Nun leucht ich weiss – doch tot – diese
deine Nächte
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Plötzlich erschrak mein Körper
Inmitten der brennenden Rosen
Brannte er mit – ohne dich
Auteuil, 27.8.1933
Einen Tag und eine Nacht brauchte ich
Um zu begreifen
Dass Du es warst der an mein Herz klopfte
Stark war ich und gross
Wie im Gebirge
Wuchsen meine Schmerzen über die Welt hinaus
Das Linnen der Begrabenen presste meinen Leib
Die Starre der Vergessenen dörrte meine Glieder
Meine Augen waren leer wie die der Denkenden
Da traf dein Atem mich
Und ich erzitterte auf meiner Erde
Zarter als der Krokus auf den Gräbern im Frühlingswind
Leise rührtest du mich an
Setztest sanft mir neue Augen ein
Meine Brüste wurden spitz von der Berührung des Engels.
Schwach bin ich nun
Erschrocken und stumm
Starr ich mit deiner Sehkraft
Ins Antlitz der Verheissung
Zögere nicht länger
Du der über mich schwebt
Spüre mein tödliches Zittern
Stoss herab o mein Gott
Komm!
Hochsommerlied
O dein Mohnblut
Im Gewoge des Hafers
Blaue Krone des Korns
Die zum König mich kürt
O du silberner Rittersporn
Der die Lenden mir schürt
Blühende Dornenhecke
Dach meines Schlafes
Dein Sommersonnengesicht
Mir Atem mir Speise mir Licht
Iwan
21. Juni 1938
Hügelwiese
Nur einmal noch –
Bevor der Berg beginnt –
Den Kopf an deine traumduftende
Hüfte schmiegen
Das Haar mit Veilchengras vermischt
Und im Geruch der Urgeburt versunken –
Mutter! Mutter!
Die ich verschrie,
Niedere, Dienende,
Die ich verschmähte,
Die Wäsche wusch
Im Acker grub
Und nach dem Regen fragte –
Mutter, Demutsmutter, Demeter
Hier hier vor meinem Gang zu Gott
Knie ich zu deinen Knien
Und esse deinen Staub
Weib, Leib, Erde!
Ich lass fallen von mir
Jahr um Jahr
Wie der Platanenbaum seine Rinden.
Langsam von der Stirn
Löst sich das seidne Gelock
Und der Geliebten
Rötliches Lied entweht.
Immer nackter wird meine Brust
Immer einsamer mein Mund
Immer grösser wird der Himmel
Da die Augen mir
Übergehn
Klage auf Delos
O käme jetzt die Amazone
Noch den Galopp des Mustangs in den Hüften
Und blutnass die Gelenke
Von der gerade tobenden Schlacht:
Sie würde mich retten,
Nachtschattengefangene!
Aber der Wind
Findet den Weg zu mir nicht mehr,
Die rosablaue Dämmerung
Erstickt mich unter dem seidenen Zelt.
Vom Himmel hängt die Ampel
Die offenmündige Dattura
Und mischt die Düfte des Todes
In meinen Atem.
Dort brennt die rote Schlacht,
O klirrende Amazone
Und dein Geschwader aufgeschäumter Pferde
Sprengt Blitze in den Abend.
Ich sehe deine rauchende Schulter
Verwegene Heldin, fern!
Mir aber steckt das Beil des Monds im Fleisch
Und meine Mattheit ruft
Die Tiere der Trauer schon:
Die grossäugigen Sphinxe
Und den bekreuzten Totenkopf,
Indessen die Fledermäuse
Mir schon die schwarzen Gehänge weben.
Mein grosser Häuptling
Ich danke dir dass du bist!
Ein wildes Fest muss ich feiern
Toben einen neuen Tanz
Und opfern dem Schöpfer
Der uns dein starkes Herz
Erstrahlen liess:
Palu!
Du bist der erste Mensch
Der ersten Tage
Des erhabenen Jahrhunderts!
Zur Führerin geboren
Des geistigen Geschlechts
Das doppelseelisch ist!
Das 33. Jahr
Das Jahr, in dem die Dichterpropheten
Den einsamen Berg ersteigen
Um die Sonne herabzuholen
Den bangenden Menschen!
Ich stehe an seinem Fuss
Bereit deine Botschaft zu künden
Wana
Paris, 5. 1. 1933
Wind
Da plötzlich löst ein Einzelner
Vom Zuge sich:
Sprach mich wer an?
