1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 »Sicher«, antwortete der Rektor. »Ich war schließlich bei der Bundeswehr. 15 Monate bei den Panzergrenadieren. Da hatten wir das volle Programm: Pistole, Sturmgewehr, MP und Maschinengewehr. Ich habe sogar die silberne Schützenschnur.«
Damit vergibt er sich nichts, dachte Stahnke. In der Onlineausgabe der Ostfriesen-Post stand, dass Fecht aus kurzer Distanz erschossen wurde. Da wäre auch eine goldene Schnur egal gewesen. Harms wusste das bestimmt. War seine sympathisch erscheinende Offenheit nichts als Berechnung?
»Aber sagen Sie mir doch einmal«, fragte jetzt der Rektor, »wieso hätte ich meinen ehemaligen Genossen Fecht denn eigentlich erschießen sollen? Der Schaden, den er mit seinen Verleumdungen verursacht hat, war doch schon angerichtet! Verschlimmert durch diesen Hackerangriff, natürlich, aber die Schuld liegt eindeutig bei Carsten Fecht und seinem unappetitlichen Netzwerk. Ich frage noch einmal: Warum morden, wenn man damit nichts mehr ändern kann?«
»Aus Rachsucht natürlich«, sagte Stahnke. »Viele Menschen werden zu Straftätern, weil sie sich für etwas rächen wollen, das sie erlitten haben. Verspüren Sie dieses Bedürfnis nicht?«
»Ehrlich gesagt schon«, sagte Harms. »Ein wenig. Aber nicht genügend, um deswegen aktiv zu werden. Aufwand und Resultat stehen in keinem Verhältnis, verstehen Sie? Ich müsste ja Fechts gesamtes Netzwerk niedermetzeln.«
Interessanter Gedanke, dachte Stahnke. Den wollen wir mal im Auge behalten.
»Für den Moment kann ich Ihnen also nur mein Wort anbieten«, sagte Harms und breitete die Hände aus. »Ich hatte zwar eine gehörige Abneigung gegen meinen ehemaligen Parteigenossen Carsten Fecht, aber die reichte bei Weitem nicht aus, ihn umbringen zu wollen. Ebenso wenig kann ich mir vorstellen, dass es von seiner Seite noch irgendetwas über mich zu enthüllen gäbe, das mich veranlassen könnte, ihn zu töten, um das zu verhindern. Ergo habe ich es auch nicht getan. Sondern mich gestern Abend auf meinen Beruf konzentriert. Damit ich morgen wieder etwas Vernünftiges unterrichten kann.« Er verschränkte seine Finger unter dem Kinn: »Und jetzt muss ich mir den Verwaltungskram vom Hals schaffen. Kann ich denn noch etwas für Sie tun?«
»Erst einmal nicht, vielen Dank.« Stahnke erhob sich. »Ich komme zu gegebener Zeit wieder auf Sie zu.«
Harms geleitete ihn zur Tür. »In drei Wochen ist übrigens die Gründungsversammlung meiner neuen Partei anberaumt«, sagte er. »Im Kulturspeicher. Wir werden uns Die Unpopulären nennen.«
»Ungewöhnlich«, erwiderte Stahnke. »Heutzutage geben doch eher die Populisten den Ton an.«
»Genau deswegen ja! Sehr gut erkannt.« Harms strahlte. »Wir wollen ein Gegengewicht setzen. Niemandem nach dem Munde reden, sondern das tun beziehungsweise fordern, was vernünftig ist, auch wenn es vielleicht unbequem sein könnte. Das fehlt doch der Politik heute, quer durch alle Parteien.«
»Aha. Und was wäre das?«, fragte Stahnke, weniger aus Interesse denn aus Höflichkeit.
