Sie hielt die Schrift etwas von sich ab und erklärte, entzückt über die Wirkung:
»Mit etwas Konsequenz erreicht man alles, was man will.«
Als er sich auf der Straße befand, war er fest entschlossen, sich in Zukunft nur noch Du Roy oder selbst Du Roy de Cantel zu nennen. Und er fühlte sich, als wäre ihm eine ganz neue Würde übertragen worden. Er ging forscher, trug den Kopf höher und den Schnurrbart stolz gewirbelt, wie es einem Edelmann geziemt. Er hatte die größte Lust, allen Vorübergehenden zuzurufen: »Ich heiße jetzt Du Roy de Cantel.«
Aber kaum war er in seiner Wohnung angelangt, da begann ihn der Gedanke an Madame de Marelle zu beunruhigen. Er schrieb ihr sofort und bat sie für morgen um eine Zusammenkunft. »Es wird eine schwere Stunde werden,« dachte er, »ich werde einen schrecklichen Sturm heraufbeschwören.«
In seiner gewohnten Sorglosigkeit, die ihn alle unangenehmen Dinge des Lebens einfach beiseite schieben ließ, wusste er sich sehr leicht zu trösten und begann einen fantastischen Artikel über die neuen Steuern zu schreiben, durch die das Budget gedeckt werden sollte.
Er forderte für die Adelsprädikate »de« (von) hundert Francs Jahressteuer, und für die Titel vom Baron bis zum Fürsten fünfhundert bis fünftausend Francs. Und er zeichnete mit: D. de Cantel.
Am folgenden Tage erhielt er von seiner Geliebten ein blaues Briefchen, das ihren Besuch um ein Uhr ankündigte.
Er erwartete sie in etwas fieberhaftem Zustande. Übrigens war er fest entschlossen, die Sache schnell und energisch zu erledigen, gleich alles herauszusagen und ihr dann nach der ersten Erregung mit allen möglichen Gründen zu beweisen, dass er nicht ewig Junggeselle bleiben könnte; und da Herr de Marelle durchaus nicht sterben wollte, so bliebe ihm eben nichts anderes übrig, als sich nach einer anderen rechtmäßigen Lebensgefährtin umzusehen. Trotzdem fühlte er sich innerlich erregt, und als die Klingel ertönte, begann sein Herz laut zu klopfen.
Sie warf sich ihm in die Arme:
»Guten Tag, Bel-Ami!« rief sie.
Doch sie merkte sofort, wie kühl er ihre Begrüßung erwiderte, blickte ihn an und fragte:
»Was hast du denn?«
»Setze dich,« sagte er, »wir müssen ernst miteinander reden.«
Sie setzte sich, ohne den Hut abzunehmen, lüftete nur ihren Schleier und sah ihn erwartungsvoll an.
Er hatte den Blick gesenkt und begann nun mit langsamer Stimme:
»Meine Liebste, du siehst, wie schmerzlich und peinlich mich das erregt, was ich dir jetzt sagen muss. Ich liebe dich sehr, ich liebe dich wirklich aus tiefstem Herzen, und der Gedanke, dir Schmerzen bereiten zu müssen, betrübt mich mehr als die Nachricht selbst, die ich dir mitteile.«
Sie wurde sehr bleich und stammelte zitternd:
»Was ist es? Sag’ es schnell.«
Er versetzte in traurigem, aber entschlossenem Tone mit jener geheuchelten Niedergeschlagenheit, mit der man angenehme Unglücksnachrichten zu erzählen pflegt:
»Ich will heiraten.«
Sie stieß einen Seufzer aus wie eine Frau, die ohnmächtig wird, einen schmerzerfüllten Seufzer, der aus der Tiefe ihrer Brust kam. Dann begann sie so stark zu schluchzen, dass sie kein Wort hervorbringen konnte.
