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Für die Erfüllung des Tatbestandes ist eine sog. „ Unrechtsvereinbarung“ erforderlich, die allerdings bereits dann vorliegt, wenn der Vorteilsgeber dem Amtsträger einen Vorteil „ für die Amtsausübung “ zuwendet. Eine Gegenleistung, etwa die pflichtwidrige Erteilung einer Genehmigung o.Ä., ist für die Erfüllung des Tatbestandes nicht erforderlich, es reicht aus, dass der Vorteil im weitesten Sinne im Hinblick auf die Dienstausübung des Amtsträgers gewährt wird. Wird mit dem Amtsträger eine pflichtwidrige Gegenleistung für die Hingabe des Vorteils vereinbart, liegt der (Qualifikations-)Tatbestand der Bestechung gemäß § 334 StGB vor, der über einen deutlich erhöhten Strafrahmen verfügt.
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Durch die Strafdrohung hinsichtlich der schlichten Gewährung eines Vorteils im Hinblick auf die dienstliche Tätigkeit des Amtsträgers wird die Strafbarkeit im Sinne einer weitestmöglichen Abschreckung nicht nur deutlich vorverlagert, es offenbaren sich auch erhebliche Compliance-Risiken. Übliche Formen des gesellschaftlichen Umgangs miteinander sowie der Höflichkeit geraten hier jedenfalls, soweit Amtsträger betroffen sind, in den Bereich der Strafbarkeit. Erklärte Absicht des Gesetzgebers war es, insoweit bereits die Schaffung eines Näheverhältnisses zwischen Amtsträger und Interessent, das sog. „Anfüttern“, die „Klimapflege“ oder die „Schaffung der Allgemeinen Geneigtheit“ einer Strafandrohung zu unterwerfen.73 Dem Gesetzgeber wie auch dem BGH ist bewusst, dass der Tatbestand der Vorteilsgewährung – insbesondere nach der Auslegung durch die obergerichtliche Rechtsprechung – im Randbereich kaum mehr trennscharfe Konturen aufweist und im Ergebnis nicht nur zu Beweisschwierigkeiten führen kann, sondern dem Tatrichter vielmehr eine beträchtliche Entscheidungsmacht einräumt.74 Der „Preis“ dieser tatbestandlichen Erosion liegt bereits jetzt in einer völligen Verunsicherung der potenziellen Adressaten der Korruptionstatbestände im öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsraum, etwa in kommunalen Gebietskörperschaften oder Beteiligungsgesellschaften, die aus Sorge vor unberechenbaren strafrechtlichen Konsequenzen auch wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen für die öffentliche Hand kaum mehr treffen, so etwa im Bereich des Sponsorings im Rahmen sog. PPP-Projekte75 oder des Kultursponsorings. Auch die Annahme gesellschaftlich in hohem Maße erwünschter Vorteile durch Amtsträger, wie etwa das Einwerben von Drittmitteln durch Universitätsprofessoren, wird vom Tatbestand des § 331 Abs. 1 StGB erfasst. Nur durch den „Klimmzug“ einer teleologischen Restriktion des Tatbestandes ist der BGH zur Straffreiheit des in den Hochschulgesetzen sogar geforderten Verhaltens gekommen. Tatsächlich führt diese Art der „Korruptionsbekämpfung“ durch Gesetzgeber und Gerichte zu ernsthaften Problemen im Bereich der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens bis hin zur Preisgabe der tatbestandlichen Bestimmtheit entgegen Art. 103 Abs. 2 GG und damit auch zu erheblichen Problemen in der Compliance-Beratung.
