»Wir sollten wieder mal aufs Land hinaus!« sehnte ich.
»Ja, unbedingt!« sehnte er zurück.
Dasda wurde mir immer vertrauter und immer noch lieber. Ich ihm natürlich auch, doch das ist selbstredend. Wer von diesen einfachen Wesen wollte nicht eine Freundin unserer Art?! Leider reichte sein Verstand nicht aus, um sein Weibchen zu erkennen. Soweit ich weiß, finden Liebende aber irgendwann zueinander, also hoffte ich darauf, dass zumindest das Weibchen diesbezüglich so viel erkennen würde, um sich darum zu kümmern. Jedenfalls schien es nicht meine Aufgabe zu sein, mich da einzumischen.
Für mich war es wesentlich spannender herauszufinden, warum diese Wesen so wenig erkannten vom Leben, dessen Schönheit und Freude. Hing das mit ihrem Gott zusammen? Oder damit, dass sie diesen Gott überhörten? Oder war es falsch, alles zu benennen, sogar diese Stimme der Liebe, die aus einem ruft? Wir weisen und freien Fliegenden benennen kaum etwas, genießen und leben aber in jedem einzelnen Augenblick. Wir benennen nicht, weil alles seinen Namen selbst ruft.
Das Licht ruft durch die Helligkeit, die es bringt, die Dunkelheit flüstert durch Ruhe, die mit ihr einhergeht. Der Wind ruft durch die Bewegung, die er schenkt und das Wasser ruft: Leben! Frische! Wachsen! Und alles ruft laut und wild, wenn es zu viel wird. Zu viel Licht ruft: Hitze, Schmerz! Zu viel Dunkelheit ruft: Wo bist du, Leben? Zu viel Wasser ruft: nass! Kein Fliegen! Zu viel Wind ruft: Gefahr! Kein Fliegen! Alles was zu viel ist, hindert an der Lust zu fliegen und zu genießen.
Mehr Ordnung braucht es nicht und mehr Begriffe auch nicht. Aber wie das einem dieser Wesen erklären? Die dümpeln doch immer schon in ihren Irrgärten von Begriffen und Regeln und funktionieren daher nur so, wie ihre Rolldinger. Sie haben Begriffe für gestern und Regeln für morgen und nie, fast nie, leben sie im Jetzt. Das Jetzt ist aber die einzige Möglichkeit zu leben und zu fliegen, zu genießen und zu jauchzen. Nur im Jetzt kann ich lieben. Ich will mein Dasda in jedem Jetzt lieben. Das ist keine Regel, das kommt aus meinem Inneren, aus meiner Ewigkeit. Mein Gott ruft es.
Mein Dasda hörte seinen Gott, wenn es um die Liebe zu mir ging. Das ist gut für ihn und schön für mich. Vielleicht wird er auch einmal seinem Gott zuhören, wenn es um sein Weibchen geht, oder wenigstens wenn es um seine Freude geht im ewigen Jetzt seines Lebens. Ich jedenfalls erlebte das Glück noch deutlicher als ohnehin schon, da ich Dasda erfahren und damit Liebe kennenlernen konnte. Natürlich sah ich mir nun die Herren in meinem Schwarm mit neuem Interesse an. Und bereits dieses Betrachten, dieses Gustieren und gedankliche Vorkosten war lustvoll. Doch dann merkte ich, dass die Hübschesten bereits vergeben waren und die Interessantesten umringt wurden von anderen Interessentinnen. Mich hinten anzustellen war aber ganz und gar unter meiner Würde.
Zu wissen, dass ich Dasda liebte, reichte mir daher völlig. Außerdem begegneten wir einander häufig und fuhren grundsätzlich gemeinsam aufs Land. Bei den anderen Wesen war ich bereits berühmt und man gratulierte Dasda natürlich allseits zu solch besonderer Freundin. Ich erkannte das an dem Bellen, das sie lachen nannten. Ab und zu wagte sogar das eine oder andere Wesen, seine Krallen nach mir auszustrecken. Das ließ ich mir aber nicht gefallen. Der einzige, der mich berühren durfte, war Dasda. Vielleicht hätte mich sein Weibchen auch berühren können, denn es war sein Teil, es schaute wie er und dachte wie er und ein gleicher Gott sprach aus ihr von Liebe. Von Liebe zu ihm und auch zu mir und zu der Linde, die mein Lieblingsbaum war. Doch sein Weibchen war gar nicht oft in seiner Nähe. Wir begegneten einander meist nur, wenn es ihn in seiner Höhle besuchte und ich die beiden dann vom Fenster aus beobachtete, wie sie abwechselnd schwammige Geräusche von sich gaben. Langweilige Beschäftigung.
