Das hatte sie alle zum Schweigen gebracht. „Mutter“, hatte sie ausgespuckt, während sie sich zuerst an sie gewandt hatte. „Ich bin zum Apartment meines Verlobten gegangen. Dem, in dem wir gemeinsam wohnen wollten. Dem, bei dessen Auswahl und Möblierung ich geholfen habe, wenn ich dich erinnern dürfte. Ich bin hingegangen, weil ich mir Sorgen gemacht habe, da er in letzter Zeit so hart gearbeitet hat, und ich wollte ihm wie eine anständige, brave Ehefrau ein Essen kochen. Nur hat er nicht hart gearbeitet, wie es scheint, hat er hart gefickt .“ Sie hatte auf diese Aussage hin ein scharfes Einatmen gehört. Allerdings wusste sie nicht, von wem es gekommen war, da ihr Zorn ihren vom Wein in Mitleidenschaft gezogenen Kopf zum Drehen gebracht hatte. „Ich bin gegangen, weil er damit beschäftigt war, es mit irgendeiner anderen Frau zu treiben.“
„Serena“, hatte ihre Mutter geschimpft, „wie kannst du es wagen, solche Wörter in den Mund zu nehmen?“ Sie hatte sie ignoriert und sich stattdessen an Bryan gewandt.
„Und du, du dreckiges…“ Einige Kraftausdrücke waren ihr in den Sinn gekommen, doch um des Herzens ihrer Mutter willen, entschied sie sich stattdessen für: „Schwein! Ich habe unsere Hochzeit geplant und du hast das getan?“ Sie hatte endlich alles rausgelassen.
Das Zornesgeschrei hatte seinen Höhepunkt darin erreicht, dass ihre Mutter ohnmächtig geworden war – ja, sie war so dramatisch – und ihr Vater Bryan mit der Warnung, nie wieder vor seiner Tür aufzutauchen, aus eben dieser befördert hatte. Sie war die Treppe nach oben und in ihr Schlafzimmer gerannt.
Die darauffolgenden Tage hatte sie sich größtenteils in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen. Ihr Vater und Katie hatten ab und zu nach ihr gesehen. Seit dem großen Streit hatte sie nicht mehr mit ihrer Mutter gesprochen, aber sie hatte Gesprächsfetzen aufgeschnappt, wann immer sie sich aus ihrem Zimmer in die Küche geschlichen hatte, um sich mit frischem Tee oder Eiscreme zu versorgen. Ihre Mutter war fuchsteufelswild, dass sie ihre Verlobung mit „einem so geeigneten Mann“ gelöst hatte, und hatte darüber lamentiert, dass sie sich „wie eine Lady benehmen und ihm seinen einzigen Ausrutscher hätte vergeben können“, der nur in einem, wie sie es bezeichnete, „Moment der Schwäche“ geschehen war.
Wow, Mom, so viel zu weiblicher Emanzipation. Ich weiß nicht, warum sie uns überhaupt wählen lassen , hatte sie sarkastisch gedacht, als sie die Zornesrede ihrer Mutter gehört hatte. Doch auch diese verräterischen Gedanken würden niemals in Worten Gestalt annehmen. Serena hatte sich selbst verflucht, weil sie ihren Mund nicht aufgemacht hatte.
Drei Tage nach dem Streit hatte ihre Mutter ihre Zimmertür und ihre zugezogenen Vorhänge so gewaltsam aufgerissen, dass sie gedacht hatte, sie würden reißen – allerdings wäre das kaum ein Verlust gewesen, da ihre Mutter während ihres letzten Umgestaltungs-Anfalls beschlossen hatte, dass Prinzessinnenpink eine angemessene Farbe für eine Einundzwanzigjährige wäre. Sie hatte Serenas aufgequollene Augen ignoriert und sich elegant, aber dramatisch auf die Bettkante gesetzt.
„Nun Serena, du scheinst einen Plan für deine Zukunft zu haben, von dem ich nichts weiß, da du den Plan, von dem ich wusste , mit beiden Händen aus dem Fenster geworfen hast. Würde es dir daher etwas ausmachen, mir mitzuteilen, was du jetzt mit dir anzufangen gedenkst?“
Sie hatte in die schmalen grauen Augen ihrer Mutter geblickt und eine Welle der Scham war über sie geschwappt. Ihre Mutter hatte hart daran gearbeitet, jemanden zu finden, den sie für einen geeigneten Partner hielt, und sie hatte die Beziehung so sehr unterstützt – an manchen Abenden war sie lange wachgeblieben, um mit Serena über die Probleme zu reden, die sie mit Bryan gehabt hatte, und sie hatte sich in den letzten sechs Monaten in die Hochzeitsvorbereitungen gestürzt.
