Dann erhoben sich menschliche Stimmen und glitten über die gebeugten Köpfe der Versammelten dahin. Vauri und Landeck von der Oper sangen. Der Weihrauch verbreitete einen zarten Harzduft und auf dem Altar wurde das Messopfer vollzogen. Der Gottesmensch stieg auf den Ruf des Priesters auf die Erde hinab, um den Triumph des Barons Georges Du Roy zu segnen.
Bel-Ami kniete mit gesenktem Kopf neben Suzanne. In diesem Augenblick fühlte er sich beinahe gläubig, beinahe fromm, voll Dankbarkeit für die Gottheit, die ihn so begünstigt und so rücksichtsvoll behandelt hatte. Und ohne recht zu wissen, an wen er sein Gebet richtete, dankte er für seinen Erfolg.
Als der Gottesdienst zu Ende war, richtete er sich auf, reichte seiner Gemahlin den Arm und ging mit ihr in die Sakristei. Und nun begannen die endlosen Gratulationen. Georges war wahnsinnig vor Freude und hielt sich für einen König, dem das Volk zujauchzte. Er drückte die Hände, stammelte nichtssagende Worte, grüßte und antwortete auf die Glückwünsche: »Ich danke herzlichst.«
Plötzlich erblickte er Madame de Marelle, und die Erinnerung an all die Küsse, die er ihr gegeben und die sie ihm erwidert hatte, die Erinnerungen an alle die Zärtlichkeiten und Liebkosungen, an den Klang ihrer Stimme und an den Reiz ihrer Lippen, — alles das ließ sein Blut heiß durch die Adern rinnen und wieder überfiel ihn ein jähes Verlangen, sie zu besitzen.
Sie war hübsch, elegant, mit ihrer kecken Art und ihren lebhaften Augen. Georges dachte: »Aber sie ist doch eine reizende Geliebte.«
Sie näherte sich ihm etwas schüchtern, etwas verlegen und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie und behielt sie in der seinen. Da fühlte er den leisen Lockruf der Frauenfinger, den sanften Druck, der verzeiht, und alles wieder gutmacht. Er drückte diese kleine Hand, als wollte er sagen: »Ich liebe dich noch immer, ich bin dein!«
Ihre Augen trafen sich lächelnd, strahlend und voller Liebe. Und sie sagte, leise und graziös:
»Auf Wiedersehen, mein Herr!«
Er antwortete heiter:
»Auf Wiedersehen, gnädige Frau!«
Dann ging sie.
Die anderen drängten heran. Die Menge rollte an ihm vorüber wie ein Strom. Endlich lichtete sie sich und die letzten Gratulanten gingen vorbei.
Georges bot Suzanne wieder den Arm, um durch die Kirche hinauszugehen.
Sie war voll von Menschen, denn jeder ging wieder auf seinen Platz zurück, um sie beide vorbeischreiten zu sehen. Er ging langsam, mit ruhigen Schritten und mit erhobenem Haupt, die Augen fest auf die sonnenbeleuchtete Öffnung des Portals gerichtet. Er fühlte, wie immer wieder ein Schauer über seine Haut lief, der kalte Schauer des unendlichen großen Glücks. Er sah niemanden, er dachte nur an sich.
Als er auf die Schwelle trat, blickte er auf die dicht gedrängte, schwarze, lärmende Menge, die seinetwegen gekommen war. Ihn, Georges Du Roy, betrachtete das Volk von Paris, ihn beneidete es auch.
Dann hob er die Augen und sah dort jenseits der Place de la Concorde die Abgeordnetenkammer. Und es war ihm, als brauchte er nur noch einen Sprung, um vom Tor der Madeleinekirche zum Tor des Palais Bourbon zu gelangen. Er ging langsam zwischen zwei lebendigen Mauern von Zuschauern die Stufen des hohen Kirchenaufganges hinab. Doch er sah nichts, seine Gedanken flogen jetzt zurück und vor seinen Augen, die von der strahlenden Sonne geblendet waren, flatterte das Bild von Madame de Marelle, wie sie vor dem Spiegel ihre frisierten Löckchen an den Schläfen zurecht ordnete, die jedes Mal zerzaust waren, wenn sie aus dem Bett sprang.
