Er dachte: »Was will sie noch von mir, die alte Gans? Ich wette, sie hat mir gar nichts mitzuteilen. Sie wird mir nur noch einmal wiederholen, dass sie mich über alles liebt. Na, wir werden ja sehen. Sie spricht von einer sehr wichtigen Sache, von einem großen Dienst, es kann vielleicht doch wahr sein. Und Clotilde kommt um vier. Ich muss die erste spätestens um drei los werden. O Gott! Dass sie sich nur nicht begegnen! Oh, diese Weiber!«
Und er überlegte sich, dass seine Frau die einzige war, die ihm immer seine Ruhe gönnte. Sie lebte an seiner Seite und schien ihn auch sehr gern zu haben, wenigstens in den Stunden, die zur Liebe bestimmt waren; denn sie duldete nicht, dass die Tagesordnung gestört wurde.
Er ging mit langsamen Schritten seiner Junggesellenwohnung zu und versetzte sich innerlich immer mehr gegen die Frau seines Chefs in Wut: »Ah, ich werde sie schon richtig zu empfangen verstehen, wenn sie mir nichts mitzuteilen hat. Das Wort Cambronnes soll neben dem meinen akademisch klingen. Ich werde ihr erklären, dass ich darauf verzichte, je wieder ihr Haus zu betreten.«
Er trat ein, um auf Frau Walter zu warten. Sie kam fast unmittelbar darauf, und als sie ihn erblickte, rief sie:
»Ach, du hast meine Depesche erhalten. Welch ein Glück!«
Er machte ein böses Gesicht:
»Jawohl, ich fand sie auf der Redaktion in dem Augenblick, als ich zur Kammer gehen wollte. Was willst du noch von mir?«
Sie hatte ihren Schleier aufgesteckt, um ihn zu küssen und näherte sich ihm scheu und unterwürfig, wie eine verprügelte Hündin:
»Warum bist du so grausam gegen mich? Wie hart sprichst du mit mir! Was habe ich dir getan?… Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich darunter leide!«
Er brummte:
»Fängst du schon wieder an?«
Sie stand jetzt ganz dicht bei ihm und wartete auf ein Lächeln von ihm, auf eine Bewegung, um sich ihm an den Hals zu werfen.
»Du solltest mich gar nicht verführen,« murmelte sie, »um mich so zu behandeln. Du solltest mich unbescholten und glücklich lassen, so wie ich früher war. Entsinnst du dich, was du mir in der Kirche sagtest und wie du mich mit Gewalt in dieses Haus geführt hast? Und nun, wie sprichst du zu mir! Wie empfängst du mich! O mein Gott, mein Gott! Wie du mir weh tust!«
Er stampfte wütend mit den Füßen:
»Ah, nun genug! Ich kann dich keine Minute sehen, ohne diese ewige Litanei mit anzuhören. Das klingt ja so, als ob ich dich mit zwölf Jahren verführt hätte und du unschuldig wärest wie ein Engel. Nein, Liebste! Stellen wir mal die Tatsachen fest. Es war keine Verführung von Minderjährigen. Du hast dich mir hingegeben in vollständig verstandesreifem Alter. Ich bin dir dafür sehr dankbar, aber ich fühle mich gar nicht verpflichtet, bis zum Tode an deinen Rock gebunden zu sein. Du hast einen Mann, ich eine Frau. Wir sind beide nicht frei. Wir sind einer Laune gefolgt, ohne uns gegenseitig gut zu kennen und nun ist es aus.«
»Oh, wie du grausam bist,« sagte sie, »wie bist du roh, wie bist du infam! Nein! Ich war kein junges Mädchen mehr, doch ich habe nie geliebt, nie …«
Er schnitt ihr das Wort ab:
»Du hast es mir schon zwanzigmal wiederholt. Ich weiß es. Doch du hattest zwei Kinder… Ich habe dir also nicht die Unschuld geraubt.«
Mit einem Ruck fuhr sie zurück:
»O Georges, wie unwürdig!«
Sie presste ihre beiden Hände gegen die Brust und begann zu weinen und zu schluchzen. Als er die Tränen fließen sah, ergriff er seinen Hut, der auf der Ecke des Kamins lag:
»Ach, du willst weinen! Dann guten Abend. Du hast mich also nur für dieses Theater herbestellt?«
Sie tat einen Schritt vorwärts, um ihm den Weg abzuschneiden. Sie zog schnell ein Taschentuch heraus und wischte sich mit heftiger Bewegung die Tränen ab. Sie spannte ihren Willen an und sprach mit festerer Stimme, unterbrochen von kurzem, schmerzlichem Aufschluchzen:
»Nein, ich kam, um dir… um dir eine Neuigkeit mitzuteilen … eine politische Neuigkeit … um dir die Möglichkeit zu geben, 50000 Francs schnell zu verdienen … vielleicht sogar mehr.«
Er fragte plötzlich besänftigt:
»Wieso? Was willst du damit sagen?«
»Ich habe gestern Abend zufällig einer Unterredung zwischen Laroche-Mathieu und meinem Mann beigewohnt. Übrigens schienen sie sich vor mir nicht besonders geniert zu haben. Doch Walter empfahl dem Minister, dich nicht einzuweihen, da du womöglich alles veröffentlichen würdest.«
Du Roy legte seinen Hut auf einen Stuhl und wartete jetzt sehr gespannt.