„Es tut mir so leid, Mom“, hatte sie geflüstert, während Tränen, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie noch in ihr steckten, überzulaufen gedroht hatten. „Ich war nur so verletzt und schockiert, dass ich nicht einmal an die Konsequenzen meines Handelns gedacht habe, bis jetzt.“ Ein vertrautes Gefühl überwältigender Scham und Schuld hatte sich auf Serena gesenkt.
Ihre Mutter hatte recht gehabt, es hatte einen Plan gegeben. Einen, den ihre Mutter sorgfältig geschmiedet und an dem sie Serenas gesamtes Leben lang gearbeitet hatte. Und mit einem Wutanfall hatte Serena das alles fortgeworfen. Kein Wunder, dass ihre Mutter so wütend auf sie war. Immerhin gingen Männer nun einmal fremd, oder? Sie fragte sich plötzlich, ob ihre Mutter ihrem Vater derartige Fehltritte vergeben hatte, doch sie schob diesen Gedanken rasch beiseite. Nein, ihr Vater würde so etwas niemals tun.
Nichtsdestotrotz hatte sie von ihren Freunden unzählige Geschichten über die Eskapaden ihrer Väter gehört und dennoch waren die meisten nach wie vor verheiratet. Vielleicht gehörte das einfach dazu, aber woher sollte sie das wissen? Bryan war ihr erster ernsthafter Freund gewesen und ihre Mutter hatte nie über solche Dinge geredet.
Sie hatte sich an den Moment erinnert, in dem sie die Szene erblickt hatte, die sich auf Bryans Couch abgespielt hatte, und wie sie sich dabei gefühlt hatte, und sie war sich sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Zum Teufel mit dem Plan, was er ihr angetan hatte, war unverzeihlich.
„Es tut mir leid, Mom. Ich wusste einfach, dass ich nach dem, was ich gesehen hatte, nie wieder mit Bryan zusammen sein könnte. Ich weiß, wie hart du gearbeitet hast, aber ich werde es wiedergutmachen. Ich werde mich an einem College einschreiben. Ich werde mich wirklich anstrengen und ich werde dich wieder stolz machen“, hatte sie leise geschworen.
Es war alles so schnell aus ihr herausgepurzelt und sie hatte sich so verzweifelt gewünscht, etwas zu sagen, das die Situation verbessern würde, dass sie zum zweiten Mal in drei Tagen aus Versehen in einen lebensverändernden Streit geschlittert war.
„College?“, hatte ihre Mutter kühl wiederholt. „Und wofür genau würdest du dich anmelden, Schatz? Du bist seit vier Jahren aus der Highschool, du hast dich bei keinen Colleges beworben und du hast keine andere Arbeitserfahrung als das Aushelfen in der Firma deines Vaters.“
Und abermals hatte ihre Mutter recht gehabt. Ihr Lebensplan hatte nie ein College enthalten. Katie, ihre Schwester, der es irgendwie gelungen war, bis zu einem gewissen Grad den starren Grenzen des Masterplans ihrer Mutter zu entkommen, hatte darauf bestanden, einen Collegeabschluss zu machen, bevor sie sesshaft wurde. Sie hatte sich auf die Hinterfüße gestellt, bis ihr Vater schließlich ihre Mutter überredet hatte, sie gewähren zu lassen.
Katie war ein Jahr jünger als Serena und fast fertig mit ihrem Studium. An irgendeinem Punkt hatte sie es zudem geschafft, in ein Apartment außerhalb des Campus zu ziehen, obgleich es natürlich Regeln gab. Ihre Schwester musste mindestens einmal alle paar Tage nach Hause kommen, an allen Familienfeiern teilnehmen und ihre Mutter kaufte ihr nach wie vor Kleider und Lebensmittel. Trotzdem war das bedeutend mehr Freiheit, als Serena hatte.
Serena hingegen hatte direkt nach der Highschool angefangen, für die Firma ihres Vaters zu arbeiten. Sie hatte als Assistentin eines rangniedrigen Marketing Managers bei Woods Co. begonnen, dem Familienimperium, das ihr Großvater vor über sechzig Jahren gegründet hatte. Der Plan hatte vorgesehen, dass sie dort arbeiten würde, bis sie verheiratet war und Kinder großzog.
Also war sie versorgt gewesen, hatte einen vernünftigen Lohn verdient, war sehr gut in ihrem Job geworden und hatte sich eine Routine erarbeitet unter den konstant wachsamen Augen ihrer Mutter.
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