. Aber ich habe in dieser Welt von Autobahntoten, Suffmördern, bestochenen Regierungsräten und spermabesudelten Kinderleichen gelebt, und es ist schwierig, im Schmutz zu leben, ohne darin umzukommen. Ich bin wohl verbittert.
Chamonix war eine blödsinnige, hastige Geschichte, bei der wir nur Spesen machten und versuchten, irgendwelche Toten zu fotografieren, die es nicht gab. Ich glaube, ich habe in Chamonix begonnen, alles zu zerstören – möglicherweise aber auch viel eher. Auch diese Zeit kann zerstört haben, weil ich sie nicht begriff und nicht in Frieden mit ihr leben konnte. So war ich nur ein Werkzeug und habe eine Entschuldigung.
Ich weiß es nicht.
Es muss Frühjahr gewesen sein, denn auf den Straßen lag frühmorgens noch Eis, obwohl die Sonne schon stark war und gleißend. Wir wurden gegen Mittag zu Braumann gerufen. Braumann war damals schon Chef der Produktion, er wählte die Geschichten aus, er steuerte die Reporter. Er sagte: »In Chamonix ist in der vergangenen Nacht eine Düsenmaschine gegen den Berg gerast. Angeblich einhundertsiebzehn Tote. Seht zu, was ihr machen könnt, und ruft mich an, wenn irgendetwas Besonderes ist.«
Nahezu alle meine Geschichten machte ich mit Kohler. Er war ein guter Fotograf, er hatte Einfälle und Mut. Es gab einige Leute, die behaupteten, er sei homosexuell, aber ich weiß, dass er es nicht war. Diese Leute ließen sich wohl davon leiten, dass er gern grellfarbene Krawatten trug, ganz enge Hosen, taillierte Jacken und weiches, langes Haar. Ich muss zugestehen, dass sein Gesicht sehr weibisch wirkte. Aber er war damals so verdammt allein, dass er irgendetwas aus sich machen musste, damit er nicht grau und eintönig daherlebte. Das ist wohl alles. Und ich weiß nur, dass er Furcht hatte vor irgendetwas und dass er diese Furcht niemals wirksam bekämpfen konnte, denn sie saß sehr tief in ihm.
Wir erreichten die Maschine, die gegen fünfzehn Uhr nach Genf flog. Das Wetter war sonnig, und es war eine dieser zweimotorigen Convair-Maschinen, mit denen ich sehr gern fliege, weil sie auf mich so solide wirken wie jene großen, zeitlosen englischen Autos, die man hierzulande kauft, um irgendwer zu sein. Wir tranken unterwegs zwei oder drei Kognaks, und Kohler nahm eine dieser kleinen, gelben Pillen, sodass er ruhig und lustig war und in sehr gekonnt gebrochenem Englisch einen Witz aus der Fliegerei erzählte. »To the right you see the snowcapt mountains, to the left a burning engine. Here is Captain Gonzales, speaking from the toilet.«
In Genf nahmen wir von Avis ein Auto, einen Peugeot, und machten uns auf den Weg nach Chamonix. Die Straße über Bonneville und Cluses war anfangs sauber und trocken. Später, als die Steigungen begannen, war es gefährlich, denn das Eis und der Schnee reflektierten das Licht der Scheinwerfer, und zuweilen konnte ich nicht ausmachen, wie weit ich von den scharf gezähnten Felswänden oder von den steilen Abhängen entfernt steuerte.
Kohler war in bester Verfassung und erzählte mir eine Geschichte von drei Studentinnen, mit denen er in einem Abteil des Jugoslawien-Express vor einigen Monaten Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Er erzählte mir diese Geschichte zum soundsovielten Mal, und auch jetzt erfand er wieder neue Variationen, über die ich lachen musste, obwohl er sehr obszön erzählte, manchmal geradezu blutig.
Aber in all seinen Sätzen lag eine sachliche Behutsamkeit. Er sagte nie: »Sie stöhnten und bissen mich, und die Dicke schrie: ›Jetzt will ich!‹, er sagte: ›Sie waren verrückt, weil sie endlich aus ihrer Einheitssuppe herauskamen. Und sie fingen mit dem Verrücktwerden sofort im Zug an, als die Eltern noch auf dem Bahnsteig standen und winkten. Und sie schrien wie verrückt, als hätten sie es nie gehabt. Und die Dicke hatte Tränen in den Augen. Sie schämte sich so, aber sie schrie …«
Ich erinnere mich, dass ich in Sallanches auf dem Marktplatz hielt, weil ich unbedingt etwas trinken wollte, und Kohler plötzlich aufgehört hatte zu erzählen. Er saß mit weißen, verkrampften Händen vornübergebeugt und sagte fortwährend: »Scheiße! Ist mir komisch!«
Читать дальше