Sobald das Essen zu Ende war, begab sich Duroy, unter dem Vorwand, müde zu sein, in sein Zimmer und schaute, gelehnt an das Fensterbrett, den Vollmond an, der wie ein riesiger Lampion mitten am Himmel stand, seinen hellen Schein auf die weißen Wände der Häuser warf und sein sanftes Licht wie Silberflitter über das Meer streute. Duroy suchte nach einem Ausweg, der ihm eine möglichst schnelle Abreise gestattete. Er erfand Listen; er dachte an ein Telegramm, das er sich schicken lassen wollte, eine Rückberufung durch Herrn Walter.
Als er am nächsten Morgen erwachte, schienen ihm alle seine Fluchtpläne sehr schwer zu verwirklichen. Frau Forestier ließ sich sicherlich nicht durch seine Vorwände hinters Licht führen, und durch seine Feigheit würde er alles wieder verderben, was er durch seine Ergebenheit gewinnen könnte. Er sagte sich: »Ja, es ist halt langweilig; aber das lässt sich nicht ändern, es gibt nun einmal im Leben unangenehme Zeiten. Und hoffentlich dauert die Geschichte nicht allzu lange.«
Der Himmel war blau, von jenem tiefen, südlichen Blau, das das Herz bei seinem Anblick mit Freude erfüllt. Duroy ging zum Meer hinunter, in der Meinung, dass es früh genug wäre, mit Forestier am Tage zusammen zu sein.
Als er zum Frühstück zurückkam, sagte der Diener:
»Herr Forestier hat schon zwei-, dreimal nach dem gnädigen Herrn gefragt. Vielleicht möchte der Herr zu Herrn Forestier hinaufgehen …«
Er ging hinauf. Forestier schien in einem Sessel zu schlafen. Seine Frau lag ausgestreckt auf dem Sofa und las.
Der Kranke hob den Kopf. Duroy fragte:
»Nun, wie geht es dir? Du siehst heute früh ganz munter aus.«
»Ja, es geht besser, ich fühle mich kräftiger«, murmelte der andere. »Frühstücke schnell mit Madeleine, dann wollen wir eine Wagenfahrt machen.«
Sobald die junge Frau mit Duroy allein war, sagte sie zu ihm:
»Sehen Sie, heute fühlt er sich gerettet. Seit dem frühen Morgen trägt er sich mit allerlei Plänen. Wir fahren nachher nach dem Golf Juan, um Fayencen für unsere Wohnung in Paris einzukaufen. Er will mit aller Gewalt hinaus, aber ich habe eine Todesangst, dass ihm etwas passiert, er kann das Stoßen des Wagens nicht vertragen.«
Als der Landauer vorgefahren war, stieg Forestier Schritt für Schritt die Treppe hinunter, gestützt von seinem Diener. Sobald er aber den Wagen erblickte, wollte er, dass das Verdeck zurückgeschlagen würde.
Seine Frau widersprach ihm:
»Du wirst dich erkälten. Sei nicht töricht.«
Er blieb hartnäckig:
»Nein, nein, es geht mir viel besser. Ich fühl’ es ja.«
Sie fuhren zuerst auf den schattigen Wegen, die sich immer zwischen zwei Gärten durchziehen und die Cannes wie eine Art englischen Park erscheinen ließen. Dann ging es auf der Straße von Antibes am Meer entlang. Forestier erklärte dem Freunde die Gegend, er zeigte die Villa des Grafen von Paris, dann, nannte er noch verschiedene andere. Er war lustig, aber seine Fröhlichkeit war erzwungen und gemacht wie die eines zum Tode Verurteilten. Er hob den Finger, da er nicht mehr die Kraft hatte, den Arm zu heben.
»Sieh her, dort drüben ist die Insel Sainte-Marguerite, und das ist das Schloss, aus dem Bazaine entflohen ist.«
Dann fielen ihm Erinnerungen aus seiner Militärzeit ein, er nannte die Namen mehrerer Offiziere, von denen ihm noch kleine Anekdoten erinnerlich waren. Doch plötzlich bei einer Straßenbiegung tat sich der ganze Golf Juan auf mit seinem weißen Dörfchen im Hintergründe und der Landenge von Antibes am anderen Ende.
