1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Gerade die weiteren Entwicklungen in Ägypten offenbarten, welche starken und gut vernetzten Interessen einer wirklichen Demokratisierung im arabischen Raum entgegenstehen. Sowohl bei der Parlamentswahl (2011) als auch bei der Präsidentschaftswahl (2012) gewann die am besten organisierte Partei: die von der Muslimbruderschaft ins Leben gerufene Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (FGP). Dank der Beschwörung einer angeblich kurz bevorstehenden islamistischen Machtübernahme, einer nationalistischen Kampagne, der Unterstützung durch reiche Unternehmer und deren Medienimperien sowie der künstlichen Verknappung lebensnotwendiger Güter gelang es der Militärführung, bedeutende Teile der Ägypter gegen den gewählten Staatspräsident Muhammad Mursi zu mobilisieren. Durch seinen rechthaberischen Regierungsstil hatte sich dieser freilich auch frühere Sympathien verscherzt. Am 3. Juli 2013 wurde Mursi durch einen von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten unterstützten Staatsstreich der Armee gestürzt.
Seither regiert der frühere Armeechef Abd al-Fatah as-Sisi mit harter Hand – offiziell als »Bewahrer der Revolution«, doch de facto als Restaurator eines semiautoritären, bonapartistischen Systems. Seine nachgeholte Wahl fand 2014 unter den Bedingungen der Armee statt und ließ Konkurrenten keine reelle Chance. In den Gefängnissen befinden sich heute zehntausende politische Gefangene, weit mehr als zu Zeiten Mubaraks, darunter nicht nur Muslimbrüder, sondern inzwischen auch liberale, nationalistische und linke Kritiker. Außenpolitisch ist das wirtschaftlich schwache Ägypten fest in das vom Königreich Saudi-Arabien angeführte Status quo-Lager eingebunden, von dem es großzügig alimentiert wird. 11
Langjährige Entpolitisierung und Repression haben in den arabischen Staaten dazu geführt, dass oppositionelle Bewegungen über geringe organisatorische Erfahrung und unzureichende Ressourcen verfügen. Gemeinsam ist ihnen die Ablehnung des bestehenden Systems, doch tun sie sich schwer, attraktive neue Parteien mit klarer Programmatik zu gründen. Die in der Auseinandersetzung mit der Staatsmacht zunächst so erfolgreiche führerlose, dezentrale Mobilisierung wurde im Transformationsprozess zum Hindernis: Charismatische und landesweit bekannte Führer fehlen. Auch bestehen in der heutigen entideologisierten Ära ungünstige Voraussetzungen für die Entstehung starker Richtungsparteien, die die Unterstützung breiter gesellschaftlicher Schichten finden. In vielen Ländern ist das Oppositionslager zudem in Säkulare und Islamisten gespalten. Es kann daher wie in Ägypten von seinen Gegnern gegeneinander ausgespielt werden.
Wenn in einem Staat bereits Oppositionsparteien bestanden, so warteten sie häufig erst einmal ab, kannten sie doch die Initiatoren der Protestbewegung nicht. Wenn sie sich den Demonstrationen schließlich anschlossen, waren die Aktivisten häufig misstrauisch, da sie fürchteten, dass ihre Forderungen verändert oder abgeschwächt würden. Hinzu kam ein grundlegendes Misstrauen gegen Parteien, da deren Kooptierung und Instrumentalisierung durch autoritäre Regime eine lange Tradition hatte. Arabische Parteien sind zudem häufig Wählervereine für einflussreiche Persönlichkeiten. Gemäß dem Motto »Viele Häuptlinge, wenige Indianer« wurden in Ländern wie Ägypten, Libyen und Tunesien seit 2011 zahlreiche programmatisch kaum unterscheidbare Parteien mit ehrgeizigen Führern gegründet.
Die Folgen der von außen diktierten neoliberalen Strukturanpassungsmaßnahmen, die sich verschärfende sozio-ökonomische Ungleichheit in vielen Ländern im Zeitraum 2000–2011 und die Abhängigkeit von westlichen Staaten und Institutionen hätten eigentlich wie in Lateinamerika das Wiedererstarken linker Bewegungen begünstigen müssen. Sozialisten und Kommunisten nahmen zwar aktiv an den arabischen Protesten teil, doch konnten sie keine Massen mobilisieren und keine überzeugende Alternative aufzeigen.
