Ernst Heimes - Ich habe immer nur den Zaun gesehen
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© 2019 – e-book-Ausgabe
Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe
Die Verwendung von Texten und Abbildungen aus diesem Buch in schriftlicher oder digitaler Form, sowie die Nutzung derselben im öffentlichen Vortrag bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung des Verlages.
RHEIN-MOSEL-VERLAG
Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel
Tel 06542/5151 Fax 06542/61158
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-89801-874-6
Ausstattung: Stefanie Thur
Fotos Umschlag: Zaun: fritz16/Shutterstock.com
Restliche Fotos Titel: Ernst Heimes
Ernst Heimes
Ich habe immer nur den Zaun gesehen
Suche nach dem KZ-Außenlager Cochem
Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe
RHEIN-MOSEL-VERLAG
Vorwort zu Neuausgabe
Das vorliegende Buch ist das Standardwerk zum KZ-Außenlager Cochem mit den Lagern in Bruttig und Treis. Die Erstausgabe erschien 1992. Sie informierte erstmals umfassend über die Mosellager und erinnerte an ein fast vergessenes Kapitel der regionalen Geschichte.
Obwohl es in früheren Neuauflagen des Buches auch immer wieder kleinere textliche und inhaltliche Veränderungen und Korrekturen gegeben hat, war es jetzt an der Zeit, den Text und die Gestaltung des Buches komplett zu überarbeiten und zu ergänzen. Ein Kapitel wurde stark gekürzt, da es mir nicht mehr zeitgemäß erschien. Viele Passagen wurden erweitert, umgestaltet, aktualisiert und sprachlich angepasst. Fotografien wurden hinzugefügt. Die Skizzen der Lager Bruttig und Treis mussten neueren Erkenntnissen entsprechend korrigiert werden. Schriftsatz und Typographie wurden verbessert. Das Buch wurde um zwei Kapitel erweitert und mit zusätzlichen Fotografien ausgestaltet.
Bei allen Änderungen bin ich so behutsam wie möglich vorgegangen, um den Duktus des Buches zu erhalten. So dokumentiert auch diese Neuausgabe nicht nur die Ereignisse um das KZ-Außenlager Cochem im Jahr 1944, sondern zeigt ebenso die schwierigen Bedingungen meiner Recherche in den Jahren 1985 bis 1992. Sie demonstriert die Haltung meiner Gesprächspartner sowie die gesellschaftlichen und politischen Reaktionen jener Jahre.
Die Notwendigkeit, durch Bücher wie das vorliegende, an die Schrecken der NS-Zeit zu erinnern und diese bewusst zu machen, dauert fort.
Vor genau 75 Jahren wurden die Konzentrationslager in den Ortschaften Bruttig und Treis errichtet. Ein halbes Jahr später, im September 1944, mussten sie aufgrund von Kriegseinwirkungen wieder aufgegeben werden. Während dieser Zeit waren die Häftlinge den erbarmungslosen Qualen ihrer Peiniger ausgesetzt. Viele fanden in den Mosellagern den Tod. Für die Überlebenden gingen die Leiden in anderen Konzentrationslagern weiter.
Für die heutigen Bewohner der Moselregion und darüber hinaus könnte dieses halbe Jahr des Schreckens eine Mahnung sein, Neonazismus, Rassismus und Ausgrenzung nie wieder zuzulassen.
Mehr noch, eine Verpflichtung sollte es sein.
Ernst Heimes im Frühjahr 2019
Pfingstspaziergang
Erst nachdem ich mich sehr lange ausgeruht hatte
und die Müdigkeit verschwunden war,
begriff ich, dass ich kein Gefangener war,
sondern ein Mensch.
An diesem Tag ergriff ich die Flucht.
Jean Bloch Michel
Große Zeiten
So hatte ein Mann zu sein. Wie Du. Ich, Dein Ältester, hatte also eine Orientierung. Da musste ich hin. So wollte ich werden. Stark, gerecht, fleißig, immer bereit zu vergeben, wissend. Wenn ich aber versuchte dahin zu kommen, zu Dir, hast Du mich zurückgewiesen. Was ich für erstrebenswert hielt, weil ich es an Dir so sah und bewunderte, wurde zum Streitpunkt zwischen uns. Du, mein Ideal, wurdest zu meinem Gegner, wenn ich mich Dir, meinem Ideal, zu nähern versuchte. Wolltest Du in mir nicht das wiederholt sehen, was Du selbst bist? Was hattest Du Dir vorgestellt, wie ich einmal werden sollte, vor dreißig, vor zwanzig, vor zehn Jahren? Heute?