Forestier wurde plötzlich von kindlicher Freude ergriffen und stammelte:
»Ach, das Geschwader, du kannst von hier aus das Geschwader sehen!«
Und tatsächlich erblickte man mitten in der weiten Bucht ein halbes Dutzend großer Schiffe; sie glichen Felsen, die mit Ästen bedeckt waren. Sie waren von riesiger, ungeheuerlicher Gestalt mit Auswüchsen, Türmen und Schnäbeln, die sich ins Wasser senkten, als wollten sie sich in den Meeresgrund einbohren. Man begriff gar nicht, wie so etwas sich von der Stelle rühren und bewegen konnte, so schwer und im Grunde eingewurzelt erschienen diese Riesenleiber. Eine runde, hohe, schwimmende Batterie in Gestalt einer Sternwarte erinnerte an die auf Felsenklippen gebauten Leuchttürme.
Ein großer Dreimaster fuhr mit vollen Segeln, die schneeweiß und heiter leuchteten, an den Kriegsschiffen vorüber, in die hohe See hinaus. Neben diesen hässlichen, eisernen Kriegsungetümen sah er hübsch und graziös aus.
Forestier bemühte sich, jedes einzelne Kriegsschiff zu erkennen. Er nannte die Namen:
»Das ist der Colbert, der Suffren, der Admiral Duperré, der Redoutable, die Dévastation, nein, ich irre mich, da drüben ist die Dévastation.«
Sie gelangten zu einer großen Ausstellungshalle, auf der die Inschrift stand: »Kunstfayencen vom Golf Juan«. Der Wagen fuhr um einen Rasenplatz herum und hielt dann vor der Tür.
Forestier wollte zwei Vasen kaufen, um sie in seiner Bibliothek aufzustellen. Da er nicht aus dem Wagen heraussteigen konnte, wurden ihm die Muster eines nach dem anderen gebracht. Er wählte lange und fragte bald seine Frau, bald Duroy um Rat.
»Weißt du, ich stelle sie auf das Möbelstück am Ende meines Arbeitszimmers. Ich werde sie dann immer vor Augen haben. Ich liebe die antike, griechische Form.«
Er prüfte die Muster, ließ sich andere bringen, dann wieder die, die er schon gesehen hatte. Schließlich entschloss er sich, bezahlte und verlangte, dass sie ihm sofort hingeschickt würden.
»Ich kehre in wenigen Tagen nach Paris zurück«, sagte er.
Sie fuhren längs der Meeresküste nach Hause. Plötzlich traf sie ein kalter Luftzug, der aus irgendeinem Seitental kam, und der Kranke begann zu husten. Anfangs war es nur ein kleiner Anfall, aber er wurde stärker, das Husten wurde heftiger und hörte gar nicht mehr auf. Es wurde ein ununterbrochenes Ächzen und ging zuletzt in ein Röcheln über.
Forestier war am Ersticken, und jedes Mal, wenn er aufatmen wollte, zerriss ihm der Husten, der aus seiner Brust herauskam, die Kehle. Nichts konnte ihm die Qual erleichtern, nichts konnte ihn beruhigen, und der Kranke musste aus dem Wagen in sein Zimmer hinaufgetragen werden. Duroy hielt seine Beine und fühlte bei jedem krampf der Lungen das Zucken seiner Füße.
Auch das warme Bett brachte keine Linderung und der Anfall dauerte bis Mitternacht an. Endlich gelang es durch Betäubungsmittel den tödlichen Hustenkrampf einigermaßen zu beruhigen. Und der Kranke blieb bis zum Morgen mit offenen Augen im Bett sitzen. Seine ersten Worte waren, man möchte den Barbier holen, denn er hielt peinlich darauf, jeden Morgen rasiert zu werden. Er stand zu diesem Zwecke auf, musste aber sofort wieder ins Bett gelegt werden, und er begann so kurz und rau und mühsam zu atmen, dass Frau Forestier in ihrer Angst Duroy, der sich zu Bett gelegt hatte, sofort wecken ließ und ihn bat, einen Arzt zu holen.
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