Sie fragte: »Wem gehört dieses Mündchen?«, und wenn er nicht sofort mit »Mir« antwortete, dann quälte sie ihn, bis er ganz nervös und blass wurde. Sie musste doch fühlen, so schien es ihm, dass zur Liebe etwas Takt, Gewandtheit, Vorsicht und entsprechendes Benehmen gehört, dass sie, die sie sich ihm als Familienmutter und reife Weltdame hingegeben hatte, es mit Würde und einer gewissen Zurückhaltung tun müsste, vielleicht mit Tränen; aber mit den Tränen einer Dido und nicht einer Julietta.
Sie wiederholte ihm immerfort:
»Wie ich dich liebe, mein Kleiner, liebst du mich auch so sehr, mein Kindchen?«
Er konnte es nicht mehr hören, wie sie ihn »mein Kleiner« oder »mein Kindchen« nannte, ohne dass er Lust verspürte, sie »meine Alte« anzureden.
Sie sagte ihm:
»Es war wahnsinnig von mir, dir nachzugeben; aber jetzt bedauere ich es nicht. Es ist so schön, zu lieben.«
Alle diese Worte, die aus ihrem Munde kamen, erregten und ärgerten Georges auf das höchste. Sie flüsterte: »Wie schön ist es, zu lieben«, wie das eine schlechte Schauspielerin auf der Bühne getan hätte. Und dann brachte ihn die Ungeschicklichkeit ihrer Liebkosungen zur Verzweiflung. Der junge, hübsche Mann ließ durch seine Küsse ihre sinnliche Leidenschaft und ihr heißes Blut aufwallen; sie zeigte aber eine solche Ungeschicklichkeit in ihrer zärtlichen und glühenden Umarmung, dass Du Roy darüber am liebsten gelacht hätte und an alte Leute denken musste, die lesen und schreiben zu lernen versuchen.
Und wenn sie ihn mit ihren Armen umklammerte und ihn leidenschaftlich anblickte, mit den tiefen und schrecklichen Blicken, die manche alternde überreife Frau bei ihrer letzten Liebe hatte, und wenn sie ihn mit ihrem stummen und zitternden Munde beißen und ihn mit ihrem heißen, schweren, müden und doch unersättlichen Körper erdrücken wollte — so benahm sie sich wie ein Schulmädchen und lallte, um graziös und verführerisch zu sein: »Ich liebe dich so innig und heiß. Ich liebe dich so sehr. Sei recht lieb zu deiner kleinen Frau«, und er spürte dann ein unwiderstehliches Verlangen, zu fluchen, seinen Hut zu nehmen, fortzugehen und die Tür hinter sich zuzuschlagen.
In der ersten Zeit waren sie oft in der Rue Constantinople zusammen, doch Du Roy fürchtete ein Zusammentreffen mit Madame de Marelle und er fand jetzt eine Menge Ausreden, um sich diesen Zusammenkünften zu entziehen.
Und nun musste er fast täglich zu ihr kommen; bald zum Frühstück, bald zum Mittagessen. Sie drückte ihm unter dem Tisch die Hand und sobald sie hinter einer Tür oder einem Vorhang waren, hielt sie ihm die Lippen zum Kusse hin. Doch er fand viel mehr Vergnügen daran, mit Suzanne zu spielen, über deren witzige Einfälle er oft lachen musste. In ihrem Puppenkörper lebte ein witziger, spöttischer Geist, der stets unverhofft hervorbrach, wie eine Marionette auf dem Jahrmarkt. Sie machte sich über alle Welt in der schärfsten und geistreichsten Weise lustig. Georges reizte sie an, stachelte ihre Ironie auf und sie verstanden sich vortrefflich.
Alle Augenblicke rief sie ihn:
»Hören Sie mal, Bel-Ami! — Kommen Sie mal her, Bel-Ami!« Er ließ sofort die Mutter im Stich und eilte zu der Tochter. Sie flüsterte ihm irgendeine Bosheit ins Ohr, über die sie dann beide herzlich lachten.