»Ich will dir einen Namen geben, meine Schöne«, eröffnete mir Dasda eines Tages.
»Was willst du mir denn damit geben, wo ich doch nichts brauche außer Proviant ab und zu«, fragte ich zurück.
»Der Name sagt, wie einzigartig du für mich bist«, antwortete er feierlich.
»Das wissen wir doch bereits. Und du bist auch für mich das einzige Wesen deiner Art, das ich so sehr mag«, ergänzte ich schmeichelnd.
»Mit deinem Namen kann ich dich rufen und erkennen«, erklärte er.
»Dein Gott ruft mich aus dir heraus und wir erkennen einander immer, immer«, entgegnete ich, ahnend, dass er mich in seine komplizierte Welt der tausend Begriffe und Regeln zwängen wollte. Vielleicht meinte er es sogar gut, doch es war nicht gut für mich.
»Ich nenne dich Negrita mia« verkündete er froh, trotz meiner Einwände. Sein Gott ließ mich wissen, dass ihm diese Namensgebung wichtig war, darum schlug ich vor:
»Gut, mit ›Mia‹ bin ich einverstanden«.
Er lächelte und drückte mich ein bisschen. Zwar hatte ich inzwischen viele Begriffe und Gewohnheiten der Wesen kennengelernt, aber die Sache mit dem Drücken verstand ich nicht ganz. Es wirkte wie kämpfen oder einengen auf mich. Aber egal, andere Wesen, andere Sitten.
»Wie willst du mich nennen, meine schöne Mia«, fragte er mich von Kopf zu Kopf, nicht von seinem inneren Gott zu meinem inneren Gott.
»Du heißt ›Dasda‹, um dich von den anderen unterscheiden zu können. Ihr schaut nämlich alle gleich aus im Gegensatz zu uns«, antwortete ich.
Er lachte laut auf.
»Bin ich denn nicht einzigartig für dich?« fragte er und tat so, als sei er gekränkt. Ich sah ihn lange an und ließ dann die Ewigkeit in mir sprechen:
»Du bist meine Liebe, meine Ewigkeit, ein Teil meiner so großen Freude«, ließ ich ihn mit dem Ausdruck meiner ganzen Würde wissen. Er schwieg ergriffen.
Am Abend saß ich dann nach dem großen Jubel hoch oben auf der Baumkrone meines Nachtquartiers, umgeben von allen anderen meines Schwarms. Diese Gemeinschaft war schön. Zufrieden und glücklich wollte ich gerade die Augen schließen, als jemand näher an mich heranrückte. Es war ein Herr, den ich kaum kannte und der für gewöhnlich nachts auf einem anderen Zweig saß.
»Deine Nähe würde mir gut tun. Darf ich hier bleiben?« fragte er mich.
»Gerne« antwortete ich und horchte auf meinen Gott in mir. Der schien aber bereits zu schlafen, jedenfalls konnte ich nicht erkennen, ob mir die Nähe des Herrn auch gut tun würde. Er rückte noch etwas heran, denn es pfiff kalter Wind durch die Baumkronen. Ich rückte auch näher heran, wenn schon, denn schon. Und als ich seinen Gott pochen spürte, wusste ich, dass dies die erste von allen restlichen gemeinsamen Nächten sein würde.
Wie sehr ich mich freute und wie sehr mir Dasda gratulierte und wie glücklich der Herr an meiner Seite blieb, ist dann eine neue Geschichte.
»Das Wort ist Fleisch geworden«,
um die Wörter zu überwinden,
um sogar die Worte zu überwinden.
Erst, wenn in mir alles schweigt,
wenn da nur unnennbare Stille ist,
wenn selbst das Schweigen nicht mehr ist,
das uns ja doch nur als Gegenteil
des Redens und des Denkens erfüllt,
erst in der unnennbaren Stille,
kann ich mich finden lassen.
Es findet mich die Liebe,
die mich längst in Armen hält.
Nun weiß ich, dass ich in der Liebe aufgehe,
vergehe, in sie eingehe,
hinab sinke, hinauf schwebe,
ganz in ihr bin und sie in mir ist.
Die unnennbare Stille erzählt es mir.
Sie verrät mir ein Geheimnis:
mal ist sie im Plätschern des Baches,
mal ist sie im fallenden Laub,
mal ist sie im Krähenschwarm
und immer ist sie im tiefen See deiner Augen.
Tischtennis geht nur
ping-pong, ping-pong…
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