Nach der Lustige Witwe -Produktion im Sommer 1999 begann Holender von Jenufa zu sprechen, von einer neuen Zauberflöte und von Hoffmanns Erzählungen . Er bemühte sich sehr, hatte einiges mit mir vor, aber ich wollte damals zum Beispiel nicht in Wien Hoffmanns Erzählungen ohne Probe dirigieren, weil ich das Stück nur in einer anderen Fassung und auf Deutsch gemacht hatte. Andere Angebote von ihm gingen aus Termingründen nicht und schließlich sagte er: »Ich mache jetzt gar kein Angebot mehr. Sie wollen ja nicht!« Aber letztlich klappte doch die Neuproduktion von Werther mit der jungen Elīna Garanča und dem ebenfalls noch jungen Marcelo Álvarez und das wurde dann ein sehr schöner Einstand an der Wiener Staatsoper. Später kamen auch die Neuproduktionen von Mozarts Entführung aus dem Serail (diese Oper wurde im Burgtheater realisiert) und von Capriccio von Richard Strauss dazu sowie Vorstellungen im laufenden Repertoire von Figaro, Rosenkavalier, Don Carlos und La Bohème . Grundsätzlich habe ich diese Repertoireserien sehr positiv in Erinnerung, auch weil ich meistens eine Orchesterprobe zugestanden bekam, was ja in Wien bei diesen Werken keine Selbstverständlichkeit ist. Solche Orchesterproben finden in der Regel wenige Tage vor der Vorstellung statt, ein paar Mal musste ich allerdings am Tag nach einer Aufführung die Sänger noch einmal zu einer musikalischen Probe bitten, wie zum Beispiel bei der Don Giovanni -Serie, weil sich wegen der »Kostümschlacht« der damaligen Inszenierung in der ersten Aufführung kaum jemand richtig aufs Singen konzentrieren konnte. Mein bisher letzter Auftritt im Haus am Ring war dann im Juni 2008 eine Vorstellung von Capriccio , der letzten der schon erwähnten Premierenserie. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich meine nächste Aufführung mit diesem Orchester als Musikdirektor des Hauses leiten würde, hätte ich ihn wohl für verrückt gehalten.
Oper, die größte Form der Kunst
Wenn in der Oper alles stimmt – Sänger, Dirigent, Orchester, Chor, Regie, Bühnenbild und manchmal auch noch Tanz –, dann ist sie für mich die größte Kunstform überhaupt. So viele Elemente treffen zusammen, so viele Künste wirken zusammen und müssen aufeinander abgestimmt sein. In den bedeutendsten Werken entsteht dann eine Überhöhung des Textes, der Musik und des Theaters, die es sonst nirgends gibt und geben kann. Immer wieder wurde die Oper totgesagt, aber es gibt sie immer noch, und solange wir klassische Musik spielen, wird es sie auch geben. Menschen gehen in die Oper, weil dort Emotionen möglich werden, die es nach meinem Empfinden in keiner anderen Form der darstellenden Kunst gibt. Wenn Tosca verzweifelt Scarpia »anschreit«, liegt darin eine bezwingende Emotionalität, die durch den Sog der Stimme und der Musik entsteht und eine Verbindung von Publikum und Bühne schafft, die einzigartig ist. Dieser Magie können sich die wenigsten, die sich einmal darauf eingelassen haben, entziehen. Das Genre Film hat möglicherweise noch eine ähnliche Wirkung. Auch das ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem übrigens die Musik immer wieder eine ganz wesentliche Rolle spielt.
Oper war und ist aber eine teure Kunstform. Sie ist, um ihre volle Wirkung entfalten zu können, mit großem Aufwand verbunden, aber eine Gesellschaft möchte und muss sich diesen Aufwand leisten.
Gleichzeitig muss sich Oper aber immer auch »verkaufen« und so gibt es – wie beim Film – Anspruchsvolles ebenso wie Unterhaltendes. Es geht um den Menschen und Menschheitsthemen in jeder Form: um hohe Politik im Don Carlos ; Kapitalismus, Industrialisierung und Naturvernichtung im Ring ; es geht um Macht und Liebe, um menschliche Schwächen, um banale Themen, die einfach einen schönen Lustspielabend ermöglichen, und um Komödien, die in der Leichtigkeit die größte Tiefe haben, wie Falstaff, Don Giovanni oder Meistersinger . Alle unsere humanistischen Werte werden in dieser Kunstform vereint.
