Granny schüttelte den Kopf, während sie fest an ihrer Pfeife zog und ihre Lungen mit Rauch füllte, um anschließend den blauen Schwall gemeinsam mit den Sorgen auszustoßen. Die Medizin tat ihre Wirkung, und sie ließ sich in den Schaukelstuhl zurücksinken. Die steifen Spindelstäbe im Rücken, die Füße schwer auf den harten Bodendielen. Der Berg, unerschütterlich wie eine Armee hinter ihr. Sie war hier. Jetzt. Sie war Blut und Knochen.
Sie beobachtete eine Wolfsspinne dabei, wie sie durch einen schrägen Lichtstreifen am Rand der Veranda kroch, und sie konnte beinahe das leise Kratzen ihrer Beine auf den Dielen hören. Sie hörte das Flattern von Moorhühnern, von irgendeinem Jäger aufgeschreckt, deren Flügel knatterten, als sie sich im Schwarm von den Bäumen erhoben. Ganz in ihrer Nähe sangen leise die Flaschen an den Zweigen der goldenen Kastanie, eine wandernde Lichtkaskade, während die Brise sie in Schwingungen versetzte. Darunter kauerte das alte Schmugglercoupé, das mit seiner geöffneten Motorhaube, die einem riesigen Maul glich, böse und gemein aussah. Das große Herz des Wagens glänzte in der Sonne, voller Kammern und Ventile.
Die Jungs kletterten zwischendurch auf das Auto, ohne Hemd und bis zu den Ellbogen voller Schmiere und Öl. Lappen hingen ihnen aus den Gesäßtaschen, und Schraubenschlüssel waren in die Schlaufen ihrer Jeans eingehängt. Wenn sie atmeten, zogen sich ihre Bäuche zu einem Muster aus winkligen Flächen zusammen, und ihre Haut glänzte in der sinkenden Sonne.
Gütiger Himmel, wenn sie doch nur zwanzig Jahre jünger wäre.
Eli hatte sich zu Rory über den Ford gebeugt. Er trug einen langen Bart, der buschig war wie der Schwanz eines Eichhörnchens und ein Eigenleben zu führen schien. In der Hand hielt er einen Flachmann mit etwas, das aussah wie Wasser, aber keins war.
»Deine Großmutter hat mich schon wieder angeglotzt«, sagte er. Er blickte über die Schulter und leckte sich die Lippen. »Das ist nicht gesund.«
Rory trat von dem Motor weg und blickte ihn an.
»Vielleicht solltest du ihr geben, was sie will.«
Eli umfasste sanft seinen Bart, als wollte er ein Haustier streicheln. Er warf einen Blick zur Veranda.
»Scheiße«, sagte er. »Diese alte Päderastin?«
Rory streckte die Hand aus.
»Gib mir die Kerzen da.«
Eli rülpste abgelenkt durch die Zähne und reichte ihm eine Pappschachtel, die neben ihm auf dem Stuhl stand. Er war noch keine dreißig, aber seine Hände waren alt, rau und knotig und verdreckt wie die Wurzeln einer Eiche. Sie waren in die Eingeweide beinahe sämtlicher Fahrzeuge eingetaucht, die diese Berge heraufgekeucht waren. Er hielt eine Flotte Whiskeyautos am Laufen, aufgebockte Coupés, die stotterten und bebten wie tickende Bomben, die kraftvoll explodierten, wenn sie gezündet wurden. Der 1940er Ford – Maybelline – war die Königin seiner Flotte. Angetrieben von einem 5,4-Liter-Krankenwagenmotor.
Er sah dabei zu, wie Rory den Schraubenschlüssel um die erste Kerze legte.
»Hab gehört, Cooley Muldoon war Sonntagfrüh hier.«
Rory blickte nicht auf.
»Wo hast du das denn her?«
»Ach, du weißt schon, so was spricht sich rum.«
»Ach ja?«
»Hab gehört, du hast seinen Johannes angezündet.«
Rory schraubte die Zündkerze in den Motor.
»Das hat er sich selbst zuzuschreiben.«
»Du warst ’ne Weile weg. Die Muldoon-Jungs lassen so was nicht durchgehen. Heute jedenfalls nicht mehr.«
Rory blickte auf das v-förmige Gebilde unter seinen Händen. Es hatte acht Kammern, die schwarz waren und deren Melodien durch die rostfreien Orgelpfeifen des Auspuffs strömten. Dieser Motor hatte ihn ein ums andere Mal gerettet, war verlässlicher als jede Kirche.
»Zum Teufel mit den Muldoons«, sagte er.
Eli drückte seinen Bart zusammen und entkorkte erneut den Flachmann.
»Vielleicht bist du nicht mehr so schnell, wie du glaubst«, sagte er. »Und die Regierung soll angeblich einen Steuereintreiber aus Washington schicken, der sich nicht scheut, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.«
Rory zuckte mit den Achseln.
