Taylor Brown - Maybelline

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Rory Docherty ist nach Hause auf den sagenumwobenen Berg seiner Kindheit zurückgekehrt – eine neblige Wildnis, die ihre Geheimnisse verbirgt und sich von der Außenwelt abschottet. Von einem Holzbein gebremst und von Erinnerungen an den Koreakrieg heimgesucht, schmuggelt Rory im Hochland von North Carolina der 1950er Jahre, in einem nachgerüsteten 40er Ford-Coupé, Whisky für einen mächtigen Berg-Clan. Zwischen Lieferungen an Raststätten, Bordelle und Privatkunden lebt er bei seiner Großmutter, entzieht sich Bundesagenten und schürt den Zorn eines Rivalen. In der Mühlenstadt am Fuße der Berge, eine Brutstätte der Gewalt, wird Rory von der mysteriösen Tochter eines Schlangenpredigers verzaubert. Seine Großmutter ist aus ihren eigenen Gründen gegen diese Verbindung und glaubt, dass «einige Dinge am besten begraben bleiben». Sie ist eine Heilerin, kocht Elixiere und Heilmittel für die Menschen in den Bergen und birgt ein explosives Geheimnis über Rorys Mutter. Als Rorys Leben bedroht ist, muss sie entscheiden, ob sie preisgibt, was sie weiß oder ihren einzigen Enkel vor der Vergangenheit beschützen.

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DARK PLACES Taylor Brown Maybelline Aus dem Amerikanischen von Susanna - фото 1

DARK PLACES

Taylor Brown

Maybelline

Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende

Herausgegeben von Jürgen Ruckh

Maybelline - изображение 2

Originaltitel: GODS OF HOWL MOUNTAIN

© 2018 by Taylor Brown

Published by arrangement with St. Martin's Press. All rights reserved.

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2021

Aus dem Amerikanischen von Susanna Mende

Gedichtübersetzung aus dem Koreanischen von Sabrina Stemmeler

Mit einem Nachwort von Kirsten Reimers

© 2021 Polar Verlag e.K., Stuttgart

www.polar-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Andrea Kalbe, Andreas März

Umschlaggestaltung: Britta Kuhlmann

Coverfoto: © Adga/Adobe Stock

Autorenfoto: © Taylor Brown

Satz/Layout: Martina Stolzmann

ISBN 978-3-948392-18-5

eISBN 978-3-948392-19-2

Für Jason Frye – Freund, Mentor und Sohn der Appalachen

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

I. Erntemond

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

II. Halbmond, abnehmend

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

III. Abnehmender Sichelmond

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

IV. Neumond

Kapitel 19

V. Zunehmender Sichelmond

Kapitel 20

Kapitel 21

VI. Zunehmender Halbmond

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

VII. Jägermond

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Danksagung

»Moonshine in North Carolina«

Aus der langen Novembernacht schneide ich ein Stück ,

Eingerollt lege ich es unter die Decke, die warm und

süßlich duftet wie die Frühlingsbrise ,

Und kommt die Nacht, in der mein Geliebter mich

aufsucht, so entrolle ich es Stück für Stück .

Hwang Jin-I oder Myeng-wol (»Leuchtender Mond«)

Die Zeichen aber, die da folgen werden denen, die da

glauben, sind die: In meinem Namen werden sie Teufel

austreiben, mit neuen Zungen reden; und so sie etwas

Tödliches trinken, wird’s ihnen nicht schaden …

Markus 16: 17-18

1

Howl Mountain, North Carolina Herbst 1952

Der Wagen setzte sich im Morgengrauen in Bewegung. Die Scheinwerfer warfen ihr Licht auf die alten Serpentinen, welche die Berghänge durchzogen, während Donner und ein Echo des Donners zwischen den Bergkämmen hindurch hallte und ringsherum grollte. Die Straße führte im Zickzack vom Hochland ins Dunkel der Täler hinunter, vorbei an mit Dynamit gesprengten Bergkuppen und bisweilen den blassen Sehnen der alten Forststraßen folgend, die diese Erhebungen vor einem halben Jahrhundert durchzogen hatten. Er fuhr stetig gen Osten, wobei der Wagen brummend endlose Meilen durch die dunkler werdende Landschaft mit ihren Gebirgsausläufern zurücklegte und eine fast unsichtbare Staubwolke hinter sich herzog, die sich auf Briefkästen und Rinder und bereits geerntete Tabakfelder legte. Die Straße führte immer weiter hinab, überließ sich der Geschwindigkeit des Wagens und der Hitze des Motors, während Sterne über der Umgebung kreisten.