»Also worum handelt es sich?«
»Sie wollen sich Marokkos bemächtigen!«
»Ach was, ich habe mit Laroche gefrühstückt und er hat mir die Pläne der Regierung auseinandergesetzt.«
»Nein, mein Liebling, es ist Schwindel, sie haben dich betrogen, weil sie fürchten, dass man ihre Pläne durchschaut.«
»Setz’ dich«, sagte Georges.
Und er setzte sich selbst in einen Lehnstuhl. Sie aber zog ein niedriges Taburett heran und ließ sich zwischen den Beinen des jungen Mannes nieder. Sie fuhr mit schmeichelnder Stimme fort:
»Da ich stets an dich denke, gebe ich auf alles, was man um mich herum flüstert, acht.«
Dann begann sie ihm langsam zu erklären, wie sie gemerkt hatte, dass seit einiger Zeit ohne sein Mitwissen etwas vorbereitet würde und dass man sich seiner bedienen wollte, obwohl man seine Beteiligung am Geschäft fürchtete und ihn nicht verdienen lassen wollte.
Sie sprach:
»Weißt du, wenn man liebt, wird man hinterlistig.« Kurz, gestern hatte sie alles begriffen. Es handelte sich um ein richtiges Geschäft, das im Stillen vorbereitet wurde. Sie lächelte und freute sich über ihre Schlauheit und Gewandtheit. Sie wurde aufgeregt, sie sprach als Gattin eines Finanziers, die an Börsencoups gewöhnt war, an das Schwanken der Worte, an den jähen Wechsel zwischen Hausse und Baisse, der binnen zwei Stunden Börsenspekulation Tausende von kleinen Bürgern ruiniert und ihrer letzten, in Fonds angelegten Ersparnisse beraubt, die von geachteten Finanzleuten und Politikern garantiert sind.
Sie wiederholte:
»Oh, es ist etwas Großartiges, was sie da im Schilde führen. Es ist etwas sehr Großes. Übrigens hat Walter das alles eingeleitet; er versteht das. Es ist ein Bombengeschäft.«
Er wurde ungeduldig über die lange Vorrede:
»Los, weiter! Sag’ schnell!«
»Also höre zu. Die Tangerexpedition war zwischen ihnen beschlossen, schon seit dem Tage, wo Laroche das Portefeuille des Auswärtigen übernommen hatte; nach und nach haben sie die marokkanischen Anleihen aufgekauft, die auf 65 bis 64 gefallen waren. Sie haben es sehr geschickt aufgekauft, durch Vermittlung unverdächtiger und kleiner Agenten, die auf der Börse nicht weiter aufgefallen waren. Sie haben selbst die Rothschilds getäuscht, die sich über die Nachfrage nach Marokkanern sehr wunderten. Aber man nannte ihnen die Namen der Zwischenhändler, alles unbedeutende, zweitklassige, meist gescheiterte Firmen. Das hat die Großbank beruhigt. Und nun wird man die Expedition unternehmen, und sobald wir da unten Fuß gefasst haben, garantiert der französische Staat die Schulden. Unsere Freunde nehmen dann einen Gewinn von fünfzig bis sechzig Millionen Francs mit. Du begreifst nun, warum man vor aller Welt die geringste Indiskretion fürchtet.«
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