Abraham spürte hier zum ersten Mal etwas von der Welt, die Gott für ihn bereithielt. Zum ersten Mal erlebte er, was Leben bedeutet. Nicht, weil er es sich selbst geschaffen hatte oder weil er selbst die richtigen Bahnen gefunden hatte. Er fand das Leben, weil Gott es ihm zeigte. Weil Gott ihn rief.
Wie steht es um dein Leben? Kannst du es guten Gewissens Leben nennen? Oder ist es eher eine Abfolge von Momenten, die ihren Glanz schon lange verloren haben? Es ist nicht zu spät! Abraham war 75 Jahre alt, als es losging. Ich war bereits Pastor einer Gemeinde, als Gott sich entschied, durch den Schmerz hindurch nach mir zu greifen. Auch bei dir kann es jetzt so weit sein. Nötig ist nur der Mut zum Neuanfang!
Wovor hast du Angst? Ich glaube, es ist ganz gut, dass wir hier diese Frage stellen. Immerhin ist Angst der größte Faktor, der Veränderungen in unserem Leben blockiert.
Wenn ich von mir ausgehe, bin ich sicher, wir könnten eine Doppelseite mit Gründen für Angst füllen.
Ich hatte schon als Kind immer viel mit Angst zu kämpfen und meine Eltern hätten mich wahrscheinlich als ängstlich beschrieben. Ich blieb ungern alleine, fand mich nur schwer in neuen Umgebungen zurecht und eine Situation wie im Film »Kevin allein zu Haus« wäre mein Ende gewesen. Da hätte es nicht einmal die Einbrecher gebraucht.
In meiner Kindheit gab es eine Zeit, da konnte ich kaum in meinem Zimmer schlafen, das zur Straße hin lag. Hin und wieder fiel das Licht eines Autos durch meine Fenster. Es war kurz nach meinem Geburtstag und an der Deckenlampe hingen noch Luftballons. In einer stürmischen Nacht schlug der Baum vor meinem Fenster mit seinen Ästen gegen die Scheibe. Dazu fiel immer wieder Licht herein und traf auf die Luftballons an der Lampe. Ich lege noch heute meine Hand dafür ins Feuer, dass die Schatten an der Wand wie riesig große Dinosaurier aussahen. Dass ich kurz zuvor zum ersten Mal Jurassic Park geguckt hatte, war nicht wirklich hilfreich.
Die größte Angst hatte ich aber bei meinem Umzug in die neue Gemeinde. Nicht nur, dass es ein neuer Wohnort, ein neues Haus und neue Menschen waren. Alles um mich herum war neu und ich war allein. Ich kannte natürlich auch alle Geschichten, die man sich im Predigerseminar so erzählte. Dorfbewohner spionieren in die Fenster. Menschen stehen unangekündigt im Haus. Jeder Schritt ist sofort allen bekannt. Außerdem war es eine neue Verantwortung. Ich sollte der neue Pastor sein. Wie war die Geschichte der Gemeinde? Wie war die Verkündigung bisher? Wer sollte die Gemeinde mit mir leiten? Was würde ich tun, wenn sich in einem Jahr herausstellte, dass ich überhaupt nicht in der Lage war, meine Aufgaben zu erfüllen? Was sollte ich tun, wenn der Druck zu groß würde? Wie so oft waren die Ängste größer als die Realität.
Denn genau darin ist die Angst die Königin: Sie verbiegt die Realität, bis nichts mehr zusammenpasst. Wie oft erwische ich mich dabei, dass ich so viel mehr auf die Stimme um mich herum höre und nicht auf Gott. Höre ich auf die Stimme der Angst, lege ich mein Vertrauen in das Unbekannte und die Unsicherheit – und das sind beides Bereiche, die mir keine Sicherheit geben können. Allein die Stimme Gottes ist dazu in der Lage. Daher stehen wir immer wieder vor der Herausforderung, im Unbekannten auf die vertraute Stimme zu hören, denn es ist Gottes Stimme, die den Weg weist.
Ein Neuanfang mit Gott bedeutet, sich von dieser Angst nicht gefangen nehmen zu lassen. Die Stimme der Angst kann uns nämlich nur im Kreis führen. Sie geht Umwege, bringt vom Weg ab, bis sie uns schließlich im Dunkeln allein lässt. Dabei spielt sie ein Spiel auf Zeit. Abraham war sich sicher, dass nach 75 Jahren kein Nachkomme mehr kommen würde. Mit jedem Jahr, das verging, schwand die Hoffnung mehr und mehr.