Die langen Kurven entfalteten sich vor der Fahrzeugfront. Die Obst- und Gemüsestände, Werbetafeln und Scheunen am Straßenrand waren groß genug, um die Wagen von Männern mit Dienstmarke zu verbergen. Die Straße führte eine Anhöhe hinauf, und das Gelände lag beinahe nackt vor dem weiten blauen Himmel. Die spärlichen Lichter der Fabrikstadt, errichtet auf dem Plateau des Piedmont, brannten in der Ferne. Die Stadt Gumtree. Bald summte die Straße, war asphaltiert und führte durch große Laubwaldbestände. Die Textilfabriken erhoben sich lang und riesengroß auf dem steilen Felsen über der Stadt, während schwarzer Rauch aus den vielen Schornsteinen aufstieg wie bei Ozeandampfern auf einem Meer aus Erdmasse. Sämtliche Fenster waren erleuchtet, als würden sich die Leute drinnen auf einer Party oder einem Ball vergnügen. Die Männer und Frauen kamen aus den Bergen, um stundenlang in der Hitze dieser von Flusen erfüllten Räume zu schuften, wo sie Socken und Strümpfe fertigten. Die zweite Schicht endete um zehn. Dann kamen die Arbeiter wie Gespenster hustend und weiß bestäubt aus den Ziegelbauten, bereit für einen Schluck Whiskey.

Der Wagen überquerte den Damm und fuhr in die Stadt hinein. Das Tal war zur Stromerzeugung vor zwei Jahrzehnten geflutet worden; aus dem Damm entlud sich eine Reihe flacher weißer Wasserfälle im Mondlicht. Der Wagen umrundete den Hauptplatz, wobei der starke Motor die Ladenfronten erschütterte wie menschengemachter Donner. Da waren der Lebensmittelladen, die Apotheke und das Billigwarenhaus. Der Juwelier, der Schuster und das Eisenwarengeschäft. Läden, in denen die Fabrikarbeiter auf Pump kauften und das Geld von ihrem Lohn abgezogen wurde. Der Wagen fuhr weiter, und die Arbeiterviertel ballten sich vor seiner Motorhaube, flache, kleine, sich im Besitz der Fabrik befindliche Häuser, dicht an dicht mit ihren quadratischen, kurz geschorenen Rasen. Häuser, die so klein waren, dass man eine Schrotflinte abfeuern und sämtliche Räume damit treffen konnte. Manche hatten es getan. Der Wagen fuhr zwischen ihnen hindurch bis zur Stadtgrenze, wo die Straße langsam in Richtung See abfiel.

End-of-the-Road hieß sie. Das letzte Überbleibsel der Ortschaft, bevor sie vom Wasser verschlungen wurde. In den Auwäldern standen Kneipen und Bordelle, Häuser für alles, was der Körper brauchte. Schatten zuckten über ihre Fenster, die in einem kränklichen Gelb schimmerten. Ein Ort für einen Drink und einen Streit, ein fremdes Bett, fremde Sterne, die über fremde Himmel flogen, wenn man einen Blick riskierte. Dahinter versank die Straße in der Tiefe. Dort unten befand sich das alte Tal, wo einst Menschen gelebt hatten, lange bevor die energiehungrigen Fabriken kamen. Angeblich gab es dort unten Hütten mit offenen Türen für die Fische, ihre Kiefernholzböden ertränkt und kalt. Es gab Bäume, verkümmert und leblos, die sich in der Tiefe wiegten wie von Zeitlupenwind bewegt. Die Knochen von Landbewohnern lagen dort unten, Wesen, die vor der kommenden Flut nicht gewarnt worden waren. Das Klopfen von Äxten und Hämmern der Maschinen erzeugte keinen grollenden Donner oder düsteren Himmel. Noch nicht. Als das Wasser kam, waren angeblich ein paar übellaunige alte Tabakpflücker auf ihrem Land geblieben, um die Regierung zu ärgern, aber die meisten bezweifelten das. Was nicht schwerfiel, so flach und ruhig war der See, dessen Geheimnisse niemals an die Oberfläche dringen würden.

Die erste Lieferung an diesem Abend ging an einen heruntergekommenen Bungalow mit vergitterten Fenstern und geriffelten Seitenwänden, als wäre jemand mit einem Spachtelmesser zugange gewesen. Im Dach war eine Delle, in der Regenwasser schwamm. Der Rasen war von Reifenspuren rötlich aufgewühlt. Zerbeulte Autos standen kreuz und quer. Gestalten mit hängenden Schultern, die von Mehl bedeckt zu sein schienen, standen vor dem Küchenfenster an. Münzen glänzten in ihren Händen.

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