Der kriegsbedingte wirtschaftliche und finanzielle Zusammenbruch führte in Deutschland zu einer Verwilderung der Gesellschaft. Die Bevölkerung war um ein Drittel von 19 auf ca. 12 Millionen Einwohner zurückgegangen, wobei die meisten durch Hunger und vor allem durch Seuchen ums Leben gekommen sein mögen. Der Schwedengeneral Johan Banér schrieb 1638: »Vom äußersten Pommern an bis zur Elbe sind alle Länder so verwüstet und ausgeraubt, daß darin weder Hund noch Katze, geschweige denn Menschen und Pferde sich aufhalten können.« 14Die über eine Generation andauernden Verwüstungen und Kriegsgräuel setzten sich tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen fest.
In Frankreich wurde Ludwig XIV. 1643 als Vierjähriger inthronisiert und während seiner Minderjährigkeit von Kardinal Mazarin vertreten. Der spätere Sonnenkönig herrschte 72 Jahre lang – bis 1715. Sichtbares Zeichen seines Absolutismus ist u. a. das Schloss Versailles. Als wichtiges und jederzeit verlässliches Machtinstrument schuf er sich ein stehendes Heer, welches Kriegsminister Louvois zukunftsweisend nach Infanterie, Kavallerie und Artillerie aufbaute und streng in Kompanien, Regimenter und Brigaden gliederte. Die damalige Truppenstärke von 270 000 Mann 15bei 18 Millionen Einwohnern unterstreicht den Machtwillen des absolutistischen Monarchen. Der Sonnenkönig baute die Vormachtstellung Frankreichs weiter aus und führte eine Reihe von Eroberungskriegen.
Im Frieden zu Nimwegen (1678) einigte sich Frankreich mit Holland, Spanien und dem deutschen Kaiser. Das Ergebnis darf sich sehen lassen: Burgund, Cambrai, Valenciennes, Freiburg und Lothringen wurden französisch. Dadurch hatte Ludwig XIV. Frankreichs Grenzen nach Norden und – durch die Gewinne am Oberrhein – vor allem nach Osten weit vorgeschoben. Er war der mächtigste Herrscher in Europa und setzte seine Eroberungspolitik auch im Frieden fort. Um weiter nach Osten expandieren zu können, berief er sich auf ein umstrittenes Wiedervereinigungsrecht (Reunionsrecht) und erhob territoriale Ansprüche, die bis auf die Merowinger – das von 486 bis 751 herrschende Geschlecht der salischen Franken – zurückgingen. Weil der deutsche Kaiser wegen Unruhen in Ungarn sowie wegen eines drohenden Türkenangriffs – Ludwig XIV. hatte die Türken dazu ermuntert – keine militärische Hilfe leisten konnte, gingen das Elsass und weite Teile der Pfalz dem Reich kampflos verloren. Fragwürdiger Höhepunkt der Reunionspolitik war am 30. September 1681 die Besetzung und Annexion der freien Reichsstadt Straßburg, was sogar in den benachbarten westeuropäischen Staaten Empörung hervorrief.
Im Gegensatz zu Frankreich hatte das Osmanische Reich – vermutlich wegen vielfältiger innerer Probleme – die sich ihm im Dreißigjährigen Krieg bietenden Chancen ungenutzt verstreichen lassen. Erst als es um 1660 Siebenbürgen unterwerfen wollte, wurde die türkische Bedrohung für das Habsburgerreich akut, deren Abwehr aber durch die gleichzeitigen Kämpfe Kaiser Leopolds I. gegen den mit den Türken verbündeten Ludwig XIV. erschwert.
Das Heilige Römische Reich im Kampf mit dem Türkenreich
Die kriegerische Eskalation in Ungarn führte 1683 zum letzten großen Vorstoß des osmanischen Heeres. Unter dem Befehl des Großwesirs Kara Mustafa kam es ab dem 14. Juli zur zweiten Türkenbelagerung Wiens – 157 Jahre nach der ersten, fehlgeschlagenen Belagerung im Jahr 1526.