In erster Linie profitierten islamistische Bewegungen von der Unzufriedenheit. Sie positionierten sich als Kritiker des Westens und versprachen eine gerechte islamische Gesellschaft. In ihren Parteinamen dominieren Begriffe wie »Gerechtigkeit«, »Wohlfahrt« und »Entwicklung«. Freilich darf nicht übersehen werden, dass die meisten islamistischen Bewegungen mit Bezug auf den Koran wirtschaftlichen Erfolg als gottgewollt erachten und daher tendenziell kleinbürgerlich-marktwirtschaftlich ausgerichtet sind. Ihr soziales Programm ist vage und erschöpft sich häufig in der Armenfürsorge. 12Nur im schiitischen Bereich gibt es eine starke linksislamistische Tradition, deren Vordenker der iranische Soziologe und Historiker Ali Schariati (1933–1977) war. 13
Beim Beginn der Protestbewegung überwogen patriotische Motive und nationale Reformziele, so hatten in Ägypten Demonstranten mit dem Slogan »Muslime und Christen vereint für ein neues Ägypten« demonstriert, in Syrien hatten die Demonstranten skandiert: »Wir sind alle Syrer!«. Doch bald brachen Interessengegensätze zwischen Stadt und Land, zwischen Regionen, Bevölkerungsgruppen und Religionsgemeinschaften auf. Solche Gegensätze wurden von den Gegnern einer Demokratisierung geschickt angeheizt bzw. instrumentalisiert.
In Ägypten kamen 2013 die »neu-alten« Elten wieder an die Macht, und in Syrien wurden die teils säkularen, teils islamistischen Aufständischen von zwei Seiten in die Zange genommen. Im Westen eroberte Anfang Juni die proiranische, mit der syrischen Regierung verbundene libanesische Hisbollah-Miliz den strategisch wichtigen Ort al-Kusair zurück. Dies legte den Grundstein für Assads Verbleib an der Macht. Zwischen August 2013 und Januar 2014 nahm der IS Rakka ein und vertrieb die Rebellen aus dem Osten des Landes. Schließlich sagte US-Präsident Barack Obama am 9. September 2013 nach einem der syrischen Regierung zugeschriebenen Chemiewaffeneinsatz in Ghuta den geplanten militärischen Vergeltungsschlag ab – trotz der von ihm ein Jahr zuvor für diesen Fall angekündigten »roten Linie«. Auch wenn der französische Staatspräsident François Hollande auf ein Eingreifen drängte: Der Partner Großbritannien hatte Obama im Stich gelassen, und auch im US-Kongress war ein hinreichender Rückhalt nicht absehbar. 14
Nun fuhren die USA die Unterstützung der syrischen Rebellen herunter. Zunehmend fanden sich die USA und ihre europäischen Verbündeten mit einem Verbleib al-Assads an der Macht ab. Stattdessen stand ab 2014 die Bekämpfung der aggressiven und medial dominierenden Terrororganisation IS im Vordergrund. Deren brutale Gewalttaten vor Ort wie auch in Europa banden die Energien des Westens. Diese Situation wurde vom Iran und von Russland dazu genutzt, ihre strategischen Ziele in Nahmittelost durchzusetzen.
Viele westliche Beobachter hatten im »Arabischen Frühling« vor allem das Streben nach Freiheit gesehen, doch standen am Anfang ökonomische Forderungen, denn die Lage breiter Volksschichten war in vielen Ländern desaströs. Von Reformkräften gebildete Regierungen wurden in erster Linie daran gemessen, wie schnell sie erkennbare wirtschaftliche Verbesserungen umsetzen konnten, erst in zweiter Linie an ihren Demokratisierungserfolgen. Doch war es aufgrund der Versäumnisse der alten Regierungen schwer, kurzfristig ökonomische Verbesserungen zu erzielen. Hinzu kam, dass sich ausländische Investoren und Touristen in der politisch instabilen Übergangsphase zurückhielten. Daraus resultierten in vielen Ländern ein gebremstes Wachstum und vermehrte Arbeitslosigkeit.
Nicht selten machten die neuen Regierungen auch den Fehler, die drängenden Wirtschaftsprobleme zu vernachlässigen und sich auf emotionale, öffentlichkeitswirksame Streitfragen zu konzentrieren, wie z. B. die Rolle der Religion im öffentlichen Raum. Es verwundert daher nicht, dass die Regierungen tendenziell an Vertrauen verloren – nach dem Motto: »Demokratie mag schön und gut sein, aber man kann sie nicht essen.«
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