Wie lange wartest du schon? Was ist dein Weg ins Unbekannte, den du nicht von dir aus gehen willst? Wo muss Gott dich erst hinrufen, damit du dann weißt, dass seine schützende Hand über dir ist? Der Weg zum größten Sieg führt am Ende meist durch das Tal deiner größten Angst.
Ich hätte mein achtundzwanzigjähriges Ich auf das, was vor mir lag, nicht vorbereiten können. Wie bereitet man sich auf das Unbekannte vor? Ich bin froh, dass ich nicht wusste, was kommen würde. Aber ich wünschte, ich hätte gewusst, dass Gott mir selbst in dieser dunklen Zeit etwas geben würde, das mir nie genommen werden konnte – er gab mir sich selbst. Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass es nie ein Fehler sein würde, Gott zu vertrauen.
Dann befahl der Herr Abram: »Verlass deine Heimat, deine Verwandten und die Familie deines Vaters und geh in das Land, das ich dir zeigen werde! Von dir wird ein großes Volk abstammen. Ich will dich segnen und du sollst in der ganzen Welt bekannt sein. Ich will dich zum Segen für andere machen. Wer dich segnet, den werde ich auch segnen. Wer dich verflucht, den werde ich auch verfluchen. Alle Völker der Erde werden durch dich gesegnet werden.«
1. Mose 12,1-3
Wie am Anfang der Schöpfung so steht zu Beginn der Geschichte Gottes mit Abraham das göttliche Wort. Nachfolge beginnt immer mit dem Sprechen Gottes. Ohne sein Wort verkommt jede Nachfolge zu blindem Herumirren.
Wir sehen hier das Grundmuster der Berufung durch Gott. Und nicht nur zufällig ist es auch das Grundmuster der Schöpfung der Welt: Ankündigung (Gott sprach …), Gebot (Es werde …) und Bericht des Vollzugs (Es war sehr gut.). Durchbrochen wird dieses Muster bei Abraham jedoch durch die Verheißung.
Abraham hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein gutes Stück des Weges hinter sich. Er war mit seiner Familie aus dem chaldäischen Ur, einer großen südmesopotamischen Stadt und der Heimatstadt der Familie, in das mehrere Hundert Kilometer entfernte Haran gereist. In dieser blühenden Handelsstadt ließen sie sich nieder, bis Abraham die Stimme Gottes vernahm, die sein Leben komplett umkrempelte.
Das Wort führte Abraham auf einen einsamen Weg. Es führte ihn aus seiner neu gewonnenen Heimat und weg von seiner Herkunftsfamilie. Es war eine einsame Entscheidung, die Abraham traf. Er ließ sich auf das Gotteswort ein, ohne das Ziel seiner Reise zu kennen. Er hatte allein die Verheißung und Gottes Wort.
Ich will mich nicht gleich zu Beginn dieses Buches mit Abraham vergleichen. Gemeinsam haben wir aber immerhin, dass wir uns unseren Wohnort nicht ausgesucht haben. Meine Kirche hat eine interessante Art, einen jungen Pastor zu entsenden. Nach einem knapp dreißigminütigen Gespräch über Fähigkeiten und Wünsche erhält man ungefähr einen Monat später einen Brief mit der Post. In drei knappen Sätzen steht dort der Name der neuen Gemeinde (und damit auch der neue Wohnort), das Datum des Dienstbeginns und ein Hinweis, dass man sich schon einmal mit der Ehepartnerin absprechen sollte, wie es dann mit ihrem Arbeitsweg aussieht. Kein Scherz. (Aber ich hatte damals noch keine.)
Auch wenn Abrahams Leben ganz andere Bahnen nahm, als es unser Leben tun wird, ist er uns doch in einer Sache Vorbild: Er begab sich aus der Sicherheit der Familie hinein in ein Abenteuer, das ihn das Leben kosten konnte. Er war bereit, für Gott alles andere hinter sich zu lassen.
Auf seiner Reise in das Land des Glaubens machte Abraham konkrete Erfahrungen mit diesem Gott, der ihn zum Aufbruch aufgefordert hatte. Es entwickelte sich bei ihm eine Vorstellung, ein Gefühl, eine Ahnung. Mit der Zeit entstand vor seinem inneren Auge ein Bild von Gott.
Gott spricht zu uns, um Nachfolger für ihre Reise auszurüsten. Aber wie erkenne ich Gottes Stimme unter den lauten Klängen des 21. Jahrhunderts? Woher soll ich wissen, dass Gott mich ruft und ich nicht nur einem Bauchgefühl folge und erhobenen Hauptes in die falsche Richtung marschiere?
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