Anschließend richtete sich der Stoß der Türken gegen das mittelalterliche Königreich Ungarn, das noch im gleichen Jahr nach einem äußerst hartnäckigen Kampf in der Schlacht von Mohacz vernichtet wurde. Die ungarischen Kräfte hatten sich, obwohl seit der Vereinigung mit Böhmen im Jahr 1490 laufend verstärkt, als zu schwach erwiesen. Mohacz war das Ende, nachdem die Türkenflut nicht eingedämmt werden konnte. Für den britischen Geschichtsphilosophen Toynbee löste aber gerade das Ausmaß dieser vernichtenden Niederlage in dem verbliebenen Rumpfungarn und in Böhmen und Österreich neue Gegenkräfte aus: »Sie schlossen sich unter den Habsburgern, die in Österreich seit dem Jahre 1440 herrschten, eng zusammen. Und diese Verbindung bestand fast vierhundert Jahre, löste sich erst im Jahre 1918, also in dem gleichen Jahr, in dem auch das Türkenreich endgültig zerfiel – jenes Reich, das den Hammerschlag von Mohacz mit all seinen schöpferischen Folgen vierhundert Jahre zuvor ausgeführt hatte!« 16
Während Wien von den Verteidigern gehalten werden konnte, gelang es am 12. September 1683 deutschen und polnischen Truppen unter dem Oberbefehl des Polenkönigs Johann III. Sobieski, vom Kahlenberg aus den Belagerungsring zu durchbrechen und die Vernichtung der osmanischen Verbände einzuleiten. Hier tat sich Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) als Feldherr besonders hervor. Der Mann, den Ludwig XIV. wegen seiner unscheinbaren Gestalt nicht als Offizier in sein Heer aufnehmen wollte, befreite in den nächsten Jahren immer mehr Länder von der türkischen Herrschaft. 1686 wurde Budapest eingenommen, 1687 Siebenbürgen befreit, und ein Jahr später standen die habsburgischen Truppen in Belgrad. Schließlich wurde die türkische Grenze, die von 1529 bis 1683 an den südöstlichen Vororten Wiens entlang führte, in die nordwestlichen Vororte Adrianopels – das heutige Edirne befindet sich etwa 220 km westlich von Istanbul – zurückverlegt.
Gleichzeitig kämpften Polen und Russland gegen die Türken und entrissen ihnen 1696 Asow am Schwarzen Meer. Im Frieden von Karlowitz gingen Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien und der größte Teil von Slawonien an Österreich.
Nach der Befreiung Wiens von den Türken hatten Kaiser und Reich – darunter Bayern, Brandenburg, Hannover und Sachsen – die Kraft, den Kampf gegen Frankreich zunächst allein zu führen. Ludwigs Versuch, sich auch die Kurpfalz einzuverleiben, scheiterte am Engagement Wilhelms III. von Oranien, der seit 1689 König von England war. Als Gegner der französischen Expansionspolitik und in Sorge um ein Gleichgewicht im europäischen Mächteringen organisierte er ein kampfstarkes Bündnis. An der Seite von Kaiser und Reich traten Holland, England, Schweden und 1690 auch Spanien und Savoyen in den Krieg ein. Frankreich stand nach drei Jahren am Rande einer Niederlage. Aber auch die Große Allianz zeigte Abnutzungserscheinungen. Mit diplomatischem Geschick spielte Ludwig XIV. die Koalitionsparteien gegeneinander aus. Die Koalition zerbrach, und schwerwiegende Kriegsfolgen für Frankreich konnten verhindert werden. Im Friedensschluss zu Ryswick (1697) musste Frankreich bis auf das Elsass alle eroberten Gebiete zurückgeben.
Doch auch der Friede von Ryswick ließ Europa nicht zur Ruhe kommen, er leitete nur eine auf vier Jahre befristete Verschnaufpause ein. Denn als der spanische König Karl II. am 1. November 1700 im Alter von 39 Jahren kinderlos starb, erlosch die spanische Linie der Habsburger. Während nun Kaiser Ludwig XIV. für seinen Enkel Philipp von Anjou Erbansprüche anmeldete, sah der englische König William III. die hochgeschätzte »Balance of Power« in Gefahr. Geschickt schuf er »zur Verteidigung der Freiheit Europas« eine mächtige Koalition: England, Holland, Österreich, Preußen, Hannover, Portugal, das Deutsche Reich und Savoyen. Als einziger Verbündeter Ludwigs IV. blieb das Haus Wittelsbach, also Bayern. William III. war am Ziel seiner Träume.
Doch ehe er sich in das Kriegsgetümmel stürzen konnte, erlag er den Verletzungen, die er sich bei einem Sturz vom Pferd zugezogen hatte. Nun musste zunächst die Erbfolge in England geklärt werden. Die Wahl fiel auf Anne, zweite Tochter von Charles II. Sie war streng anglikanisch erzogen worden und hatte sich während der »Glorious Revolution« gegen ihren Vater auf die Seite ihres Schwagers William von Oranien gestellt. Das verhieß für das englische Parlament Kontinuität.
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