Mancher wird glauben, das Böse sei nicht zu entbehren deshalb, damit das Gute sich davon abhebe, ja abstoße, um dadurch richtig erst in Gang zu kommen. Ein Frommer könnte meinen, Gott lasse das Böse zu, folglich sei es notwendig. Es diene dazu, den Menschen zu demütigen, zu strafen und zu läutern. Jedermann aber wird unterscheiden zwischen dem Bösen, was von der Natur kommt ohne menschliches Zutun und Mutwillen, und dem, was Menschen Böses tun. Wir haben viel Gelegenheit gehabt und haben sie noch, Beobachtungen darüber anzustellen, an uns und an anderen, ob Menschen durch Leid und Leiden zu läutern sind. Und da sehen wir: Weder die heftigsten Erlebnisse des Grauens noch etwa eigene Untaten vermögen viel zum inneren Fortschritt beizutragen, und schon gar nicht die gehäufte Misere des Mangels. Die wenigen Ausnahmen, die wahren Märtyrer, die Überwinder aller irdischen Qual und Unvollkommenheit werden mit Recht als Heilige verehrt. Ach, daß wir doch von allen unsern Übeln genesen und angenehmer würden vor Gott und den Menschen! Ist es so, daß, wie in der nachdenklichsten Heilkunst die Vergiftung durch winzige Mengen gleichen Giftes gesteuert und wie bei den Ozeanriesen das schwere Ruder durch ein kleines Leitruder zum Ausschlag gebracht wird, uns das Böse noch nötig sei? Möge es so sein, möge es, an sich selber übersättigt, in sich selber ersticken, das Böse, möge das Schmutzige sich von dannen spülen, auf daß Platz werde für das Gute und Reinliche! Möge sich das Wort bewahrheiten: Mit scharfen Besen kehrt das Böse selbst sich ins Gericht.
Schon sind uns die ins Prahlerische gefälschten Begriffe des Ruhms, der Pflicht und der Ehre wieder in das rechte bescheidene Licht gerückt, das uns zu leuchten statt zu blenden vermag; schon ist der mißbrauchte Begriff des Heldentums den Zerstörern und Vernichtern entwunden und zurückgegeben denen, die um eines gütigen Zieles willen ihr Alles daransetzen im Dienste der Leidverminderung und des Aufbaues: den Forschern und Ärzten, den Schwestern und Pflegern, denen, die in gefahrvollen Berufen zum Wohle der Allgemeinheit ausharren, und den Rettern auf See und zu Lande, wie auch allen denen, die um der Gerechtigkeit willen zu leiden haben, und allen denen, die ihr Leid, sei es, was es wolle, gelassen ertragen, die, wie es unter Christen in alter großer Symbolik heißt, geduldig ihr Kreuz auf sich nehmen. Ihnen wird die große Sonne aufgehen, die heißt irdische und himmlische Freude. Das Böse, nein, es gebiert das Gute nicht, so wenig wie ein Haifisch Lämmlein wirft. Uns hilft nichts, als das Böse zu verachten und zu überwinden, es niederzuhalten und zu bewachen, damit es, das doch nicht abläßt, ewig in uns zu stacheln und zu schüren, nach Höllen- und Schadenfeuer lüstern, in seiner unzweifelhaften Urzeitkraft vernutzt werde, der weltbegehrten Steinkohle ähnlich, und unsere Freudenfeuer speise, die Stuben unseres Geistes zu heizen.
Langeweile und Geltungstrieb
Heldentum in der griechischen Antike ist nicht gleich Schlachtenruhm. Nicht dem Feldherrn, sondern dem Sieger in friedlichem Wettkampf, vor allem den Dichtern, wurde der Lorbeer verliehen. Ein Krieger wurde selten zu den Heroen erhoben. Der wahre Held war der „Vielgeprüfte“, der Dulder; wie denn auch den mit Tugenden wenig behafteten Seefahrer Odysseus erst die Überwindung namhafter Leiden mit dem Glanz des Heldischen schmückt. Christus, der Held, ist der große Dulder und Überwinder. Die Vorstellung seiner Gestalt mit der Siegesfahne in der Hand, den Fuß auf dem Nacken des Satans, ist eine späte Verschiebung, ähnlich der des Erzengels Michael, dem Militärischen gemäß, das der Kirche zu ihrer Ausbreitung und zu ihrem Schaden gedient hat. Nicht ihre streitbaren Fürsten und weder die Kreuzfahrer noch Gustav Adolf sind ihre Heroen, sondern ihre Märtyrer sind es und ihre Frommen. Heilige und Heroen wachsen auf dem gleichen Grunde des Stilleseins. Daß aber das Wort „Orden“ aus seiner Abgeschiedenheit zum Begriff der Auszeichnung für „sanktionierte Massenmörder“ wurde und diese zu Helden wurden, hat sowohl die Orden als den Helden in Mißkredit gebracht. Heute hat das Wort Held im Gefühl des