»Beispielsweise ein Tempolimit auf Autobahnen«, sagte Harms. »Jeder weiß, dass das sinnvoll ist, und alle anderen Länder haben eines in der einen oder anderen Weise, nur wir nicht! Das ist unvernünftig!«
»Freie Fahrt für freie Bürger«, zitierte Stahnke. »Dafür gibt es einfach keine Mehrheit, darum traut sich da seit Jahren keiner mehr ran.«
»Eben! Und das ist schlimm, das muss sich ändern! Jüngste Umfragen geben Hoffnung.« Harms’ Augen funkelten vor Begeisterung. »Die Haltung zum Böllern in Wohngebieten beginnt sich ebenfalls zu verändern. Zeit, ein allgemeines Verbot zu fordern! Oder nehmen wir die ständigen Zerstörungen durch die Randale sogenannter Fußballfans. Das geht Jahr für Jahr in die zig Millionen. Wir verlangen, dass Fans und Vereine selber für alle Schäden aufkommen, bis zum letzten Heller!«
»Sie wissen schon, wie populär Feuerwerk ist? Ganz zu schweigen von Fußball?« Stahnke wiegte zweifelnd den Kopf. »Der ist ja quasi eine Ersatzreligion.«
»Gutes Stichwort.« Harms war nicht mehr zu bremsen. »Religionen! Deren Privilegien gehören gründlich überdacht. Keine religiöse Beeinflussung Minderjähriger mehr! Schon gar keine Körperverletzung Schutzbefohlener, auch Beschneidung genannt. Und überhaupt: Keine Religionsgemeinschaft, die die Gleichstellung der Frau nicht respektiert, sollte sich in Deutschland betätigen dürfen.«
»Das beträfe Juden, Muslime und natürlich Katholiken«, zählt Stahnke an seinen Fingern ab. »Außerdem Autofahrer und Fußballfans. Gibt es noch eine weitere einflussreiche gesellschaftliche Gruppe, mit der Sie sich anlegen wollen?«
»Bestimmt!« Jelto Harms strahlte. »Das war ja noch lange nicht alles! Kommen Sie doch ruhig zu unserer Gründungsversammlung. Ich habe den Eindruck, dass Sie das interessieren könnte.«
»Mal schauen.« Stahnke verabschiedete sich.
Draußen auf der Straße schnaufte er erst einmal tief durch. Dieser Mensch ist ja größenwahnsinnig, dachte er. Will sich mit Gott und aller Welt anlegen! Viel Feind, viel Ehr’, oder was geht dem Mann durch den Kopf?
Auf jeden Fall war dieser elegante Herr ziemlich kämpferisch drauf, überlegte der Hauptkommissar, während er die Autotür hinter sich zuzog und sich angurtete. Und für einen Verkünder der puren Vernunft war er ziemlich emotional. Das sollte man bei der Bewertung seiner Aussage im Hinterkopf behalten.
Stahnke startete den Motor. Diese Parteigründungsversammlung ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Unpopulären, ha! Ob er da vielleicht wirklich mal reinschauen sollte? Schließlich war er ebenfalls ziemlich streitlustig veranlagt.
Eine gutaussehende Frau, dachte Nidal Ekinci. Wenn man hochgewachsene Blondinen mochte. Was er tat. Seine Frau war der entgegengesetzte Typ, aber das war ja auch etwas ganz anderes, da machte er klare Unterschiede. Frau Fecht jedenfalls sah richtig gut aus.
Eigentlich. Bis auf den verhärmten Zug um den Mund. Entweder war sie sehr erschöpft oder sehr enttäuscht. Mit Trauer hatte das jedenfalls nichts zu tun. Den Umriss ihres getöteten Gatten und die Spuren der inzwischen beseitigten Blutpfütze auf der Auffahrt des gemeinsamen Hauses musterte sie jedenfalls mit kühlem Interesse. Bestenfalls.
»Darf ich?« Sie hob ihre rechte Hand mit dem Hausschlüssel. »Oder ist das hier noch gesperrt? Tatort und so?«
»Sie dürfen.« Ekinci nickte. »Die Spurensicherung ist schon durch. Tatortreinigung auch. Ich würde gerne mit Ihnen einmal durch die Räume gehen, um zu prüfen, ob etwas fehlt.«
Cornelia Fecht nickte und schloss auf.
Ekinci folgte ihr in den hallenartigen Flur. »Bitte sagen Sie, wenn Ihnen etwas auffällt«, sagte er. »Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein.«
»Jede Kleinigkeit, ja? Okay.« Sie musterte den Oberkommissar von oben herab. Anscheinend hielt sie nur mit Mühe ein abfälliges Grinsen zurück. »Erste Beobachtung: An der Garderobe hängen keine typisch weiblichen Kleidungsstücke. Darauf hat er nicht immer geachtet.«
Die Verachtung in ihrer Stimme überraschte Ekinci, aber sie lieferte ihm die Erklärung für ihren verbitterten Gesichtsausdruck. »Ihr Verhältnis zu Ihrem Gatten war also … gestört?«, fragte er.
»Gestört ist gut!« Jetzt lachte sie wirklich, so böse, dass Ekinci Schauer über den Rücken liefen. »Carsten hat alles gevögelt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. So was gilt doch als Sucht, oder? Also war er gestört. Obwohl, der eine sagt so, der andere sagt so. Viele hielten ihn für einen tollen Kerl, und tolle Kerle tun das eben. Tja, die waren entweder selber so, oder sie wären gerne so gewesen.«
»Ihr Mann hat Sie also betrogen?«, fragte Ekinci sicherheitshalber nach.
»Soll ich Ihnen ein Bild malen? Oder wollen Sie es schriftlich?« Wieder so ein geringschätziger Blick. »Obwohl, es liegt ja tatsächlich schriftlich vor. Wissen Sie das gar nicht?«
Читать дальше