Als er sah, dass sie nichts erwiderte, begann er von. neuem:
»Du kannst dir nicht vorstellen, was ich gelitten habe, ehe ich zu diesem Entschluss kam. Aber ich habe weder eine gesicherte Stellung noch Geld. Allein bin ich in Paris verloren. Ich muss jemanden neben mir haben, der mir raten, mich trösten und mich stützen kann. Ich suchte eine Gefährtin, eine Verbündete, und ich habe sie gefunden!«
Daraufhin schwieg er, in der Hoffnung, dass sie etwas antworten würde; er erwartete einen Wutanfall, heftige Beleidigungen und Schimpfworte.
Sie presste die eine Hand auf ihr Herz, als müsste sie es halten; sie atmete mühsam und schluchzte ununterbrochen, sodass ihre Brust wogte und der Kopf zitterte.
Er ergriff ihre andere Hand, die auf der Lehne des Sessels lag, doch sie zog sie heftig zurück. Und wie gelähmt murmelte sie:
»Oh … Mein Gott! …«
Er kniete vor ihr nieder, wagte aber nicht, sie zu berühren. Ihr Schweigen erregte ihn mehr als ein Zornausbruch es vermocht hätte, und er stammelte:
»Clo, meine liebe, kleine Clo, du musst nur bedenken, in welcher Lage ich bin. Oh, wenn ich dich hätte heiraten können, welches Glück! Doch du bist ja verheiratet. Was konnte ich tun? Überlege es dir nur! Ich muss mir eine Stellung in der Gesellschaft schaffen, und das kann ich nicht, solange ich kein Heim habe… Es gab Tage, wo ich deinen Mann hätte töten können …«
Seine Stimme klang sanft verschleiert und verführerisch, als ob ihr Musik ins Ohr drang.
Er sah zwei große Tränen langsam in den starren Augen seiner Geliebten wachsen und dann über ihre Wangen rinnen, während sich schon wieder zwei neue zwischen den Augenlidern bildeten.
Er murmelte:
»Oh, weine nicht, Clo, weine nicht, ich bitte dich darum. Du zerreißt mir das Herz.«
Mit einer starken Anstrengung zwang sie sich zu einer stolzen und würdigen Haltung. Und mit einer zitternden Stimme, die die Frauen beim Schluchzen haben, fragte sie:
»Wer ist es?«
Er zauderte einen Augenblick; dann sah er ein, dass er es sagen müsste:
»Madeleine Forestier.«
Madame de Marelle erbebte am ganzen Leibe, dann blickte sie stumm vor sich hin; sie versank in ein tiefes Nachdenken, sodass sie anscheinend vergessen hatte, dass er ihr zu Füßen kniete.
Und in ihren Augen bildeten sich wieder große, durchsichtige Tränen, die langsam hinabrollten.
Sie stand auf. Duroy fühlte, dass sie gehen wollte, ohne ein Wort des Vorwurfs oder der Verzeihung, und das verletzte und demütigte ihn bis ins Tiefste seiner Seele. Er wollte sie zurückhalten und umschlang mit beiden Armen ihr Kleid. Er fühlte, wie ihre runden Schenkel sich unter dem Rock spannten, um ihm Widerstand zu leisten. Er flehte sie an:
»Ich beschwöre dich, geh nicht so fort!«
Da blickte sie ihn von oben bis unten an, mit dem feuchten, verzweifelten Blick, der so bezaubernd und so traurig war und der den ganzen Schmerz einer Frau verrät:
»Ich habe … ich habe nichts zu sagen,« stammelte sie, »… ich kann nichts tun … du … hast recht gehandelt … du … du hast gut gewählt … was du brauchst …«
Sie machte sich mit einer schnellen Bewegung nach rückwärts von ihm los und ging fort, ohne dass er noch versucht hätte, sie zurückzuhalten.
Als er allein war, stand er auf, betäubt, als hätte er einen Schlag auf den Kopf erhalten. Dann nahm er sich zusammen und murmelte:
»Na, so oder so, es ist erledigt … wenigstens ohne Szene. Das ist mir ganz recht.«
Читать дальше