2Michael Becker und Monika Brunner-Gaurek: Führer durch das Salzburger Freilichtmuseum. Salzburger Freilichtmuseum: Großgmain 2011 (= Veröffentlichung des Salzburger Freilichtmuseums; Bd. 18), S. 89.
3Elias Canetti: Macht und Überleben (1962). In: Ders.: Das Gewissen der Worte. Essays. Frankfurt am Main: S. Fischer 1995, S. 25 – 41, hier S. 25.
4Lao Tse: Spruch 45. In: Ders.: Tao-Te-King. In der Übersetzung von Hans J. Knospe und Odette Brändli. Zürich: Diogenes 1990, [o. P.].
5Luigi Pirandello: Die Riesen vom Berge. Die Mythen und andere späte Stücke. Aus dem Italienischen übersetzt von Georg Richert. Mit einem Nachwort von Michael Roessner. Berlin: Propyläen 1997 (= Gesammelte Werke; Bd. 2), S. 273 – 343, hier S. 305.
6Stefan Zweig: Phantastische Nacht. Novelle. Göttingen: LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag 2019, S. 8.
7Hugo von Hofmannsthal: Lucidor. Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie. In: Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch (Hg.): Hugo von Hofmannsthal. Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band: Erzählungen. Erfundene Gespräche und Briefe. Reisen. Frankfurt am Main: S. Fischer 1986, S. 173 – 186, hier S. 176.
Edition
BARBARA GLAUERT-HESSE
Yvan Goll.
Unveröffentlichte Gedichte und Tagebücher 1918 – 1940
Aus dem Nachlass von
Robert Warnebold
Gedichte 1918 – 1930
Abstieg
Jung schwang ich mich empor
Im Knochengebirg
Nach Göttern zu graben:
Viele Väter vor mir
Viele Söhne nach mir
Lockt der Granit.
Zum Übermut.
Doch bald
Wirft sie’s zurück
In leuchtendes Vergessen:
Rasch mit dem Wasserfall
Reisst sie’s hinab – –
Weise vom Sturz
Reich vom Verlust
Such ich die Menschen
Die ich zurückliess:
Ruhig
Erwart ich ihre dunkle Karawane
Ihre langsame
Karawane
Am Hügel lehnend
Den Kopf im roten Klee
Und – mit den Füssen im Bach
Des Himmels Bild
Zerschlagend
*
Und wende mich um
Ein Mensch unter Menschen
Von all dem Treiben
Nur einen roten Klee
Im Knopfloch
Bergwald
O Wald, du leuchtender lächelnder Freund
Mit grünem Moosbart
Von Sonne triefend und von Harz
Mit tausend Armen umarmend,
Mit tausend Händen verschwendend:
Ich brauche deine Güte!
Gib
Du Reichgeborener,
Goldäugiger, der wie ein Patriarch
Mit kleiner Erdbeerliebe sich umgibt
Und ein Ballett von Rehen unterhält
In der Waldmeisterlichtung –
Geheimniskundiger
Der mit den Wölfen und den Hexen verkehrt
Und greiser Eulen Weisheit lernte:
Du gib mir das Geleit
Bis ans Gebiet der Steine –
Und der Einsamkeit
Und zuversichtlicher
Beschreit ich dann den Weg
Des Einsamen.
Fels-Grat
Steig, steig
Und wär's umsonst!
Zehnmal gekreuzigt von der Sonne Nägeln
Und immer kleiner vor den Türen des Himmels
Du hängst am Rand der Erde – –
Und fehlt dein Fuss – fällst du ins Nichts hinauf.
Ein Tänzer musst du sein
Auf Spitzen balancierend
Nackt zwischen Tod und Tod
Der Stein ist los
Der Fels ist fremd
Du Mensch: was klopfst du an den Türen des Himmels?
Stumm
Fluch
Und überwind dein Herz
Gekreuzigt von der Sonne Nagel
Noch einmal fluch
Und überwinde Gott!
Gesang des Mädchens
1.
Streichle mich, Frühwind,
Betöre mich mit deinen Amseln,
Beströme mich mit deinem Lächeln.
Da steh ich
Schmal zitternd
Ein Mandelbäumchen
Mit blassen Blättchen,
Und unter deinen heimlichen Küssen,
Mannwind,
Reift mein rosa Gefühl
Und Durchduftet das Tal.
2.
