In der Einsatzzentrale brach Jubel aus. Mike nahm das Handset. »Roger, Whisky One«, erwiderte er. »Irgendwelchen weiteren Opfer?«
»Zwei, möglicherweise drei Tote, unbestätigt. Mindestens einer ist entkommen.«
»Verstanden«, sagte Mike. »Wir sehen uns, wenn ihr landet.« Mike legte das Handset weg und lehnte sich im Stuhl zurück. Er sah erschöpft aus. »Schickt einen Abschleppwagen, um One Three Kilo abzuholen«, sagte er zu Graham.
»Schon unterwegs«, sagte Graham. »Gut gemacht, Boss«, fügte er grinsend hinzu. »Kein schlechtes Ende, alles in allem.«
Mike war nicht gerade nach Feiern zumute. Seine Gedanken waren woanders. Es gab etwas, worüber er schon in dem Moment nachgedacht hatte, als Spinks gekidnappt wurde, aber das hatte er in einen fernen Winkel seines Gehirns verbannt. »Das ist noch lange nicht vorbei … wir haben mindestens ein großes Problem, das wir lösen müssen.«
Der stellvertretende Kommandant und der Aufklärungsoffizier sahen sich an, unsicher, was Mike meinen konnte.
»Falls Sie die Grenzverletzung meinen, das würde ich einem gekidnappten Agenten auf jeden Fall vorziehen«, sagte der Aufklärungsoffizier.
»Davon rede ich nicht«, sagte Mike. »Das Problem ist sogar noch ernsthafter als das Kidnapping von Spinks.«
Die anderen sahen sich an, ahnungslos, worum es gehen konnte. Mike sah den verwirrten Blick in ihren Augen und senkte die Stimme, damit nur sie es hören konnten.
»Spinks Entführung war von Anfang an vorbereitet. Das war wohldurchdacht, gut geplant und durchgeführt. Und beinahe wären sie damit durchgekommen. So etwas knobelt man nicht in ein paar Stunden oder über Nacht aus. Die wussten, dass er vor der Kirche sein würde, im Kofferraum dieses Wagens, und das lange, bevor er dort ankam. Wir haben die Operation vor weniger als zwei Wochen geplant und sie war nur einer Handvoll Mitgliedern der Einheit und der Aufklärung bekannt. Niemand in der RUC oder der regulären Armee wusste davon … also wie hat es die RIRA rausgefunden?«
Der Aufklärungsoffizier und der zweite Kommandierende schwiegen nachdenklich.
Zwischen den Wolken konnte Hank immer wieder kurz England sehen. Sein erster Blick auf die Alte Welt war faszinierend, steigerte aber auch das Gefühl der Unruhe, das langsam in ihm gewachsen war. Es war nicht außergewöhnlich, dass Hank nervös war, wenn etwas seine Karriere drastisch beeinflussen konnte. Aber dieses Mal war es anders. Er war unterwegs ins Unbekannte und – das war das Neue daran – er tat es völlig allein.
Als sein Vorgesetzter vor sechs Monaten erwähnt hatte, dass er auf der Liste für die Position stand, war er begeistert gewesen, aber als es ein paar Monate später offiziell gemacht wurde, begann er, nervös zu werden. Bis dahin hatte er sich nicht erlaubt, an all die Dinge zu denken, um die er sich würde kümmern müssen, aber die Bestätigung brachte eine Unmenge an Bedenken zum Vorschein, und nicht alle hatten mit der Arbeit zu tun. Er hatte vier Monate Zeit, alles zu organisieren, und sein dringlichstes Problem war, was mit dem Haus passieren sollte in den zwei Jahren, die er nicht daheim wäre. Er hatte überlegt, es zu verkaufen, aber als er dies Kathryn vorgeschlagen hatte, drehte sie durch und schimpfte wegen des vielen Geldes und der Zeit, die sie hineingesteckt hatten, um es so schön herzurichten. Hank wusste, dass sie nicht nur wegen des Hauses so entsetzt reagierte. Er beschloss also, es nicht zu verkaufen, und platzierte stattdessen eine Anzeige auf der Homepage des Navy-Newsletters, um es zu vermieten. Diese Option gefiel Kathryn genauso wenig. Sie sagte, sie fühle sich abgestoßen von dem Gedanken, dass völlig fremde Menschen in ihrem Zuhause leben würden. Hank weigerte sich, das verdammte Ding zwei Jahre leer stehen zu lassen und dennoch weiter den Kredit abzuzahlen. Sie gab nach, aber das war nur der Anfang seiner Probleme mit Kathryn.
