Für mich gab es in diesem Moment nichts anderes als Gottes Verheißungen. Ich war überwältigt. Sowohl positiv als auch negativ. Ich war überwältigt von Gottes Schönheit und seiner Macht. Aber gleichzeitig war ich ein Junge, der auf einem Berg saß und Angst hatte.
Ich rang damit, eine Kirche im platten Land von Schleswig-Holstein mit neuem Leben zu füllen. Ich rang mit meiner eigenen Angst, die mir immer wieder sagte, dass ich nicht zum Leiten berufen sei.
Es waren die gleichen Ängste, die große Männer und Frauen in der Geschichte Israels empfunden haben. Auf den Seiten der Bibel können wir darüber lesen. Im echten Leben verstecken wir sie lieber in einem tiefen Loch oder hoch oben auf einem Berg.
Es ist nicht falsch, Angst zu empfinden. Aber es ist falsch, diese Angst das letzte Wort in seinem Leben haben zu lassen. Die Menschen, die die erstaunlichsten Dinge zur Ehre Gottes vollbringen, sind nicht diejenigen, die am wenigsten Angst haben. Oft sind es gerade die Menschen, die mit der intensivsten Angst umgehen. Aber anstatt sich von dieser Angst ihre Träume zerstören zu lassen, klammern sie sich nur umso fester an Gott. Sie halten Ausschau nach den sichtbaren Momenten von Gottes Leitung und folgen ihnen. Und den Rest überlassen sie ihm.
Dies taten auch Abraham und Sara, die ich in dieser Nacht auf dem Berg getroffen habe und von denen die nächsten Kapitel handeln. Gott öffnete mir durch diese beiden Menschen und ihre »Hier bin ich«-Momente neu die Augen. In dieser ersten Nacht stellte er meine Angst und meine Unsicherheit auf die Probe.
ABRAHAM & DER NEUE ANFANG
Sterne
Der Mann wischte sich über die Wange. Ein letzter Rest Sand knisterte zwischen seinen Fingern. Die feinen Körner waren überall, daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Neben ihm brach ein Scheit im Feuer. Er zog den Mantel fester um seine Schultern. Die Nächte wurden immer kälter.
So viele Jahre war er schon unterwegs. Von einer Steppe zur nächsten. Von einem Brunnen zum anderen. Es war ein unstetes Leben. Trotzdem liebte er es. Hätte es gegen nichts in der Welt eingetauscht. Selbst wenn seine Knochen langsam anfingen, zu knacken.
Sara schlief schon seit einigen Stunden im Zelt. Sie hatte alles für ihn und den gemeinsamen Weg aufgegeben. Die ganzen Jahre war sie immer an seiner Seite geblieben. Er hätte sich nichts Besseres wünschen können.
Doch er merkte, dass die langen Reisen ihr mehr und mehr zusetzten. Sie wurde älter.
»Wie lange noch?«, seufzte er in die kühle Abendluft. »Wie lange noch?«
Er strich sich über seine eigene, faltige Haut. Nicht nur seine Frau wurde älter.
In letzter Zeit hatte er oft an die Tage ihrer Jugend gedacht. Bevor sie ein Leben auf Wanderschaft begonnen hatten, immer mit seiner Sara an seiner Seite und ihrem Hab und Gut im Schlepptau.
So viele Träume hatten sie gehabt. Und vor allem diesen einen Traum, größer als alle anderen. Einen Nachkommen. Seine Familie hatte immer wieder gefragt. Er wusste, dass sie darauf warteten. Ihm selbst ging es ja nicht anders. Er schloss die Augen und sog die kalte Nachtluft tief in seine Lunge. Die Tränen liefen inzwischen unkontrolliert. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal so geweint hatte. Er fuhr sich über das Gesicht. Atmete langsam ein und aus.
Und mit einem Mal traf es ihn. Da war sie wieder! Eine Stimme, fein wie ein Lufthauch. Ein Schauer überfuhr ihn. Er war dieser einmaligen Stimme bis hierher gefolgt. In vollstem Vertrauen und ohne einen Blick zurück. Schritt um Schritt. Kilometer um Kilometer. Jahr um Jahr. Hoffnung um Hoffnung. Mit knackenden Knien erhob er sich. Er griff nach seinem Stab und folgte der Stimme. Wie mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Auf einer Anhöhe blieb er stehen. Über ihm tat sich der Himmel auf. Die Wolken zogen sich zurück. Von einem kleinen Windhauch getrieben, verschwanden sie aus seinem Blickfeld. Abermillionen kleine Lichter leuchteten über ihm am Wüstenhimmel. Die Tränen in seinen Augen ließen sie funkeln und über den Himmel tanzen. Dann hörte er wieder die Stimme. Langsam und ganz deutlich sprach sie. Abraham sog jedes Wort in sich auf. Jetzt wusste er, warum er den weiten Weg zurückgelegt hatte.