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Ein Versuch einer Strafbarkeitsrestriktion mit dem Ziel, nicht jeglichen gesellschaftlichen Umgang mit einem Amtsträger dem Risiko der Strafbarkeit auszusetzen, findet sich im Bereich der sog. „ Sozialadäquanz“, deren Grenze jedoch umstritten ist. Unter dem Gesichtspunkt der Sozialadäquanz sind lediglich in gewissem Umfang übliche und deshalb sozialadäquate Vorteile von der Strafbarkeit ausgenommen, etwa wenn diese Vorteile ihren Grund in den Regeln des sozialen Verkehrs oder der Höflichkeit haben.76 Als Paradebeispiel für eine sozialübliche Zuwendung ist etwa das weihnachtliche Trinkgeld für die Müllabfuhr oder auch das Trinkgeld an einen Postzusteller oder Spende in die Kaffeekasse der Station eines Krankenhauses anzusehen. Eine Strafbarkeit entfällt aber nicht etwa grundsätzlich deshalb, weil entsprechende Vorteilsgewährungen in bestimmten Bereichen oder Branchen – gar unabhängig von der Höhe der Zuwendung – üblich wären. Auch hier ist die Rechtsprechung des BGH äußerst restriktiv, lediglich geringwertige Aufmerksamkeiten aus gegebenen Anlässen werden vom Tatbestand ausgenommen. Schließlich, so der BGH, lasse sich eine Sozialadäquanz nicht alleine aus einer etwaigen Üblichkeit herleiten, da dies bestehende Strukturen der Korruption vielmehr verfestigen würde. Wichtig sind insoweit natürlich die beamtenrechtlichen Grenzen der Zulässigkeit der Annahme von Vorteilen, die üblicherweise äußerst niedrig liegen; diese stellen zwar keine starre Grenze dar, ab wann eine sozialadäquate Zuwendung nicht mehr vorliegt, sie haben aber für den jeweiligen Regelungsbereich Indizcharakter. Es liegt auf der Hand, dass die Grenzen hierbei fließend sind und sehr stark von dem gesellschaftlichen Umfeld der potenziellen Diensthandlung abhängen. Als strafrechtliche (nicht dienstrechtliche) Mindestgrenze, unterhalb derer eine Unrechtsvereinbarung aufgrund Sozialadäquanz regelmäßig nicht vorliegt, ist ein Bereich von 35,00 bis 50,00 EURanzusehen. Zum einen entspricht dies der im Strafrecht allgemein anerkannten Grenze der Geringfügigkeit, zum anderen dürfen gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStGGeschenke bis zu einem Wert von 35,00 EUR p.a. steuerlich gewinnmindernd geltend gemacht werden. Fördert der Staat jedoch betrieblich veranlasste Geschenke bis zu einem Wert von 35,00 EUR p.a. auf der einen Seite, so gebietet die Einheitlichkeit der Rechtsordnung, dass er diese Zuwendung auf der anderen Seite nicht als strafrechtlich relevant wertet. Auch hier mag es im Einzelfall Ausnahmen geben, so etwa die Vereinbarung, einem Polizeibeamten als Gegenleistung für das Unterlassen einer Anzeige einen Betrag von 20,00 EUR zuzuwenden. Gibt es keinen Anlass, einem Verkehrspolizisten oder Lebensmittelprüfer Bargeld zuzuwenden oder diesen zu einem Abendessen einzuladen, so entspricht die Erörterung von Sachfragen mit einem Landesbankvorstand oder einem Geschäftsführer einer privatrechtlich organisierten „sonstigen Stelle“ bei einem Arbeitsessen oder im Rahmen einer Repräsentationsveranstaltung durchaus der gesellschaftlichen Üblichkeit.77 Im Geschäftsverkehr mit Amtsträgern, insbesondere wenn sich deren Amtsträgereigenschaft aus der Organstellung bei einer sonstigen Stelle ableitet, aber auch bei der Wahrnehmung von Repräsentationsaufgaben, ist der Grenzwert damit (deutlich) höher anzusetzen. So entspricht etwa die Einladung zu einem Arbeitsessen bei einem Wert von bis zu 100,00 EUR oder auch die Einladung zu einem Fußballspiel nicht nur der gesellschaftlichen Üblichkeit, sondern durchaus auch der Sozialadäquanz. Jedenfalls, so der BGH, „ handelt es sich bei Zuwendungen im Wert von mehreren Hundert Euro nicht mehr um geringwertige Aufmerksamkeiten “.78
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Compliance-Risikenbestehen auch und insbesondere dort, wo die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand quasi institutionalisiert ist und die öffentliche Hand auf eine solche Zusammenarbeit angewiesen ist, wie etwa bei der Einwerbung von Drittmittelnfür die universitäre Lehre und Forschung oder im Bereich der Wahlkampf- und Parteispenden. Auch hier gibt es eine ausgeprägte Judikatur, auf die insoweit lediglich verwiesen werden kann.79 Die Angst vor der Überschreitung der von Gesetzgebung und Justiz bewusst schwammig gehaltenen Grenzen hat in vielen Bereichen dazu geführt, dass sich ganze Branchen oder Branchenverbände umfangreiche Kodizes geben, die zumindest Leitlinien für eine Risikoreduktion enthalten („ best practice“), wenngleich die Rechtsprechung solche Richtlinien grundsätzlich nicht als Konkretisierung der einschlägigen Tatbestände akzeptiert, sondern auch diesen lediglich Indizcharakter zumisst. Solche Richtlinien finden sich etwa in der Pharma- und der Medizintechnikbranche, mithin zwei Bereichen, die als habituell korruptionsgefährdet gelten und auch schon schwere Korruptionsskandale durchleiden mussten, erinnert sei insoweit nur an den „ratiopharm-Skandal“ oder an den sog. „Herzklappenkomplex“. In diesen Kodizes, hier dem Pharma Kodex80 und dem Kodex Medizinprodukte,81 findet sich eine dezidierte Beschreibung einer für zulässig gehaltenen Sponsoring- und Einladungspraxis, die die jeweiligen Konstellationen bis ins kleinste Detail regelt.
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