Nataly von Eschstruth
Potpourri
Novellen und Erzählungen
Saga
Ihrer Excellenz
der Frau Staatsminister
Auguste von Bernstorff
geb. von Dewitz,
meiner hochverehrten mütterlichen Freundin,
in aufrichtigster Ergebenheit
gewidmet.
Die Verfasserin.
Die Salons des Grafen S. in St. Petersburg waren zu glänzendem Jourfix geöffnet. Die elegante Welt und die Vertreter der Kunst, Uniform und Frack, Fürstenkrone und Bischofsmütze gaben sich hier ein Rendezvous, und die strahlenden Kerzen blickten auf das interessanteste Mosaik hernieder, welches wohl jemals seine launigen Wechselbilder auf dem Petersburger Parkett zusammengeschoben. Heute konzentrierte sich jegliches Leben in dem Musiksaal. An dem gewaltigen Dreieck des Konzertflügels, zurück gelehnt gegen die purpurne Wanddraperie stand eine schlanke Männergestalt, die Geige lässig im Arm, das bleiche Antlitz tief zur Brust geneigt. Langes glanzschwarzes Haar fiel auf Stirn und Schultern, wirr und zwanglos, bis es eine ungeduldige Kopfbewegung zurückwarf, und für Minuten die Stirne freigab, eine hohe, ideale Künstlerstirn. Das war der Stern am Himmel der Kunst, der Mann, welchem Petersburg in nie gekanntem Enthusiasmus zujauchzte, welchem es Lorbeer und Rosen überhoch auf den Triumphwagen seines Ruhmes streute — Sarasne. Heute war der Gefeierte im Salon des Grafen S. erschienen, und, unerhörtes Wunder! er hatte ohne Aufforderung zur Geige gegriffen, er stand wie in tiefem Traume und spielte. Seine Wimpern waren gesenkt, es schien, als ruhe die Starrheit des Schlafes auf den scharfgezeichneten Zügen, in welchen kein Tropfen Blut kreiste, kalt wie Marmor war das Antlitz Sarasnes. Schneller und schneller fliegt der Bogen über die klingenden Saiten, nie gehört in gleicher Vollendung spielt der Künstler seine Meisterstücke, er leistet fast Unmögliches, und wie die Klänge wilder und wilder unter der weissen Hand hervorsprühen, knisternd wie Feuerfunken, jubelnd, brausend, übermächtig in zügelloser Leidenschaft, da heben sich die langen Wimpern, ein einziger Blick bricht aus den dunklen Augen, flammend, durchzittert von unaussprechlicher Empfindung, ein dämonischer Blick.
Nur ein Einziger in dem weiten Saale hatte das Auge des Virtuosen beobachtet. Es war der Kammerherr der Kaiserin, Eugène Baron Melnick. Wie von giftigem Dolch getroffen zuckte er empor, fahle Blässe überzog sein ernstes Antlitz, und sein Blick folgte demjenigen Sarasnes; lang, regungslos haftete er.
Entfernt, an den Portieren der weitgeöffneten Saalthüre, halb versteckt unter den tiefhängenden Blütenzweigen einer Pflanzengruppe, sass Natasche Kalnaffskoi, die Nichte des Hausherrn. Schimmernde Atlasfalten flossen weich auf den Teppich nieder, gleich kräuselnden Wogen, aus welchen still und einsam der schneeige Kelch der Wasserlilie steigt; eine weisse Hand stützte das tiefgeneigte Haupt, umrahmt von dunklem Haar, dessen glänzende Locken als einziger Schmuck um das ovale Antlitz schmeichelten.
Natasche fühlte Sarasnes Blick. Voll und ruhig schlug sie die Augen auf, feuchter Glanz leuchtete darin, eine tiefe, unaussprechliche Bewunderung, und ihr Antlitz, dieses stolze, ernste Frauenantlitz, lächelte. —
In dem Boudoir des jungen Grafen Paul, durch wenige Salons von dem Konzertsaal getrennt, brannten die gedämpften Kuppeln des Lüsters und lösten die tiefen Schatten, welche sich dämmernd über die entfernter stehenden Möbelgruppen senkten.
Das Haupt tief in die Sammetpolster einer Causeuse gedrückt, lag Eugène Melnick. Er regte sich nicht, nur seine Brust arbeitete unter den Atemzügen tiefster Qual. Neben ihm auf dem Boden lag eine Geige, zerrissen ihre Saiten, und der Bogen geknickt.
Da rauschte es wie seidenes Frauengewand neben ihm, zwischen den Portieren stand Natasche.
Melnick verharrte regungslos. Ihr Blick traf den Freund, schweifte über seine gebrochene Gestalt und haftete auf der zerstörten Geige, da blitzte es wie zürnender Unmut aus den stolzen Augen, die Stirn faltete sich und langsam trat sie näher.
