Das Leben zeigt hingegen eine Vorliebe für den Kohlenstoff. Die zehn gewichtsmäßig wichtigsten Elemente im Menschen – und das ist von Mäusen bis Elefanten in fast allen Säugetieren gleich – sind: Sauerstoff (65%), Kohlenstoff (19%), Wasserstoff (10%), Stickstoff (3%), Calcium (1,5%), Phosphor (1%), Kalium (0,35%), Schwefel (0,25%), Natrium (0,15%) und Magnesium (0,05%). 4Lasse ich mal das Wasser weg, das 57 Prozent von uns ausmacht und in dem ein großer Teil des Sauerstoffs und Wasserstoffs Page 21gebunden ist, bestehen wir zu mehr als 40 Prozent aus Kohlenstoff. Kohlenstoff ist an allen Vorgängen im Körper beteiligt, sodass die Bilanz des Körpers im Grunde durch eine einfache Gleichung darstellbar ist: Aufgenommener Kohlenstoff minus abgegebener Kohlenstoff minus das CO 2der Zellatmung ist gleich der Gewichts-Zu- oder -Abnahme.
Kohlenstoff ist das zentrale Element der Hauptgruppen der Moleküle (DNA, Proteine, Fette, Zuckerarten), die allen lebenden Organismen gemein sind. Infolgedessen bestehen Tiere zu etwa 40 Prozent aus Kohlenstoff. Die genaue Prozentzahl ist abhängig vom Verhältnis zwischen Fett, Kohlenhydraten und Proteinen. Pflanzen enthalten etwas mehr Kohlenstoff, vor allem Bäume mit ihrem hohen Anteil an Zellulose und Lignin. Die Pflanzen haben auch dafür gesorgt, dass der Kohlenstoff mit dem Karbon sein eigenes geologisches Zeitalter bekommen hat. Dieses erstreckte sich von 360 bis 300 Millionen Jahren vor unserer Zeit. In dem damals warmfeuchten Klima sind riesige Wälder gewachsen, die uns – akkumuliert über 60 Millionen Jahre – die Steinkohle hinterlassen haben. Die deutlich spätere Kreidezeit, die von 145 bis 65 Millionen Jahren vor heute dauerte, ist ebenfalls durch Kohlenstoffablagerungen gekennzeichnet, diesmal aber in Form von Calciumcarbonat CaCO 3. 5Hier hat sich der Kohlenstoff mit einem Calciumatom und drei Sauerstoffatomen verbunden, eine Allianz, geformt von vielen Milliarden mikroskopisch kleiner, kalkbildender Algen. Darüber werden wir im Laufe des Buches noch mehr erfahren.
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Ein paar Hundert Millionen Jahre sind aber kein Alter für die Kohlenstoffatome, die sich in Kohle oder Kreide befinden. Als unser Universum vor 14 Milliarden Jahren entstand, wurden dabei im ersten Schritt nur die drei leichtesten Elemente aus der Taufe gehoben: Wasserstoff, Helium und Lithium. Etwas vereinfacht können wir sagen, dass dies die Bausteine für die schwereren Elemente waren. Darunter war auch der Kohlenstoff, der vom Gewichtsanteil her an vierter Stelle der häufigsten Elemente des Universums steht (hinter Wasserstoff, Helium und Sauerstoff).
Der Kohlenstoff genießt ungeheure Popularität bei seinen zahllosen potenziellen Partnern im Periodensystem und hat kurze und längere Affären mit einer Vielzahl anderer Atome. Die Popularität des Kohlenstoffatoms bei den anderen Grundelementen hat mit seinem außergewöhnlichen Talent für chemische Bindungen zu tun. Fast jedes Atom fühlt sich zum Kohlenstoff hingezogen, in erster Linie wegen seiner sechs Elektronen und sechs Protonen. Dazu kommen noch sechs Neutronen, und diese sechs Neutronen und sechs Protonen geben dem Kohlenstoff die Atommasse 12. Das Gewicht der Elektronen ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen, an anderer Stelle aber von umso größerer Bedeutung. Da zwei der Elektronen in der inneren Schale versteckt sind, sind es die vier auf der äußeren Schale, die Kontakt mit der Umwelt suchen. Und dies sehr effektiv.
In der Natur gibt es drei Hauptformen reinen Kohlenstoffs – Graphit, Diamant und Fulleren. In jeder davon hat der Kohlenstoff genug mit sich selbst zu tun und die Atome treten miteinander in Verbindung. Zugleich ist Kohlenstoff wenig wählerisch, was Verbindungen zu anderen Atomen angeht. Eine seiner Lieblingsbeziehungen ist die Dreiecksverbindung mit zwei Sauerstoffatomen. Das CO 2macht den Kohlenstoff zum eigentlichen Atom des Lebens, da dieses Molekül die Grundlage für fast alles Page 23Leben ist. Das Problem ist aber, dass der Kohlenstoff an dieser Beziehung ungeheuer festhält. Feuer trägt mehr als alles andere dazu bei, die Verbindung zu festigen, während die avancierte Technologie der Photosynthese das Kleeblatt zu trennen vermag. Das Gleichgewicht zwischen diesen Prozessen ist heute so kräftig verschoben, dass sich das CO 2in der Atmosphäre anreichert, weshalb die Liebe des Kohlenstoffs zum Sauerstoff eine Beziehung ist, die die ganze Welt angeht.