Umschwalbe mich, Frühling,
Umlerche mich, Süsswind,
Ich bin deine Wiese
Erblüht und erkleet!
Ich minze den Bach,
Ich bächle das Wäldchen,
Ich nachte und monde
Dem Liebenden zu.
3.
Der Wölkinnen rosigste
Der Rosen wolkigste
Will ich dir sein!
Ganz hin geduftet
Deinem Rauschen,
O dass du mich umdornest
Und dunkel dich entadlerst
Und mir lächelst:
Unhimmlischer Gott!
Gletscher
In der pariser Morgue
Sah ich einmal die Toten eines Tags,
In Eissärgen zur Schau gestellt:
Ich suchte einen Freund
Und fand ein Dutzend …
So stand vor mir der Gletscher
Mit seinen Totenkammern:
Hier war der Götter Grabstatt
Hier sah ich vieler Morgenröten
Altgewordene Leichen
Und früher Riesen dauernde Skelette
Und dort auf einem weissen Felde
Vom Frühlingsföhn des Schnees gelockt
Lag eine Saat von kleinen grauen Vögeln
Die trunken aus dem Tal
Mit irren Schwingen
An ihren Traum
Geglaubt
Und dafür starben
Nachthütte
Erst in der Hütte
Ward’s wieder menschenwarm:
Es duftete nach herbem Holz
Nach liebem Feuer
Nach Frauenhaar!
Nun, seinen Sieg vergeuden!
Wie nur ein Gletscher im März
Hinrieseln
Hinsinken
Hinschmelzen
Aus allen Munden tropfen
Aus allen Augen weinen
Zergehen zu Tal
Zerrinnen zu Tiefe
Essen
Schlafen
Mensch sein
An der Schulter
Die vergänglich ist
Und zittert
Schlucht
Sind die Menschen für das Aug der Sterne
Das mit Feuerblicken
Sie erprobt:
Sind die Menschen mehr als ein Gekröse
Ein schattiges Geschlecht
Im Tanz der Wälder und der Städte?
Krone der Schöpfung!
Mit eckigen Köpfen
Mit Herzfehlern
Hungersnöten ausgesetzt
Und den schlimmeren Instinkten!
Dumpfe Gruppen mit Trommeln,
Müde Massen des Schweigens
Füllen die Plätze
Füllen die Häuser
Und arbeiten
Und arbeiten
Und arbeiten
Und wenn sie nicht arbeiten
Klagen sie
Klagen das Aug der Sterne an
Das sie ansieht
Und verlangen dass es ihnen helfe,
Und wissen nicht
Wozu es ihnen helfen soll
Wald
O Wald, mein bärtiger, reichgeborener Freund
Der funkelnd von Goldsmaragd
Mit tausend Armen und tausend Händen
Sein Alles ausstreut
Und immer freundlich ist.
Du Vie[l]gewaltiger
Der sich mit Kleinstem abgibt
Die Erdbeeren zu liebenden Herzen erzieht
Aus jedem Reh eine Tänzerin macht
In der waldmeisterduftenden Lichtung
Geheimniskundiger auch
Der mit den Wölfen und den Hexen verkehrt
Jedoch am glücklichsten
Wenn ein dummes Rotkehlchen
Die Tonleitern übt
Dass du mein Freund bist
Und mich den ersten Weg begleitest
Bis ans Gebiet der steinernen Einsamkeit
Wie zuversichtlich
Schreit ich aus!
Wald (2)
Du wirfst deinen nächtigen Mantel um mich
Legst Moos um meine Füsse
Legst Moos um meinen Mund
Und hältst den Schlag meines Herzens an!
Und doch gibst du mir keine Ruh:
Du Tausendäugiger!
Unheimlich ist mir deine Freundschaft!
Unheimlich deine väterliche Art:
Denn spielst du nicht mit der Angst der Rehe?
Verschweigst du nicht, du Tausendstimmiger,
Ein schreckliches Geheimnis
Mit deiner Eulen flügellosem Flug?
Geschehn nicht Morde
Am Mittaghang
Der rot von Erdbeeren brennt?
Was will die Wurzel,
Die nach mir rennt?
Ich fürchte mich vor deinem goldenen Lächeln
Vor deiner tiefen Tiere
Gottlosen Augen.
Gedichte 1930 – 1937
Ans Kreuz des Südens
Hast du mich angeschlagen
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