»Besser als ’n Knüppel«, sagte er. »Oder ’ne Schaufel.«
Eli legte den Kopf schräg.
»Was ist?«
Rory schüttelte sich, als hätte ihn ein Schauer überlaufen, und beugte sich erneut über den Motor.
»Nichts«, sagte er.
Bonni sah ihn das erste Mal in der kleinen Stadtbücherei, wo sie um die Mittagszeit gern hinging. Es war ein kleiner, eleganter Backsteinbau. Sie mochte die Stille dort und den Geruch. Das Rascheln der Röcke der Bibliothekarinnen zwischen den Regalreihen. Sie saß dann immer mit verschränkten Beinen da, umgeben von Zola oder Yeats, zeichnete in ihr Skizzenbuch und hielt zwischendurch inne, um von ihrem Tomatensandwich abzubeißen. Hier zwang sie keiner, mit irgendjemandem zu sprechen. Stattdessen nahm sie die leisen Stimmen der Bücher wahr, die so gewaltig waren, dass die Worte wie Staubkörnchen um sie herum schwebten .
Connor bog in ihren Gang ein. Er trug drei Bücher, die mit einem Ledergürtel zusammengebunden waren, und hatte einen Geigenkasten unterm Arm. Im Mund hatte er einen großen Magnum-Bonum-Apfel, gelb mit roten Bäckchen. Als er sie sah, blieb er wie angewurzelt stehen, so als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Dann straffte er die Schultern und ging weiter. Er stellte den Geigenkasten auf die eine Seite und legte die Bücher auf die andere, setzte sich dazwischen und nahm den Apfel aus dem Mund .
Weißt du, was Magnum Bonum bedeutet?
Bonni schüttelte den Kopf .
Es bedeutet »Großes Gut«, sagte er und hielt die fleischige Kugel vor sie hin .
Bonni blickte hinunter auf ihren eigenen Apfel, einen harten, kleinen Granny Smith. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Aber der Junge hatte sein Obst bereits weggelegt .
Weißt du, woher sie das Geld für den Ort hier haben? Von den Carnegies. Vater meint, sie hätten mehr Geld als Gott. Sie haben mehr als zweitausend Büchereien finanziert, überall in der Welt …
Er redete und redete .
Bonni ertappte sich bald dabei, wie sie zu seinen Worten nickte, als wären sie Musik .
Der Himmel war violett, die Berge schwarz. Die Bergkämme in der Ferne verschwammen und wurden immer schemenhafter, je weiter weg sie waren. Ein großes gelbes Scheinwerferpaar kam wippend die Auffahrt herauf, ein langes dunkles Ungetüm im Schlepptau. Ein Truck. Ein Pritschenwagen von Ford, der vor dem Coupé quietschend anhielt. Die Tür ging mit einem Knacken auf, und Eustace Uptree kletterte aus der Kabine. Elis Onkel. Er war derselbe Jahrgang wie Granny – 1898 –, aber der Mann wirkte viel älter, so als wäre er bereits ausgewachsen und bärtig auf dem Berg geboren worden. Ein großer, glatzköpfiger Mann, dessen Bart in der Dunkelheit wie von Reif bedeckt schimmerte. Wie bei Santa, nur hässlicher, und er roch nach Holzrauch, säuerlicher Maische und Eselschweiß.
Die Jungs wischten sich die Hände am Hosenboden ab, als er näher kam. Eli beugte sich vor und flüsterte aus einem Mundwinkel heraus: »Sieht er heute Abend nicht fröhlich aus?«
Rory sah, wie sein Körper unter der Latzhose wogte, während er näher kam. Manche behaupteten, der alte Mann könne trotz seines Umfangs blitzschnell von der Bildfläche verschwinden, indem er sich mit sicherem Schritt und geräuschlos wie ein alter Bär durch den Wald bewegte. Andere meinten, dass nicht er verschwinde, sondern jeder, der sich auf seine Spur setze. Es hieß, der Berg habe im Laufe der Jahre die Reihen diverser Strafverfolgungsbehörden dezimiert, und wer sonst sollte dahinterstecken? Es hieß, er sei im Ersten Weltkrieg ein MG-Schütze gewesen und habe ganze Kompanien von Vandalen niedergemäht. Es hieß, man sehe es an seinen Augen, die kalt und grau wie das Meer waren. Es hieß, er habe Lauscher in den Bäumen und Spione in den Wäldern. Jedes Blatt eine Zunge, deren Sprache nur der alte Mann hören konnte. Es hieß, er könne den Aufenthaltsort jedes Fremden auf dem Berg zu jeder Zeit bis auf dreißig Zentimeter genau bestimmen.
Читать дальше