Abbildung 1: Die Beliebtheit des Kohlenstoffatoms geht in erster Linie auf seine sechs Elektronen zurück, während die Atommasse 12 durch sechs Neutronen und sechs Protonen begründet ist.
Der Kohlenstoff ist wesentlich älter als die Erde (die es erst seit 4,6 Milliarden Jahren gibt), aber jünger als das Universum. Er ist über Milliarden von Jahren in den unterschiedlichsten Sternen diverse chemische Verbindungen eingegangen und hat diese wieder verlassen, ehe er zu einem Bestandteil des Lebens wurde – von den ersten Bakterien über die Bäume und Dinosaurier bis zu dir und mir. Selbst ein paar Hundert Millionen Jahre Speicherung in Form von Kohle, Öl oder Gas haben für den Kreislauf des Kohlenstoffs von Ewigkeit zu Ewigkeit kaum Bedeutung. Aber seit wann ist uns der Kohlenstoff bekannt?
Was die Geschichte wissenschaftlicher Entdeckungen angeht, richten wir unseren Blick gern als erstes auf die Page 24alten Griechen. Was den Kohlenstoff angeht, müssen wir aber noch weiter zurück. Es dauerte zwar eine ganze Weile, bis wir die Verbrennung verstehen und chemisch oder physikalisch erklären konnten, aber seit wir die Magie des Feuers und seine zerstörerische Kraft kennen (also seit der Steinzeit), ist uns auch die Holzkohle bekannt und wurde zu gewissen Teilen auch genutzt. (Der Begriff Karbon stammt im Übrigen aus dem Lateinischen und bedeutet verbranntes Holz – carbo). Früher hat man die Natur eingeteilt in die Kategorien brennbar – wie Holz – oder nicht brennbar – wie Stein oder Sand. Das Gegenstück zum Feuer war das Wasser, des Feuers eingeschworener Feind. Damals wusste natürlich noch niemand, dass das, was das Feuer nährte und was das Feuer löschte, beides zu großen Teilen aus Sauerstoff bestand, oder dass das Endprodukt der Verbrennung CO 2ist.
Dass die Reaktion, durch die uns das Feuer Wärme von außen schenkt, im Grunde dieselbe ist, durch die uns der Körper im Inneren Energie und Leben spendet, wäre wohl den meisten unbegreiflich gewesen. In beiden Fällen handelt es sich um in den Pflanzen gespeicherte Sonnenenergie, die als CO 2freigesetzt wird. Das Feuer selbst ist uralt, vermutlich kennen wir Menschen es so lange wie den aufrechten Gang. Am Lagerfeuer zu sitzen, am besten am Wasser, mit freier Sicht und einer schützenden Stütze für den Rücken, ist ein Ritual, das irgendwo tief in uns verwurzelt ist, vielleicht sogar in unseren Genen. Und wenn sich an solchen Orten dann ein steinerner, mit Asche gefüllter Ring findet, markiert dieser eine ungebrochene kulturelle Linie von der Entstehung unserer Art bis heute. Wir wissen nicht, ob unsere Ahnen am Feuer sich darüber gewundert haben, wie ein kaltes Stück Holz plötzlich eine solche Wärme von sich geben und sich schließlich in Asche verwandeln konnte. Vermutlich gingen aber einem im Kreis um das Lagerfeuer solche Gedanken durch den Kopf. Die Menschen waren schon Page 25immer erpicht darauf, die ursächlichen Zusammenhänge zu verstehen. Aber obwohl das Feuer eine wichtige Rolle in unserer Vorgeschichte eingenommen hat, blieb seine wohlige wie zerstörerische Kraft lange ein Mysterium.
Feuer und Verbrennung sind entscheidend, nicht nur, um Kohlenstoff und Sauerstoff miteinander zu verbinden, sondern auch für den gesamten Kohlenstoffkreislauf, ganz zu schweigen vom Wechsel zwischen den Haupt typen des Kohlenstoffs. Das Feuer ist überdies essenziell für unseren eigenen Stoffwechsel und unsere Evolution. 6Das menschliche Hirn hat eine bemerkenswert schnelle Entwicklung gemacht, sowohl was seine Größe als auch was seine Fähigkeiten angeht. Unsere nächsten noch lebenden Verwandten, die Schimpansen, haben ein Hirnvolumen von 300–500 cm 3. Bei unseren größeren, wenn auch etwas entfernteren Verwandten, den Gorillas, beträgt es 400–700 cm 3. Der Frühmensch Homo habilis hatte vor 1,7 Millionen Jahren noch ein Hirnvolumen vergleichbar mit dem der Gorillas. Schon 700.000 Jahre später näherte sich das Hirnvolumen des Homo erectus 1.500 cm 3. Seither ist es etwa gleich geblieben oder sogar zurückgegangen, sodass der Neandertaler noch ein etwas höheres Hirnvolumen hatte als wir heute. Aber das Volumen ist nicht alles. Entscheidend sind auch die enorme Dichte der Neuronen und die gute Isolation der Nervenfasern. Dazu finden sich moderne Hirnabschnitte wie die Stirnlappen, in denen große Teile des Ich-Gefühls sowie die Fähigkeit zur abstrakten Reflexion und zum ethischen Urteilsvermögen beheimatet sind.
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