Inzwischen war er der Liebe der Mutter so überdrüssig geworden, dass er bald einen unüberwindlichen Widerwillen gegen sie empfand. Er konnte sie nicht mehr sehen, noch hören, noch an sie denken, ohne wütend zu werden. Er besuchte sie daher nicht mehr und ließ ihre Briefe und ihre Bitten unbeantwortet.
Endlich begriff sie, dass er sie nicht mehr liebte und begann darunter furchtbar zu leiden. Doch sie ließ nicht von ihm ab, spürte ihm nach, verfolgte ihn, lauerte auf ihn in einer Droschke mit heruntergezogenen Vorhängen am Eingang der Redaktion; vor seiner Haustür und in den Straßen, wo sie ihm zu begegnen hoffte.
Er hatte Lust, sie zu misshandeln, zu beschimpfen, sie zu verprügeln und ihr einfach ins Gesicht zu schleudern: »Ich habe genug, ich bin Ihrer satt!«
Aber im Hinblick auf die Vie Française musste er auf sie doch einige Rücksichten nehmen und so versuchte er durch Kälte und durch etwas gemilderte Härte und manchmal sogar durch heftige Worte ihr beizubringen, dass man endlich alledem ein Ende bereiten müsste.
Sie erfand alle möglichen Listen und Vorwände, um sich mit ihm in der Rue Constantinople zu treffen, und er lebte unaufhörlich in der Furcht, dass die beiden Frauen eines Tages an der Tür aufeinanderstoßen würden.
Seine Neigung zu Madame de Marelle war aber im Gegenteil im Laufe des Sommers noch stärker geworden. Er nannte sie »Mein Bübchen«, und sie gefiel ihm ganz entschieden. Sie hatten sehr viel Ähnliches in ihrem inneren Wesen und passten sehr gut zueinander. Sie waren beide im Grunde Abenteurer, sie waren Nomaden des großen städtischen Lebens, die, ohne es zu ahnen, den Zigeunern der Landstraße so sehr ähnelten.
Sie hatten einen herrlichen Liebessommer verlebt, wie ein junges, verliebtes Studentenpaar, das Hochzeit machte. Sie fuhren zum Frühstück nach Argenteuil, nach Bougival, nach Maisons und Poissy heraus und blieben stundenlang im Boot, um an den Ufern entlang Blumen zu pflücken. Sie liebte sehr gebackene Seinefische, Kaninchen und Fischfrikassee, sie schwärmte für die Lauben in den kleinen Kneipen und für das Geschrei der Ruderer. Es machte ihm Spaß, mit ihr an einem heiteren Sommertage auf dem Verdeck eines Vorortzuges hinauszufahren und mit heiterem Lachen und Scherzen die hässlichen Felder um Paris zu durchqueren, auf denen die scheußlichen Villen der Spießbürger wie Pilze aus der Erde schießen.
Und als er wieder zurück musste, um bei Frau Walter zu essen, da hasste er die alte zähe Geliebte und dachte an die junge, die er eben verlassen hatte und die auf den schönen grünen Flussufern seine Begierde gestillt und seine Leidenschaft befriedigt hatte.
Er fühlte sich nun endlich von der Frau seines Chefs etwas befreit, denn er hatte, als er ihr Telegramm erhielt, in dem sie ihn zu einem Rendezvous um zwei Uhr in die Rue Constantinople bestellte, ihr ziemlich unumwunden und mit brutalen Ausdrücken seinen Entschluss klargelegt, mit ihr zu brechen.
Er las es im Gehen noch einmal durch: »Ich muss Dich unbedingt sprechen. Es ist etwas sehr Wichtiges. Erwarte mich um zwei Uhr in der Rue Constantinople. Ich kann Dir einen großen Dienst erweisen. Deine Freundin bis zum Tode. — Virginie.«
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