»Mir gleichfalls.«
Der Statthalter fasste nun die drei Polizisten scharf ins Auge. »Herr Gellner, ich erteile Ihnen den Auftrag, alle Bewegungen des Herrn Grafen und der Komtess auf diskrete Art zu observieren, und zu jeder Zeit eine ausreichende Anzahl von Beamten in Rufweite zu positionieren, sodass es zu keinem weiteren Anschlag mehr kommen kann.«
»Sehr wohl.«
»Und wenn ich diskret sage, meine ich es auch so!«
»Selbstverständlich.«
»Der Graf hat doch vor, eine Seereise zu unternehmen. Ist das korrekt?«
»Das ist korrekt. Der Graf und die Komtess haben Schiffskarten für die Thalia.«
»Sticht die Thalia wieder zu einer Vergnügungsfahrt in See?«
»Jawohl.«
»Wohin geht die Reise?«
»In die Ägäis und nach Konstantinopel.«
Der Statthalter pochte auf den Tisch. »Wir brauchen inkognito einen verlässlichen Mann an Bord des Schiffes!«
»Jawohl.«
»Können Sie das veranlassen, Herr Oberinspector?«
»Selbstverständlich, Eure Exzellenz! Inspector Pittoni zu meiner Linken wird die diskrete Überwachung des Grafen in Triest besorgen. Und Inspector Zabini zu meiner Rechten wird inkognito an Bord der Thalia gehen.«
»Vortrefflich!«
Der Statthalter erhob sich und verabschiedete die drei Polizisten mit Händedruck.
Bruno ging neben Gellner die Treppe hinab. »Herr Oberinspector, die Thalia wird dreieinhalb Wochen auf See sein.«
»Ja, und?«
»So lange soll ich an Bord sein?«
»Na, ich hoffe doch, dass Sie nicht über die Reling stürzen werden.«
»Ich gebe zu bedenken, dass ich an der Seekrankheit leide.«
Gellner glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Er hielt inne und donnerte: »Sagen Sie mal, Zabini, sind Sie geborener Triestiner?«
»Das ja.«
»Also werden Sie ja wohl zur See fahren können.«
»Es erscheint mir schwierig, drei Wochen an Bord inkognito zu bleiben. Meine Profession wird dem Kapitän und der Mannschaft kaum zu verheimlichen sein.«
»Als Triestiner Polizist haben Sie auf See keinerlei Dienstbefugnis, die Idee Seiner Exzellenz ist daher vortrefflich. Denken Sie sich eine plausible Tarnung aus.«
»Aber warum ich?«
»Weil Ihr Deutsch nicht so klingt, dass einem dabei übel wird, und weil das eine dienstliche Anordnung ist! Sie haben Seine Exzellenz gehört.«
Bruno schluckte. Dreieinhalb Wochen auf See, um den Grafen Urbanau zu beschützen? Porca miseria! Was würde Luise dazu sagen?
*
»Wartest du schon lange?«
»Nein, gar nicht. Nur eine Stunde.«
»Ich weiß, ich bin spät. Papa hat beim Frühstück lange gebraucht.«
Friedrich fasste Carolina an den Händen »Du bist niemals zu spät, denn du bist wie die Sonne. Du kommst, wann du kommst, und du füllst die Welt mit Licht, Liebe und Leben.«
Carolina kicherte. »Das hast du schön gesagt.«
»Lass uns gehen«, sagte Friedrich.
»Ja.«
»Den Auflauf am Hafen habe ich natürlich bemerkt. Als ich dazukam, wurde der Wagen abgeschleppt. Es ist so tragisch. Ein Leben ist ausgelöscht.«
»Ich habe Rudolf gut leiden können, gerade weil er ein wenig verschroben und eigen war. Er war ein großartiger Mechaniker. Einmal habe ich ihm zugesehen, wie er einen Reifen gewechselt hat. Rudolf hat die Arbeit mit völliger Hingabe verrichtet. Das war sehr beeindruckend. Jetzt ist er tot.«
»Wie kam es zu dem Unfall?«
»Ein Defekt der Bremse.«
»Werdet ihr trotz des Vorfalls an Bord gehen?«
»Ja. Papa hat das so entschieden.«
»Dann haben wir noch den heutigen und morgigen Tag in Triest und hernach dreieinhalb Wochen auf dem Schiff. Ich bin so glücklich in deiner Nähe sein zu können.«
»Ich bin auch glücklich.«
»Gestern hast du wahrscheinlich wegen des Unfalls unseren Morgenspaziergang ausgelassen«, mutmaßte Friedrich. »Ich habe den ganzen Tag auf dich gewartet, dann endlich hat mich deine Nachricht erreicht.«
Carolina hielt inne und schaute sich um. Ihre Miene verriet Bestürzung. Friedrich wurde mulmig zumute. »Komm in die Seitengasse.« Carolina zog Friedrich in den Schatten eines Torbogens.