Du warst der Auslöser für meine Aktivitäten, über die ich Dir berichten will. Du wunderst Dich? Das ist der Grund, weshalb ich Dir diese Geschichte erzählen werde: Du bist für mich das Bindeglied zwischen der Zeit, der ich versucht habe mich anzunähern und mir.
An einem Pfingstsonntag, das wird jetzt acht oder neun Jahre her sein, spazierten wir über den Conder Berg. Du und ich. Da sprachen wir über den Tunnel und das Konzentrationslager. Erinnerst Du Dich? Du wolltest ja meistens überhaupt nicht über diese Dinge reden. Aber dieser Morgen war günstig, das merkte ich. Ich hatte damals nicht die Absicht, umfangreichere Nachforschungen zu betreiben, wollte aber einfach alles, was mit dieser Sache zu tun hatte und in Erfahrung zu bringen war aufschreiben. Mal sehen, was dabei herauskommen würde. Meine Erinnerungen an unser Gespräch von jenem Vormittag notierte ich am Abend des gleichen Tages aus dem Gedächtnis. Hier sind sie:
Auf dem Weg von Cond nach Treis kommt man an der Stelle des ehemaligen Tunneleingangs vorbei. Solange ich mich erinnere, standen dort gigantische Monumente aus Stahlbeton in der Landschaft. Als ich zuletzt dort war, dachte ich zunächst, ich sei am falschen Platz. Nichts von dem war mehr zu sehen. Ich blickte mich um, untersuchte den Boden und fand die Erde übersät von zerkleinerten Resten des Betons. An vielen Stellen war Gras darüber gewachsen.
Bei unserem Ausflug heute Morgen, fragte ich meinen Vater, ob er davon gewusst habe, dass die Betonklötze, die Reste des ehemaligen Tunnelportals, verschwunden sind. Ja, sagte er, davon habe er gehört, die seien vor kurzem gesprengt worden, er habe aber keine Ahnung, wozu das gut gewesen sein soll. Er hielte das für einen großen Blödsinn.
»Die Betonklötze«, sagte er, »stammten aber nicht von dem Tunnelportal, sondern von einem Bunker, der daneben stand.«
Davon hatte ich noch nie etwas gehört.
»Ich dachte immer, die Betonbrocken seien die Trümmer des zerstörten Tunnelportals gewesen, aber ein Bunker …?«
»Ja sicher, da stand ein Bunker direkt neben der Tunneleinfahrt. Genau wie auf der Bruttiger Seite. Die beiden Betonwürfel, die unterhalb des Bahndamms in den Bruttiger Weinbergen liegen, das sind die Reste von sogar zwei Bunkern.«
Auch diese beiden Riesenklötze hatte ich immer für die Reste des Portals gehalten.
»Wozu hat man die Bunker an den Tunnelmündungen gebraucht?«, wollte ich wissen. »Die Bevölkerung«, und das war mein erster Gedanke, »konnte doch bei einem Bombenangriff nicht in diese Bunker fliehen. Dazu war die Entfernung vom Dorf dorthin viel zu groß.«
Wenn die Bunker, überlegte ich, und mir kam nicht in den Sinn, welch anderem Zweck sie hätten dienen können, vor Angriffen aus der Luft schützen sollten, dann mussten sich doch Menschen an den Tunnelmündungen aufgehalten haben. KZ-Häftlinge? Und für diese wurden Bunker gebaut? Nein, das passte nicht. Außerdem hätte jeder Schutzsuchende sich gleich in den Tunnel flüchten können.
»Ich weiß auch nicht, was man in den Bunkern gelagert hatte«, sagte er.
»Gelagert? Bunker als Lagerräume?«
»Nach dem Krieg sind wir ja im Tunnel drin gewesen. Das muss gegen Ende 1945, Anfang 1946 gewesen sein, in der schlechten Zeit. Die Bruttiger waren alle direkt zur Stelle und haben sich, nachdem das Lager aufgelöst worden war, alles raus geholt, was sie brauchen konnten.«
»Das Lager«, wiederholte ich.
»Ja, das Lager. Während des Krieges wurde der Tunnel als Fabrik genutzt, und soviel ich weiß, sind hier von der Firma Bosch Teile für Raketen und Flugzeugmotoren gebaut worden. Die Gefangenen aus dem Lager mussten dort arbeiten.«
Er überlegte kurz: »Eigentlich war das ein Konzentrationslager.«
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