Das Haus Tellier und Anderes
Das Haus Tellier
Man ging jeden Abend gegen 11 Uhr dorthin, ganz einfach wie in ein Kaffeehaus. Es fanden sich ihrer dort gegen sechs oder acht zusammen, immer dieselben, keine Lebemänner, sondern ehrbare Herren, junge Geschäftsleute aus der Stadt, die ihre Chartreuse tranken, ein wenig die jungen Mädchen neckten, oder noch lieber ein vernünftiges Gespräch mit »Madame« führten, vor der sie alle großen Respekt hatten.
Dann ging man noch vor Mitternacht nach Hause, um sein Bett aufzusuchen; und nur hin und wieder blieben einige junge Leute zurück.
Es war ein trauliches Haus, ziemlich klein, gelb angestrichen und lag im Winkel einer Strasse hinter der Kirche Saint-Etienne; von seinen Fenstern aus sah man den Hafen mit seinen Schiffen, die der Löschung harrten, den großen schmutzigen Sumpf, »la Retenue« genannt, und dahinter den Gipfel der Jungfrau mit seiner alten grauen Kapelle.
»Madame«, die aus guter Familie, von Landleuten im Departement de l’Eure stammte, hatte dieses Metier ebenso übernommen, als wenn sie Modistin oder Konfektioneuse geworden wäre. Das Brandmal der Schande, welches in den Städten der Prostitution so scharf und deutlich aufgeprägt ist, haftet in der Normandie derselben auf dem Lande nicht an. »Es ist ein einträgliches Geschäft«, sagt der Landmann, und lässt seine Tochter in irgend einer Stadt einen Harem eröffnen, ebenso gut als ob sie Directrice eines Mädchen-Pensionats würde.
Übrigens war dieses Haus das Erbstück eines alten Onkels, der es früher besessen hatte. Der »Herr« und »Madame«, früher Wirtsleute in der Nähe von Yvetot, hatten eines Tages ihr Geschäft verkauft und sich nach Fecamp begeben, wo sie ein besseres Fortkommen zu finden hofften. So waren sie über Nacht Geschäftsleiter dieses Unternehmens geworden, welches bisher Mangels einer tüchtigen Leitung keinen rechten Aufschwung hatte nehmen können.
Sie waren wackere Leute in ihrer Art, welche sich bald die Liebe ihrer Untergebenen und der Nachbarn erworben hatten.
Der »Herr« starb zwei Jahre später am Gehirnschlag; sein neues Geschäft hatte ihn behäbig und träge gemacht, sodass er schliesslich im eigenen Fett sozusagen erstickte.
Seitdem »Madame« Witwe geworden, hatten sämtliche Stammgäste des Hauses ihr Glück bei ihr versucht; aber allgemein hiess es, dass sie sich völlig ehrbar verhielte, und sogar auch ihre Pensionärinnen hatten nichts Verdächtiges entdecken können.
Sie war groß, wohlgenährt und hübsch. Ihr Teint war in der Dunkelheit dieses stets verschlossenen Hauses bleich geworden und machte den Eindruck, als sei er mit einer Art glänzenden Lack überzogen. Eine Garnitur falscher Haare in Löckchen frisiert umgab ihre Stirn und verlieh ihr ein jugendliches Äussere, welches etwas seltsam von der üppigen Reife ihrer Formen abstach. Immer vergnügt und lustig, plauderte und scherzte sie gern, wobei sie aber stets eine gewisse Zurückhaltung zur Schau trug, die sie auch in ihrem neuen Geschäft nicht abgelegt hatte. Unpassende Worte ärgerten sie sehr; und wenn ein schlecht erzogener Bursche ihr Haus einmal beim richtigen Namen nannte, so konnte sie ganz wild werden. Dabei hatte sie ein zartfühlendes Herz und behandelte auch ihre Mädchen als Freundinnen; in Bezug auf letztere sagte sie oft:
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