einfachen Menschen den Beigeschmack von Trara und Bühne. Die Begriffe Geltungstrieb und — vom Publikum her — Langeweile sind damit verbunden. Sieht man genauer zu, will diese Langeweile nicht nur beim Publikum gefüttert sein. Es gehören viele „Strebungen und Hemmungen“ dazu, den heutigen Helden auf der Daseinsbühne zu kennzeichnen; aber die hauptsächlichen sind: Langeweile und Geltungstrieb. Innere Öde, die sich mit Pose füllt, Bedeutungslosigkeit, die sich mit Gewalt ins Gerede bringen möchte. Auf diesem künstlichen Dünger wächst sowohl der Sportfex wie das Bombenattentat, wachsen drei Viertel aller Politiker und aller Berufssoldaten, einige Kokotten und ein Haufen Abenteurer, Hochstapler und Tagesgrößen. Man sei nicht neidisch auf ihre Erfolge und ihre angeblichen Freuden. Aus ihren Ohren entfernt sich selten das Geräusch des überheizten Motors, der sie antreibt und der, nach Aussage einiger ihrer selbst, zumeist wie ein Schleifstein klingt, daran eine Sense geschliffen wird, die nicht sie in Händen haben. Mißtraue deiner Langeweile! Mißtraue deinem Geltungsbedürfnis! Wie wichtig doch ist es, von Jugend auf zu lernen, edle Freuden zu finden. Auf daß man nicht wie ein blinder Geier gierig umherlungere, nach Abfall lüstern oder nach Beifall, was beides nach Verwesung dunstet.
Von der Vorfreude sagt der Volksmund, sie sei die beste Freude. Das ist eine kleine Unklugheit. Man verspeist unreifes Obst, und wenn das reife aufgetragen wird, hat man sich den Magen verdorben und kann nicht recht mehr etwas genießen. Vorfreude vermag eine große Freuden-Verdunklerin zu sein; sie gleicht den Fotos, die ein Heiratsbüro verschickt; die Enttäuschung kann selten ausbleiben. Es ist dasselbe wie mit den sogenannten Illusionen, zu deutsch Vortäuschungen. Gewiß, bedeutende Naturen vermögen sowohl der Vorfreude als auch den Illusionen Antriebe zu entnehmen, die den Blick und die Kraft für die nackte Wirklichkeit nicht mindern. Aber im allgemeinen soll man scharf zu trennen üben zwischen Phantasie und Tatsachen. Die großen Wunder der Phantasie reichen schon ins Gebiet der Kunst. Die harte Wirrnis der Tatsachen, scheinbar aller Wunder bar, birgt dennoch mehr als das nur Tatsächliche. Wir sind mißtrauisch geworden gegen alle Versprechungen. Nur das Erleben selber überzeugt uns. Wer aber erlebt genau? Sehr wenige! Nichts ist schwerer zu erlernen als das richtige Erleben. Und dort liegt das Geheimnis der Lebensfreude.
Erstmal wäre gut, jede Voreingenommenheit aufzugeben, also weder die Welt als die beste noch als die schlechteste aller Welten festzulegen. Die Welt hat bewiesen, daß sie beides ist. Wir müssen uns mit Überraschungen abfinden. Es muß aber gesagt werden, daß die Pessimisten in ihren feinsten Vertretern die größeren Genießer sind, oft sogar die größeren Lebenskünstler, und zwar so, indem sie zumeist angenehme Enttäuschungen erleben. Sie warten ab, sie haben das Schlimmste schon eingerechnet und verhalten sich danach, sind deshalb selbst in der Gefahr zumeist ohne Hast und besitzen das leichte Achselzucken, das die Furcht entgiftet. Aus dieser Ruhe sammeln sie eine erstaunliche Kraft und behalten ihre Nerven, immer doch gleich einem Schmetterlingsjäger bereit, die scheueste und flüchtigste Freude noch zu entdecken und einzuheimsen. Das ist es nämlich: Zur Freude bereit sein. Ohne Hast, ohne Gier, ohne große Erwartung, obschon nie ohne Hoffnung. Hoffnung ist die letzte gespannte silberne Saite voll heimlicher Musik, die uns mit der Harmonie des Alls verbindet, indes die Vorfreude uns diese Verbindung als eine breite Fahrstraße vorgaukelt, als einen Schienenstrang gar, auf dem die Züge unseres Herzens schon fleißig verkehren, und es sind, weiß Gott, oft nur Güterzüge, von Entgleisung bedroht. Darum Vorsicht mit der Vorfreude! Sie hat uns ein Weltreich gekostet. Dem wollen wir nicht nachtrauern. Fast aber auch ein inneres Weltreich. Das müssen wir wieder gewinnen! Es liegt nicht dort noch hier und braucht niemandem geraubt zu werden. Es liegt — genau wie die Macht der Finsternis und wie das Himmelreich — allein mitten in uns selber.
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