Blickte ein Weib?
Nein
Ein
Flüchtiger
Flüssiger
Wind
Fuhr in mein Haar
Umschlang meinen Hals –
Ich hob das Haupt
Sah eine Sonne
Eine goldene Wolke
Ein Dreieck von Störchen
Rudernd gen Nord-Südwärts:
Und ich ihnen nach
Ihnen nach
Zehn Welt tief unter uns
Donnert die Untergrund
Zehn Himmel über uns
Schwirrt der Schneemöwenschwarm
Planetenwärts –
Was wissen wir vom Streben unsrer Kniee?
Was vom Altern unsres Haars?
Wir halten uns
In Höhe unserer schmalen Augen
Nichtachtend der Welten
Über und unter
Für Paula, 2. März 1931


Bei den vorliegenden Gedichten handelt es sich um elf Gedichte von Yvan Goll (1891 – 1950) aus der Zeit von 1918 bis 1930 und um zehn Gedichte, die auf die Jahre von 1930 bis 1937 datiert werden können. Ein Gedicht, Croix de Lorraine , stammt von 1940 und wurde 1944 erstveröffentlicht. Siebzehn Gedichte sind bisher unveröffentlicht. Die bereits veröffentlichten Gedichte wurden schon im Jahr 2013 in die zweibändige Briefedition Claire Goll, Yvan Goll und Paula Ludwig, „Nur einmal noch werd ich dir untreu sein“. Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917 – 1966, herausgegeben von Barbara Glauert-Hesse (Göttingen: Wallstein Verlag) aufgenommen. Mit dieser Veröffentlichung sind alle bekannten und erhaltenen Gedichte Yvan Golls in seinem veröffentlichten Werk versammelt. Sie stammen aus einem von Robert Warnebold (1934 – 2018) überlieferten Konvolut, das sich im Nachlass des Darmstädter Buchhändlers befand. Robert Warnebold war mit Paula Ludwig (1900 – 1974) und ihrem Sohn Friedel Ludwig (1917 – 2007) befreundet. Beide lebten ab dem Jahr 1970 ebenfalls in Darmstadt. Diese Freundschaft ermöglichte Robert Warnebold, seine umfangreichen Textsammlungen zu Paula Ludwig und Yvan Goll durch handschriftliche Zeugnisse zu erweitern. So kamen diese Autographen vermutlich durch Schenkungen, aber auch durch Ankauf in seinen Besitz. Im Zuge der Übernahme von großen Teilen der Warnebold‘schen Sammlungen zu Goll und Ludwig durch das Franz-Michael-Felder-Archiv der Vorarlberger Landesbibliothek in den Jahren 2018 und 2019 kamen auch diese unveröffentlichten Texte von Yvan Goll nach Bregenz, die hier nun erstmals publiziert werden können. Ich danke dem Leiter des Archivs, Jürgen Thaler, dass er mich eingeladen hat, diese Editionsarbeit zu leisten. Meine langjährige Tätigkeit als Rundfunkredakteurin und Verlagslektorin in Mainz und Frankfurt führte mich schon nach dem Studium der Germanistik und der Amerikanistik in Mainz, Berlin und der University of Colorado in Boulder, Colorado, USA, im Jahr 1969 nach Paris zu Claire Goll. Im Auftrag der Deutschen Schillergesellschaft katalogisierte ich von 1969 an gemeinsam mit Claire Goll dort den Nachlass von Yvan Goll. Nach ihrem Tod 1977 setzte ich diese Arbeit im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar und im Yvan und Claire Goll-Archiv der Bibliothèque Municipale in Saint-Dié-des-Vosges, Frankreich, fort. Seit 1988 ediere ich die Gesamtwerke beider Dichter. Sie werden seitdem im Wallstein Verlag, Göttingen, veröffentlicht. Die Datierungen der noch unveröffentlichten Gedichte stammen – soweit sie nicht bereits bekannt waren – von der Herausgeberin. Zur Datierung herangezogen wurde eine private Gedichtedatei, die alle veröffentlichten Gedichte Golls umfasst sowie die von Andreas Kramer und Robert Vilain erstellte Bibliographie Yvan Goll – A Bibliography of the Primary Works (Peter Lang: Oxford-Bern-Berlin-Bruxelles-New York-Wien 2006).
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