Musstest du jemals jemanden oder etwas aufgeben, das dir wirklich wichtig war? Oder vielleicht wurde dir dieses liebe Ding genommen? Die meisten von uns, die diese Reise mit dem Namen Leben antreten, begegnen dieser tief empfundenen Herausforderung. Es gibt einen Mann in der Bibel, der die Kosten des Opfers und die Belohnung für die Nähe zu Gott besser kannte als viele andere. Sein Name ist Abraham.
Die Bibel erzählt immer wieder von Menschen, die sich auf eine Reise ins Land des Glaubens eingelassen und so Gott erfahren haben. Das Wunderbare ist: Jede dieser Reisen sieht anders aus. Sie haben alle unterschiedliche Startpunkte. Sie beginnen zu unterschiedlichen Zeiten. Die Story, die Gott mit deinem Leben schreiben will, ist anders als seine Geschichte mit mir. Das muss auch so sein, denn Gott hat für jeden von uns den Weg, der notwendig und passend ist. Bei Gott gibt es keine Pauschalreisen aus dem Katalog. Sein Weg mit dir ist ein individuell zusammengestellter Roadtrip mit spontanen Momenten, immer wieder neuen Höhepunkten und einer perfekt auf dich abgestimmten Route.
Abraham hat sich auf diesen Weg gemacht. Er hat alles Bekannte hinter sich gelassen. Er hat alles riskiert und ist mit Mut und Gottvertrauen den ersten Schritt gegangen. Man könnte ihn als den Urvater des Glaubens bezeichnen, denn er war einer der Ersten, der dies tat.
Dabei lassen die ersten Worte über ihn im Buch Genesis kaum auf ein großes Abenteuer schließen. Man vermutet eher, dass seine Geschichte nun bald zu Ende ist. Abraham ist 75 Jahre alt, Viehzüchter und hat ein Leben ohne große Höhepunkte hinter sich. Zumindest wissen wir nichts aus den 75 Jahren, bevor Gott zu ihm spricht.
75 Jahre, sein Leben war gelaufen. Was sollte noch Neues kommen? Der eine Wunsch, der ihn sein Leben lang begleitet hatte, war nicht in Erfüllung gegangen. Mehr als alles andere wollte Abraham einen Sohn, dem er sein Erbe vermachen konnte. Selbst wenn wir hier einen Text aus einer längst vergangenen Zeit lesen: Auch damals war es nicht normal, mit 75 noch ein Kind zu bekommen, zumal Sara, Abrahams Frau, in einem ähnlichen Alter war.
Viele Menschen haben heute schon in jüngeren Jahren ähnliche Gefühle. Das Leben hat den Glanz verloren, besteht nur noch aus Wiederholungen, ist im Grunde gelaufen. Was soll da noch kommen? Wie bei Abraham hat sich das Leben längst aus dem Leben zurückgezogen. Jeder Tag sieht gleich aus. Alles ist in zwar gesicherten, aber auch eintönigen Bahnen gefangen.
Doch da passiert das Unerwartete: Gott mutet diesem Mann am Ende des Lebens einen Aufbruch zu! Er ruft ihn auf eine Reise. Dieser Ruf Gottes ist der sensible Moment der Nachfolge. Was machst du, wenn Gott dich ruft? Wie antwortest du, wenn Gott dir nicht die Antwort auf deine Bitten und Wünsche gibt, sondern dich zu einem neuen Leben herausfordert? Wenn es nicht um ein simples Geschenk geht, sondern um den mutigen Schritt in ein neues Leben?
Abraham geht diesen ersten Schritt und dann tritt das Versprochene ein: Abraham und seine Frau Sara werden Eltern eines Kindes. Gott segnet sie mit dem Geschenk neuen Lebens.
Vielleicht fragst du dich: Was hat Abraham aufbrechen lassen? War es die Zusage, dass er und seine Frau trotz ihres hohen Alters noch Kinder bekommen sollten? Es war sicher mehr als diese doch reichlich unrealistische Ankündigung einer Nachkommenschaft. Ich denke, was Abraham zu dieser Abenteuerreise in das Land des Glaubens aufbrechen ließ, war eine Ahnung, eine Vermutung, dass mit diesem Aufbruch wieder Leben in sein Leben einziehen würde.
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