Eine weitere Sorge waren Janet und Helen, ihre fünf und sechs Jahre alten Töchter. Er fragte sich, wie sie es finden würden, in ein anderes Land zu ziehen und auf eine fremde Schule zu gehen, aber ihre erste Reaktion war glücklicherweise »cool«. Marty Whelan, der Mann, den Hank ersetzen sollte, stellte sich als große Hilfe heraus. Marty, der mit Frau und Kind dasselbe durchgemacht hatte, was Hank bevorstand, versicherte ihm, dass sich alles finden würde und sie sich in Nullkommanichts eingelebt hätten. Er erinnerte Hank daran, dass die Versetzung zu den Briten schon ein paar Jahrzehnte praktiziert wurde. Die meisten, die vor ihm die Stelle angetreten hatten, waren verheiratet gewesen und hatten Kinder – und sie waren gut damit zurechtgekommen. Hank wusste, er ließ sich zu sehr vom Umzug stressen, und machte Kathryn zum Großteil dafür verantwortlich. Sie war im Moment mit Abstand sein größtes Problem. Er hatte Angst, dieser Schritt würde so ziemlich jeden Aspekt ihrer Beziehung auf die Probe stellen. Das Problem war, sie wollte nicht nach England. Die Gründe dafür waren tief sitzend, familiär bedingt und historisch. Sie hasste die Engländer, hasste einfach alles an ihnen. Nicht dass sie jemals einen einzigen Engländer kennengelernt oder je in England gewesen wäre. Sie war dazu erzogen worden, sie zu hassen.
Die Stimme des Flugkapitäns erfüllte die Kabine. Er gab bekannt, dass es noch 20 Minuten bis zur Landung waren. Hank fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen braunen Haare. Er hatte selbst nach vier Bieren und vier kleinen Fläschchen Jack Daniels kein Auge zutun können. Er war immer stolz darauf gewesen, überall schlafen zu können, jederzeit, nass oder trocken, auf Felsen oder Federn, aber die Kombination aus neuer Arbeitsstelle und Familiensorgen war mehr, als er je zuvor hatte bewältigen müssen. Letztlich, fand er, könne er mit Kathryns Problemen am besten fertig werden, indem er sie ignorierte. Bei dieser Reise ging es um seine Karriere und nicht um ihre Probleme mit den Engländern. Er würde zwei Jahre beim Special Boat Service (SBS) sein. Wenn er sich gut machte, konnte er sich bei seiner Rückkehr über eine Beförderung auf Gehaltsklasse E8 freuen. Diese Beförderung war der eigentliche Grund seiner Sorgen. Ohne sie – und sie war bei Weitem nicht garantiert – konnte er sich noch maximal auf drei oder vier weitere Jahre in der Navy freuen, dann würde er sich einen zivilen Job suchen müssen. Allein der Gedanke daran deprimierte ihn. Sein Traum war eine unbegrenzte Dienstzeit, aber das hing davon ab, wie er mit dieser ausländischen Spezialeinheit, auf der seine eigene amerikanische ursprünglich basierte, klarkommen würde, und ob er sie beeindrucken könnte. Er hatte mehrere Briefings darüber erhalten, was er erwarten und wie er sich verhalten sollte. Die beiden Organisationen waren zumindest verwandt, das hieß, beide gehörten zur Navy und waren auf dem Wasser zu Hause, wenn auch nicht ausschließlich, dennoch waren sie sehr verschieden. Die Amerikaner vermittelten den Eindruck, etwas entspannter zu sein als die Briten, und meistens war das auch so, aber die SEALs hatten tatsächlich eine sehr viel striktere Struktur und waren traditioneller als der SBS. Die SEALs hatten außerdem sehr viel mehr Geld zur Verfügung. Der SBS hatte in den letzten paar Jahrzehnten mehr Einsätze gehabt und auch mehr Erfolge zu verzeichnen, aber Hank war davon nicht eingeschüchtert und stolz, ein Navy SEAL zu sein.
Wenn er in zwei Jahren mit einer herausragenden Beurteilung zurückkehren wollte, dann musste er sie beeindrucken, das war ihm klar. Das Problem war nicht, ob er seine Ziele erreichen konnte, sondern wie. Er war im Golfkrieg im Einsatz gewesen, auch wenn das im Großen und Ganzen eine Enttäuschung für die SEALs war, die kaum eingesetzt worden waren. Sein Team hatte eine kleine Ölplattform im persischen Golf eingenommen, damit die Iraker sie nicht zerstören konnten, aber es hatte keinen Widerstand gegeben, im Grunde nur eine Formalität. Er war auch Teil des Teams gewesen, das die amerikanische Botschaft in Kuwait befreit hatte, aber das war nur eine Show für die Presse gewesen, sich von einem Helikopter auf ein Dach abzuseilen, während Journalisten, die schon seit Tagen dort lauerten, die ganze Aktion von der Straße aus filmten, auf der eine Art Karnevalsatmosphäre herrschte. Somalia war etwas aufregender für ihn gewesen, aber er verpasste die größeren Einsätze. Afghanistan hatte hoffnungsvoll angefangen, aber in einer weiteren Enttäuschung geendet. Er war wie immer – so kam es ihm zumindest vor – zu spät gekommen, um etwas von der Action mitzubekommen. Es ging stets darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und leider war er das nie. Zwei Jahre bei den Briten hießen jedoch nicht, dass sich keine solche Möglichkeiten mehr bieten würden. Es gab Gerüchte über Austauschoffiziere, die mit den Briten im Einsatz waren, und nicht nur im Golf oder in Afghanistan. Er würde einfach warten müssen und sehen, was an den Gerüchten dran war.
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