»Carolina, was ist mit dir? Du zitterst ja förmlich.«
»Ich konnte dich gestern nicht treffen, weil ich den ganzen Tag geweint habe.«
»Hat dich der Unfall so mitgenommen?«
»Schlimmer. Es ist eine Katastrophe!«
»Was hast du?«
Sie schnappte nach Luft. »Papa hat Heiratspläne für mich.«
»Oh nein!«
»Doch.«
»Hat er einen Bräutigam ausgesucht?«
»Ich soll Arthur von Brendelberg heiraten.«
»Aus dem Hause Brendelberg?«
»Ja.«
»Das ist in der Tat eine Katastrophe!«
»Ich habe Arthur schon vor Jahren kennengelernt, und einmal, oder zweimal im Jahr laufen wir einander über den Weg. Er ist mir absolut zuwider.«
»Kannst du deinem Vater diese Pläne nicht ausreden?«
Carolina seufzte bitter. »Wenn sich mein Vater etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist er nicht davon abzubringen. Er ist die Sturheit in Person.«
»Was sollen wir nur tun?«
»Lieber stürze ich mich kopfüber vom Schiff ins Meer, als Arthur von Brendelberg zu heiraten.«
Friedrich umarmte Carolina und drückte sie fest an sich. »Wir stürzen uns gemeinsam ins Meer. Im Reich Poseidons sind wir auf ewig vereint.«
*
Das Leben an Bord barg manche Entbehrungen, manchmal war der Alltag eintönig und die Arbeit eine Last, aber wie schon bei den drei vorherigen Fahrten der Thalia spürte er auch diesmal ein wohliges Fieber. Wer würde an Bord kommen? Waren schöne Frauen dabei, die auf hoher See mehr als nur spektakuläre Sonnenuntergänge erleben wollten? Waren Männer dabei, die bei einem guten Blatt auch größere Beträge setzten? Würde es Streit unter den Passagieren geben? Würden die Passagiere sich über das Leben an Bord beklagen? Über die Verpflegung auf den Schiffen des Österreichischen Lloyds hatte es noch nie Beschwerden gegeben. Im Gegenteil, die Norddeutschen, die Engländer, die Holländer und die Schweden konnten es oft gar nicht glauben, dass auf den Schiffen so gut gekocht wurde. Und dass immer erstklassiger Wein serviert wurde.
Georg Steyrer hatte in seinem Leben manches versucht. Den Beruf des Barbiers hatte er in Wien erlernt, später hatte er als Croupier im Casino gearbeitet, in Klosterneuburg war er Mundschenk bei einem versoffenen Baron und danach war er Buchmacher auf der Trabrennbahn in der Wiener Krieau gewesen. Doch nichts kam bislang gegen das Leben als Steward an. Ferne Länder, die hohe See, der weite Horizont. Seine Heimatstadt Marburg war ihm schon in jungen Jahren zu eng geworden, also war er zur Lehre in die Hauptstadt gegangen. Er hatte sich sofort in Wien verliebt, hatte sich in Spielhöllen, Varietés und Bordellen herumgetrieben, war regelmäßig Gast in Bierhäusern und Heurigen gewesen. Das Leben war ein einziges Spiel gewesen, eine verruchte Affäre und ein bombastischer Rausch. Leider war ihm das Glück nicht dauerhaft hold gewesen, und Pech im Spiel hatte sich hinzugesellt. Schnell hatte er sich bei gewissen Subjekten der Wiener Halbwelt unbeliebt gemacht, sodass er das wunderbare Leben in Wien hatte beenden müssen. Ein halbes Jahr war er von Stadt zu Stadt gezogen, zuerst hatte es ihn nach Budapest, dann nach Brünn, später nach Prag und Linz verschlagen, schließlich war er wieder in Graz gestrandet. In Lumpen gehüllt, ohne Wohnsitz, ohne Geld, ohne Perspektive, aber immer randvoll mit Wein. Er hatte schon befürchtet, dass er vor die Hunde gehen würde.
Dann, eines Tages, hatte er in einer Schenke in einer alten Zeitung einen Artikel gelesen, der sein Leben verändert hatte. Er handelte von den Plänen, den Liniendampfer Thalia in die erste Yacht für Vergnügungsfahrten des Österreichischen Lloyds umzubauen. Sofort war er von Fernweh gepackt. Warum hatte er nicht früher an diese Möglichkeit gedacht? Der große Hafen von Triest war das Tor zur weiten Welt, zahlreiche Schiffe dampften unter der rot-weiß-roten Fahne in den sonnigen Süden. Und der Gedanke, auf einem Schiff zu arbeiten, das gebaut wurde, allein um dem Vergnügen zu dienen, ergriff von ihm Besitz. Was für eine großartige Idee, was für ein famoser Plan!
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