Wir leben heute in einer sehr visuellen Zeit, was sich oft auch in Operninszenierungen widerspiegelt, und man muss aufpassen, dass unsere Produktionen nicht – im Extremfall – zu Installationen oder reinen Bilderfluten verkommen, sondern immer noch wirklich die Geschichte erzählen. Ein Teil des Publikums mochte schon immer eine gewisse Opulenz, aber für mich ist weniger meist mehr. Es gilt, das Wesentliche eines Werkes herauszuholen und sich nicht in Äußerlichkeiten zu verlieren: Peter Brook, Patrice Chéreau, Klaus Michael Grüber – das waren Regisseure, die vom Wort ausgehen und die mir nahestanden. Stéphane Lissner, der in Paris sieben Jahre lang mein Intendant war, ist kein Theaterdirektor, der nur dem Publikum gefallen will. Er kommt vom Sprechtheater und praktiziert seit dreißig Jahren einen intellektuellen, minimalistischen Ansatz und mit einigen Regisseuren hat das auch sehr gut funktioniert. Für einen Teil des Publikums mag diese Sicht vielleicht zu spröde oder zu intellektuell wirken, aber es funktionierte, weil alle Produktionen eine spezifische Ästhetik hatten und immer gut ausschauten. Aber auch bei Stéphane Lissner entwickelte sich die Oper leider in den letzten Jahren immer mehr zum Visuellen hin, weg von einem Bondy oder Grüber, für die eine starke Personenregie im Zentrum stand.
Damit die Kunstform Oper ihre Faszination behält, braucht es absolute Ausgewogenheit aller Komponenten, wobei die Musik sozusagen das Rückgrat ist. Ich bin der Letzte, der Vorstellungen das Wort redet, die man eher als Konzerte in Kostümen bezeichnen möchte, aber jeder Teil der Oper wird sich nur dann mit den anderen zusammenfügen, wenn er im Dienst des Ganzen steht. Eine Opernaufführung, in der schlechtes Theater gespielt wird, hat ihren Sinn verloren, und eine Opernvorstellung, in der schlecht gesungen oder musiziert wird, ist ohnehin eine Katastrophe. Wir brauchen alles zusammen und möglichst alles gleich gut. Das muss unser Streben sein, dann wird die Oper jede noch so heftige Krise und jede noch so düstere Prognose überleben! Wir müssen einfach für lebendiges Theater in unseren Operntheatern sorgen. Dazu gehört auch die Atmosphäre eines Hauses oder der Applaus: In manchen europäischen Opernhäusern, vor allem in Frankreich und Deutschland, Gott sei Dank nicht an der Wiener Staatsoper, ist es Mode geworden, dass die Sänger und Sängerinnen bei Aktschluss nicht mehr zum Applaus vor den Vorhang treten. Diese Tradition kommt aus dem Schauspiel, ist aber bei der Oper meiner Meinung nach falsch. Bei einem emotionalen Aktende, wie die Oper das so oft in ihren besten und schönsten Momenten hervorbringt, muss vor Emotion und Begeisterung »die Decke hochgehen«. Es braucht den Applaus und den Jubel, damit sich die Spannung und Emotion entladen können. Wenn einfach nur der Vorhang fällt, ist die Atmosphäre zerstört, und das hat Auswirkungen auf den ganzen weiteren Abend. Applaus ist wichtig für die Sänger, aber genauso auch für das Publikum.
Ich bin meinem Schicksal sehr dankbar, dass es mich nach Ulm und Berlin, Graz und Zürich geführt hat. Mir war seit meiner Jugend die Kunstform Oper sehr nahe und ich konnte durch diesen Weg mit jedem Aspekt dieser wunderbaren Kunstform in engste Berührung kommen und jedes Detail verinnerlichen. Es gibt bis heute keinen Aspekt einer Aufführung, der mir nicht wichtig wäre oder der mich nicht interessieren würde, und so stand es für mich auch außer Frage, dass mich mein weiterer Weg noch näher zur Oper hinführen würde. Die unmittelbare Entwicklung überraschte mich aber dann doch.
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