„Melnick!“ sagte sie ernst. Er schrak auf, sein wirrer, brennender Blick traf ihr Antlitz. Hastig richtete er sich empor und strich mit der Hand über die glühende Stirn. „Ich gehe schon!“ sagte er dumpf.
Natasche wies auf die Geige. „Wer that das?“ fragte sie leise.
„Ich!“ Sein Haupt zuckte trotzig empor.
„Und warum?“
Da flammte es in seinen Augen. „Weil ich lieber nichts sein will, als ein Stümper!“ rief er ausser sich, „ich ertrage es nicht länger, Sarasnes Erfolge zu schauen, niemals werde ich spielen wie er, niemals werden Sie mir zulächeln wie ihm, niemals werde ich über ihn siegen! Und so ist es besser, ich zerreisse die Saiten, und reisse mich los von ihnen, und von dem süssen, trügerischen Wahn, von dem ganzen elenden Leben!“ und Eugène warf sich in die Polster zurück und presste die zitternden Hände vor das Antlitz.
Ernst und streng blickte Natasche Kalnaffskoi zu ihm nieder.
„Sie haben recht, Melnick, zerreissen Sie die Saiten, weder ich noch je eine andere Seele wird einen Mann bewundern können, welcher sich nicht selber beherrschen kann, wie viel weniger das eigensinnigste Instrument der Kunst!“
Ein erlöschender Blick traf sie aus seinem Auge. „Sie sind grausam, Natasche, und doch gerecht!“ flüsterte er bitter. „Sie nennen mich einen Schwächling, warum setzen Sie nicht gleich hinzu, dass Sie mich verachten? Es passt so schlecht zu Ihrem Charakter, ein armes Herz tropfenweise verbluten zu lassen, brechen Sie es schnell, und zeigen Sie mir, dass Ihnen die Barmherzigkeit doch nicht völlig unbekannt!“
Natasches schmale Hand legte sich schwer auf die Schulter des Sprechenden, weisse Spitzen zitterten um die schlanken Finger, Edelsteine leuchteten purpurn auf, und süsser Veilchenduft umschmeichelte sie, langsam neigte sie das kluge, stolze Antlitz und blickte ihm fest in die Augen.
„Wenn ich Sie verachtete, Melnick,“ sprach sie mild, „so würde ich kein Mitleid für Sie kennen, und fühlte ich kein Mitleid, so würde Natasche Kalnaffskoi viel zu stolz sein, um hier neben Ihnen zu stehen. Wer kennt Ihr wunderliches Herz besser denn ich? Wer las in Ihrer Seele klarer als die Freundin? Ich verstehe Sie, Eugène, und weil ich weiss, dass Ihr Edelmut es verdient, so bin ich wahr zu Ihnen. Sie nennen mich grausam? Blicken Sie auf diese Geige hernieder und sagen Sie mir, ob Sie milde sind? Wer sich in jäher Aufwallung hinreissen lassen kann, sein Liebstes mit Füssen zu treten, der ist mehr wie herzlos, der ist charakterlos! Glauben Sie. Eugène, dass Sie jemals einem Weibe mit solch sinnloser Heftigkeit imponieren werden? Ich verachte es schon an meinen Mitschwestern, wenn sie sich gleich schwankem Rohr von jedem Lebenssturm auf den Boden peitschen lassen, wie viel kleinlicher aber deucht mir erst ein Mann, der sich von seiner eigenen Haltlosigkeit willenlos hin- und herschleudern lässt. Sie sind eine edle, eine grossangelegte Seele, Melnick, ein Adler scheinen Sie mir, ausgestattet mit den stolzesten Schwingen, beseelt von dem hohen Drang, zur Sonne emporzusteigen, und dennoch ratlos am niederen Boden flatternd, weil Sie Ihrer eigenen Kraft nicht vertrauen! O, dass ich Ihnen diese feste, gewaltige Energie in das Herz pflanzen könnte!“
Der Kammerherr der Kaiserin presste die zuckenden Lippen auf ihre kühle Hand. „O, dass Sie mit mir zur lichten Höhe schweben könnten, Natasche, an Ihrer Seite fände ich den Weg!“
Die Russin neigte sich und hob die Geige von dem Boden. „Ziehen Sie neue Saiten auf!“ sprach sie ernst.
Melnick blickte verwirrt empor, er nahm jedoch ohne Entgegnung das Instrument zur Hand und folgte ihrem Geheiss, Natasche trat an einen Seitentisch, öffnete den Violinenkasten des jungen Grafen Paul, und reichte dem Kammerherrn den unversehrten Bogen. „Spielen Sie mir!“ sagte sie kurz, lehnte sich auf einen Sessel und wartete.
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